Dosen-Anzahl, Impf-Reihenfolge, Astrazeneca-Streit: Wie bringen die Arztpraxen die Impfkampagne voran?
Ab Dienstag bieten Hausärzte in Praxen zunehmend Corona-Impfungen an. Was das für das Impftempo bedeutet – und wie es noch beschleunigt werden soll.
Als Jens Spahn (CDU) am Ostermontag das Impfzentrum in der Berliner Messe besucht, wirkt der Gesundheitsminister ein wenig zuversichtlicher als noch vor einigen Tagen. Bislang liefen die Impfungen gegen Sars-CoV-2 schleppend – obwohl in Deutschland so viele Ärzte arbeiten wie in nur wenigen anderen Staaten. Das von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigte Ziel, bis 21. September allen Bürgern ein Impfangebot zu machen, wäre mit der dieser Impfgeschwindigkeit nicht zu erreichen.
Doch jetzt sollen die niedergelassenen Ärzte in den Praxen helfen – daher Spahns neue Zuversicht.
Wie viel Impfstoff-Dosen bekommen die Hausärzte?
Weil alle Impfstoff-Hersteller immer noch weniger produzieren können, als weltweit bestellt wurde, in Deutschland zudem noch die Impfzentren und Kliniken beliefert werden, fällt die erste Charge an die Praxen bescheiden aus: eine Million Dosen in der ersten Woche. Bei 35.000 Hausarztpraxen, die sich bundesweit im ersten Schritt an der Kampagne beteiligen, und den Modellpraxen, die schon seit Tagen dabei sind, erhielte jede Praxis davon circa 20 Dosen.
Zunächst soll der Impfstoff von Biontech eingesetzt werden, danach kommen Lieferungen des Vakzins von Astrazeneca und Johnson & Johnson. Das Präparat von Moderna solle vorerst in den Impfzentren verimpft werden, hatte Gesundheitsminister Spahn gesagt. Bald aber sollen größere Mengen an die Praxen gehen, die jedes Jahr 20 Millionen Patienten gegen Grippe impfen. Ab Ende April sollen drei Millionen Dosen pro Woche auf die Praxen verteilt werden.
Erhalten alle Bundesbürger bis „Ende des Sommers“ ein Impfangebot?
In der Bevölkerung herrscht offenbar Skepsis. Im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur starteten die Meinungsforscher von „YouGov“ eine Umfrage: Nur 23 Prozent der Befragten gaben an, dass das Ziel, bis 21. September jedem Impfwilligen eine Corona-Impfung anzubieten, eingehalten wird.
Bis Ostern waren dem zuständigen Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge fast 10,1 Millionen Männer und Frauen mit einer ersten Impfdosis versorgt worden, das entspricht 12,1 Prozent der Einwohner. Minister Spahn kündigte am Montag an: „Bis Anfang Mai werden 20 Prozent der Deutschen geimpft sein können.“ Es käme mehr Impfstoff als in den ersten Monaten des Jahres, die Infrastruktur in Zentren und Praxen stehe, die Impfgeschwindigkeit werde im zweiten Quartal immer weiter zulegen.
In den für die niedergelassenen Mediziner zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) heißt es, dass in den Praxen fünf Millionen Impfungen pro Woche möglich sind – wenn die nötigen Präparate geliefert werden. Dann sollen auch niedergelassene Fachärzte und Privatpraxen mitmachen. Nach Tagesspiegel-Informationen gehen in Berlin und Brandenburg neben Leitern von Impfzentren auch Ärztefunktionäre davon aus, dass Merkel trotz aller Pannen – so etwa dem Streit um Nebenwirkungen des Astrazeneca-Impfstoffs – mit ihrer Ankündigung recht behalten wird.
Wie ist die Lage in Berlin – und wie lässt sich das Impfen noch beschleunigen?
