Jahrestag des ersten Corona-Ausbruchs: Wie Chinas Wirtschaft in nur einem Jahr zurück auf Erfolgskurs kam
Die ersten Corona-Fälle traten vor genau einem Jahr in Wuhan auf. Nun scheint in China scheint das Virus besiegt. Wird das Land zum Gewinner der Pandemie?
Am 8. Dezember 2019 registrierten die Behörden in der chinesischen Stadt Wuhan die ersten Fälle einer mysteriösen Lungenkrankheit. Lokale Beamte behielten diese Erkenntnis zunächst für sich, der Arzt Li Wanliang, der vor der neuen Krankheit warnte und später daran verstarb, wurde sogar von der örtlichen Polizei wegen „Verbreitung von Gerüchten“ gemaßregelt.
Was wiederum seine Kollegen verunsicherte, wie die „Financial Times“ schreibt: „In den ersten zwei Januar-Wochen wuchs unter den Ärzten im Wuhan- Zentralkrankenhaus die Verwirrung darüber, welche Informationen sie überhaupt noch an die Behörden weitergeben sollten.“
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Ende Januar aber war die Krankheit nicht mehr zu leugnen. China ergriff deshalb drastische Maßnahmen, um die Pandemie einzudämmen.
Ein Jahr später hat das Land das Virus in den Griff bekommen – während weltweit viele Nationen weiter dagegen kämpfen – und viele Tote zu beklagen haben.
Wie ist aktuell die Pandemielage in China?
China meldete zuletzt nur vereinzelte Corona-Fälle. Ansonsten scheint das Virus unter Kontrolle. Und das in dem Land mit der weltweit größten Bevölkerung und den weltweit längsten territorialen Außengrenzen.
Wenn neue Fälle auftreten, wie zuletzt in Tianjin, Qingdao oder Kashgar, dann ist das Virus aus dem Ausland importiert worden: Von zurückreisenden Chinesen oder Ausländern, die nach China eingereist sind, so berichten es die staatlich kontrollierten chinesischen Behörden.
Beim Ausbruch in Tianjin machten die Behörden eine aus Deutschland importierte Schweinshaxe verantwortlich. Tests hätten Virus-Spuren an der Verpackung der gefrorenen Haxe entdeckt, heißt es.
Diese sei zunächst aus Bremen nach Tianjin importiert und von dort weiter nach Dezhou gesendet worden. Das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium hält diese Erklärung für „unwahrscheinlich“. Acht Menschen hatten sich in Tianjin infiziert. Die Behörden ordneten daraufhin einen Massentest für eine Million Menschen an.
Wie hat China diesen Erfolg geschafft?
Das Beispiel Tianjin zeigt: Sobald irgendwo ein Corona-Fall auftritt, reagieren die Behörden mit einer Massentestpflicht. Als im Oktober in der ostchinesischen Stadt Qingdao sechs Neuinfektionen bekannt wurden, mussten sich knapp zehn Millionen Menschen testen lassen. Dabei kamen nach Behördenangaben 13 weitere positive Tests zum Vorschein.
Auch wenn den staatlichen Angaben nicht immer Glauben geschenkt werden kann, wäre ein erneuter massenhafter Covid-19-Ausbruch in China auf jeden Fall bekannt geworden. Die Regierung hatte nach den ersten Vertuschungsversuchen im Frühjahr rigorose Maßnahmen ergriffen.
So wurde die Stadt Wuhan vom 23. Januar bis zum 7. April von der Außenwelt abgeriegelt und mit einer Ausgangssperre belegt. Menschen, die aus Wuhan oder der angrenzenden Provinz Hubei kamen, wurden für 14 Tage in ihren Hotels und Aufenthaltsorten festgesetzt. Ebenso Menschen mit positiven Corona-Tests.
Diese Quarantänemaßnahmen sowie Masken und Temperaturkontrollen stoppten die Verbreitung, die Corona-App- Pflicht ermöglichte eine genaue Kontaktverfolgung. Zudem gelten seit Monaten strikte Einreisebeschränkungen.
Wer noch ins Land darf, findet sich in einer streng kontrollierten 14-tägigen Quarantäne wieder. Kurioserweise hatte China in der Anfangsphase der Pandemie ähnliche Einreiseverbote im Ausland für Chinesen, zum Beispiel in Israel, als „rassistisch“ gebrandmarkt.
Wie geht es der Wirtschaft im Land?
Chinas Wirtschaft hat derzeit ein Problem. Es ist ein Luxusproblem: Die Volksrepublik hat schlicht nicht genug Container, um all die Waren zu verschiffen, die Amerikaner wie Europäer derzeit bestellen. Gerade das Exportgeschäft läuft so gut, dass Chinas Hersteller von Containern Berichten zufolge Sonderschichten fahren. 300 000 stählerne Transportboxen fertigen sie seit September jeden Monat.
