Senatorin Kalayci und die Kassenärzte: Michael Müller greift in den Streit um Berlins Impfzentren ein
Berlin Kassenärzte wollten die Impfzentren verlassen. Doch der Regierende Bürgermeister intervenierte, nun sollen die Ärzte bis September bleiben.
Im Streit um Berlins Corona-Impfungen hat Senatschef Michael Müller (SPD) persönlich das Gespräch mit den Praxisärzten gesucht. Nach Tagesspiegel-Informationen sprach der Regierende Bürgermeister mit dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Burkhard Ruppert, schon am Donnerstag – Müller will so den Konflikt um die Einsätze der niedergelassenen Mediziner in den Impfzentren beilegen.
Wie berichtet hatte die KV den Vertrag mit der Gesundheitsverwaltung von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) über die Arbeit in Berlins sechs Imfpzentren zu Ende April gekündigt. Senatschef Müller soll den KV-Vorstand nun überzeugt haben, doch noch bis September in den Zentren tätig zu sein.
Eine entsprechende Unterschrift, hieß es von Kennern der Vorgänge, werde in den nächsten Tagen erwartet. Auf Anfrage waren weder Kalaycis Verwaltung, die für die Zentren zuständig ist, noch die KV zu erreichen.
Der öffentlich-rechtlichen KV müssen alle 9000 Praxisärzte angehören, die in Berlin gesetzlich Versicherte versorgen. Die KV regelt die ambulante Versorgung, der Senat greift nur bei Rechtsverstößen ein.
Offenbar will Müller, dass die autonomen Kassenärzte dem Senat in der Coronakrise gewogen bleiben, denn die KV und Kalayci streiten seit Monaten. Die niedergelassenen Mediziner drängen darauf, dass die Impfreihenfolge nach Alter und Beruf weniger strikt angewandt wird. Vor allem fordern sie, dass sich die Berliner in ihren Stammpraxen impfen lassen können. So könnten auch vertrauensvoll Vorbehalte gegen Impfstoffe ausgeräumt werden.
„Pragmatisches Handeln statt Festhalten an alten Strukturen“
Am Freitag teilten die Kassenärzte mit, in 4500 einsatzbereiten Berliner Praxen „kann die umfassende Versorgung der Bevölkerung mit dem Corona-Impfstoff deutlich schneller erfolgen, als dies in den Impfzentren möglich ist“. Die dritte Welle der Pandemie erfordere „pragmatisches Handeln anstatt das Festhalten an Strukturen, die vor Monaten ihre Berechtigung hatten, jetzt aber die zügige Versorgung mit dem Impfstoff verhindern“.
Christiane Wessel, die der wichtigen KV-Vertreterversammlung vorsitzt, sagte: „Allein in der aktuellen Grippesaison bekamen Millionen Menschen innerhalb kürzester Zeit ihre Grippeschutzimpfung in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.“ Die Vertreterversammlung fungiert als 40-köpfiges Parlament der Kassenärzte.
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Senatorin Kalayci wiederum hat zuletzt nicht nur die Mediziner verärgert. In den Impfzentren wunderten sich auch andere Helfer über die Reaktionen der Senatorin auf eine Tagesspiegel-Recherche. In dem Bericht vom Donnerstag hieß es, eine Million sogenannter Impfcodes sind in Berlin verschickt worden, „schätzungsweise 300.000“ Berliner haben aber keinen Impftermin ausgemacht, obwohl sie Zugriff auf einen dazu berechtigenden Code haben. Statt konkret darauf einzugehen, machte es Kalayci – bei genauem Hinhören – schlimmer.
Haben 600.000 Berliner trotz Impfberechtigung keinen Termin ausgemacht?
Am Donnerstag sagte die Senatorin, dass bisher sogar 1,5 Millionen Codes für Impfungen herausgegeben worden seien – die Zahl derjenigen, die trotz Berechtigung keinen Impftermin ausgemacht haben, wäre demnach also noch größer als die im Tagesspiegel genannte.
Dem Robert-Koch-Institut (RKI) zufolge waren bis Freitag 397.207 Berliner mit der ersten Dosis versorgt worden, in Berlin wurden Kalayci zufolge zudem 516.000 Impftermine zugesagt. Blieben von den 1,5 Millionen immer noch fast 600.000 Berliner übrig, die sich zwar impfen lassen dürften, das aber weder getan noch einen Termin ausgemacht haben.
Senatschef Müller war klug genug, am Donnerstag einzuräumen, dass es gegenüber dem Impfstoff von Astrazeneca eine gewisse Zurückhaltung gebe – nichts anderes hatten Senatsmitarbeiter und Ärzte angesichts der oben genannten Zahlen zuvor dem Tagesspiegel berichtet.
Fraktionsübergreifend forderten Fachpolitiker am Samstag erneut eine andere Impfpolitik. Wolfgang Albers (Linke), der Chef des Gesundheitsausschusses im Landesparlament, sagte: „Das alles macht nur deutlich, dass man sich nun endlich konsequent und schnellstmöglich von all dem Impfbürokratismus verabschieden sollte und die Impfungen dorthin verlagert, wo sie auch hingehören, wenn man verspieltes Vertrauen zurückholen will – in die Praxen der niedergelassenen Ärzte und in die Hände der Betriebsärzte.“
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Die Grünen-Gesundheitsexpertin Catherina Pieroth plädierte dafür, dass in den Zentren „wie im Theater oder beim Fliegen eine No-Show-Rate“ eingeplant werden sollte, damit auch über eine Art „Abendkasse oder Warteliste“ möglichst viele Berliner geimpft werden könnten.
Auch in der Opposition drängen sie auf mehr Tempo. Tim-Christopher Zeelen von der CDU sagte: „Das Einladungsmanagement des Senats ist gescheitert. Anstatt die Impfzentren 24 Stunden sieben Tage die Woche laufen zu lassen, wird zu behäbig geimpft. Den steigenden Fallzahlen und drohenden Mutationen muss man nun mit einem deutlich höheren Tempo beim Impfen begegnen.“ Im nächsten Schritt sollte den Berlinern zwischen 60 bis 70 Jahren ein Angebot gemacht werden, die Einladungen dazu sollten umgehend rausgehen. Nach 14 Tagen dann könnte die nächste Gruppe eingeladen werden.