Noch steht nicht fest, wie viele Praxen in Berlin ab wann Corona-Impfungen anbieten. Zuletzt war von bis zu 4500 Haus- und Facharztpraxen die Rede. Berlin ist gut mit Hausärzten versorgt, zuletzt waren 2592 niedergelassene Hausärzte in der Stadt tätig, fast 50 mehr als 2016. Auf Basis örtlicher Sozialdaten errechnet die KV einen Versorgungsgrad: Wie gut ein Ort mit Praxen ausgestattet ist, wird dann in Prozent angegeben – ab 100 gilt eine Versorgung als angemessen, ab 105 als gut. Berlin wies 2020 einen Versorgungsgrad mit Hausärzten von 105,2 Prozent auf.
Zudem drängen Fachleute darauf, bald in den Betrieben zu impfen. Viele große Unternehmen haben einen festen Betriebsarzt, den man in der Belegschaft zuweilen sogar von früheren Einsätzen kennt. So bald „ausreichende Mengen an Impfstoff zur Verfügung stehen“ wolle man neben den Praxen auch Betriebsärzte damit versorgen, hatte Berlins Senat angekündigt.
Welche Patienten sollen die niedergelassenen Ärzte zuerst impfen?
Auch in Arztpraxen gilt die Priorisierung, also die Patienten-Reihenfolge der Ständigen Impfkommission beim RKI als Grundlage: Solange Vakzine knapp sind, solle die Reihenfolge beibehalten werden. Zunächst wären das jene Plus-80-Jährigen, die noch keinen Termin im Impfzentrum wahrnehmen konnten. Dann müssten die Praxen, grob vereinfacht, Impfungen nach Alter und Vorerkrankung anbieten. Aber: Die Ärzte kennen ihre Patienten oft, sie können besser chronisch Kranke berücksichtigen, als dass über die Impfeinladungen der Bundesländer möglich war.
Der geänderten Impfverordnung des Bundes vom 8. März zufolge kann ohnehin von der Reihenfolge abgewichen werden, „wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen oder eine zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe notwendig ist, insbesondere um den Verwurf von Impfstoffen zu vermeiden“. Das gilt für Impfzentren und Hausärzte gleichermaßen, doch in den Praxen dürfte das zügiger getan werden: Ist abends noch Impfstoff (aus geöffneten Fläschchen) übrig, werden die versorgt, die eben wollen – auch Jüngere.
Wie wirkt sich die Debatte um den Impfstoff von Astrazeneca aus?
Immer noch, sagen Mitarbeiter der Impfzentren, gebe es eine „Astrazeneca-Skepsis“. Die Berliner KV teilt auf Anfrage mit: „Die aktuelle Situation um Astrazeneca führte in den Praxen dazu, dass die Akzeptanz des Impfstoffes gesunken ist. In Verbindung mit der Priorisierungsvorgabe müssen Arztpraxen sehr viele Patienten anrufen, bis sich hinreichend viele zu einer Impfung bereit erklären. Häufig gelingt es erst im individuellen Arzt-Patienten-Gespräch, die Vorbehalte gegen den Impfstoff abzubauen.“
Nach Tagesspiegel-Informationen haben einige der schon seit März aktiven Impf-Modellpraxen aufgehört, den britisch-schwedischen Impfstoff anzubieten. Das RKI empfiehlt das Astrazeneca-Mittel nur noch für Plus-60-Jährige. Jüngere können den Impfstoff nach ärztlicher Aufklärung freiwillig nehmen. Wer haftet, wenn die Astrazeneca-Spritze dann negative Folgen hat?
Das Gesundheitsministerium schreibt: „Empfehlen die Länder auf Grundlage des Stiko-Beschlusses die Impfung von Astrazeneca (also Impfung empfohlen ab 60 Jahre sowie nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung auch unter 60 Jahren), dann haften die Länder, wenn die bekannten Nebenwirkungen auftreten.“ Treten Schäden auf, komme „je nach Fallgestaltung“ auch eine Haftung des Pharmaherstellers in Betracht.
„Der Arzt kann und sollte sich von Patienten unter 60 Jahren, die Astrazeneca wollen, schriftlich von der Haftung befreien lassen“, sagte Rüdiger Heicappell, der als Impfarzt in Berlin und Brandenburg tätig ist. „Für die vom Bund empfohlenen Impfungen haften die Länder, die letztlich die Aufsicht über die Impfärzte haben. Ausnahme ist, wenn der einzelne Mediziner grob fahrlässig handelt.“
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