Und selbst das reicht nicht. Händler in Europa machen sich bereits Sorgen, dass die bestellten Computer, Fahrräder und Spielzeuge nicht rechtzeitig vor Weihnachten ankommen. Um mehr als 20 Prozent sind Chinas Exporte im November im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen: eine Zahl, die sämtliche Vorhersagen übertrifft. „Der Exportboom ist eine der größten wirtschaftlichen Überraschungen in diesem Jahr, was die Aussichten für China angeht“, sagte Zhou Hao von der Commerzbank der Finanzagentur Bloomberg.
Aber auch im Inland laufen die Geschäfte in China wieder auf Hochtouren. Die größten Onlinehändler des Landes, Alibaba und JD.com, haben allein am sogenannten Singles Day Waren im Wert von umgerechnet 96 Milliarden Euro verkauft – so viel wie nie. Chinas Wirtschaft profitiert dabei enorm davon, dass es keinen zweiten Lockdown gab.
Chinas Wirtschaft wird wahrscheinlich ein Wachstum verzeichnen
Die Volksrepublik wird deshalb in diesem Jahr wohl eines von wenigen Ländern weltweit sein, in denen die Wirtschaft wächst. Während Deutschland einen Einbruch um rund fünf Prozent verkraften muss, geht es in China um knapp zwei Prozent aufwärts. Die Folge: Die Welt wird zumindest kurzfristig noch abhängiger von der Volksrepublik. „China wird im nächsten Jahr sicherlich sehr viel mehr zum Wachstum der Weltwirtschaft beitragen als bislang“, sagte erst kürzlich OECD-Chefvolkswirtin Laurence Boone im Tagesspiegel-Interview.
Damit könnte die Volksrepublik auch die USA schneller als erwartet als größte Wirtschaftsmacht der Welt ablösen. Aber auch für Deutschland hat Chinas schnelle Erholung Folgen. So sind die hiesigen Autobauer zum Beispiel mehr denn je von der Volksrepublik abhängig. Während in Europa und den USA die Neuwagenverkäufe einbrechen, leisten sich viele Chinesen wieder ein neues Auto.
Schon vor Corona war die Volksrepublik für deutsche Konzerne ein wichtiger Absatzmarkt, Corona verstärkt das aber noch weiter. Daimler zum Beispiel verkauft aktuell 36 Prozent seiner Limousinen und SUVs in China. Noch profitiert Deutschland davon, weil wichtige Teile wie Getriebe und Motoren hierzulande gefertigt und dann in die Volksrepublik verschifft werden.
Doch mit dem Trend zur Elektromobilität könnte sich das ändern: Etwa wenn Batteriezellen künftig in China produziert werden.
Noch dazu hat China mit seinen Nachbarstaaten gerade erst ein gigantisches Freihandelsabkommen geschlossen: Dadurch fallen die Zölle in der Region Asien/Pazifik und die Volksrepublik kann ihre Waren in den beteiligten 14 Ländern noch günstiger verkaufen.
Kann nur ein autoritäres System wie China die Pandemie erfolgreich bekämpfen?
Die chinesische Propaganda feiert die eigene Regierung ausführlich dafür, die Pandemie erfolgreich bekämpft zu haben. Sie wertet das als Beweis für die Überlegenheit des chinesischen politischen Systems. Nur im „Sozialismus chinesischer Prägung“ sei es möglich, so geht das Narrativ, ein derart gefährliches Virus effektiv zu bekämpfen.
Freiheitsliebende individualistische Demokratien hingegen könnten eine ähnliche Kraftanstrengung nicht aufbringen. Diese Sicht teilen nicht nur sehr viele Chinesen, auch im westlichen Ausland wird diese Darstellung gerne übernommen. Mitunter um von eigenen Versäumnissen abzulenken oder um zu entschuldigen, dass man das Virus nicht mit den gleichen Methoden bekämpfen könne.
Dabei wird vergessen, dass es in Asien eine lebendige Demokratie wie Taiwan gibt, die derart frühzeitig und effektiv auf das Virus in Festlandchina reagiert hat, dass bislang nur sieben Corona-Tote zu beklagen waren. Weitere Demokratien wie Japan und Südkorea sind ebenfalls sehr erfolgreich gegen das Virus vorgegangen.
Gerne wird in Europa entschuldigend eingewendet, dass dies doch alles Inseln oder Halbinseln seien. Doch auch Vietnam und Thailand sind trotz langer Territorialgrenzen nicht minder erfolgreich im Anti-Virus-Kampf. Und schließlich wird hierzulande auch auf die konfuzianische Traditionen in Ostasien mit einer größeren Autoritätsgläubigkeit verwiesen.
Doch auch angelsächsisch geprägte Demokratien wie Australien und Neuseeland haben mit strengen Maßnahmen das Coronavirus erfolgreich bekämpft – und feiern schon wieder Konzerte und Partys.
Möglicherweise liegt ein Grund für die bessere Reaktion auch in der Erfahrung dieser Region mit dem Sars-Virus und der Vogelgrippe. Sie war auch besser vorbereitet. Klar ist aber, dass die Erfolge in Ostasien und Ozeanien nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geopolitischeFolgen haben werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in der vergangenen Woche: „Das wird noch mal eine Neuordnung der Regionen sein.“