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Der damalige Londoner Oberbürgermeister Johnson (links) und Premier Cameron im Jahr 2015.
© Jack Taylor/AFP

Johnson gegen Cameron: Wie aus einer Tory-Freundschaft Abneigung wurde

Den britischen Premier Johnson und seinen Vor-Vorgänger Cameron verbindet eine komplizierte Beziehung. Das zeigt die Veröffentlichung von Camerons Memoiren.

Mit einer selbstanklägerischen Schlagzeile machte die britische Zeitung „Times“ am Samstag auf. „I’m sorry. I failed“ („Es tut mir leid. Ich habe versagt“) war da zu lesen, darunter ein Foto von David Cameron. Jahrelang war von dem früheren Premierminister, der das EU-Referendum von 2016 zu verantworten hatte, nichts zu hören.

Cameron rechtfertigt sein Referendum

Weil aber in der kommenden Woche seine Memoiren erscheinen, meldete sich Cameron obendrein mit einem Ratschlag für einen Ausweg aus dem Brexit-Schlamassel zu Wort. Ein zweites Referendum, sagte er im Interview mit der „Times“, könne nicht ausgeschlossen werden, „weil wir feststecken“.

Gleichzeitig zeigte sich Cameron zerknirscht. Der frühere Parteichef der Tories war es gewesen, der 2013 den Briten für den Fall seiner Wiederwahl zum Premierminister ein Referendum über die EU versprochen hatte. Das waghalsige Manöver, mit dem Cameron den internen Dauerstreit der Konservativen über Europa ein für alle Mal beenden wollte, ging bekanntlich schief. Der Ex-Regierungschef sagte nun, er sei damals nach der Volksabstimmung „ungeheuer deprimiert“ gewesen. Er wisse, dass „einige Menschen mir niemals vergeben werden“.

Dass er das Referendum am besten gar nicht erst abgehalten hätte, sagt der heute 52-Jährige aber auch wieder nicht. Nach seinen Worten sei es richtig gewesen, die Briten über die EU abstimmen zu lassen. Während der Euro-Krise habe sich die Gestalt der EU rapide geändert. Und Großbritannien drohte seinerzeit innerhalb der Gemeinschaft noch mehr in eine Außenseiter-Rolle zu geraten, lautet seine Begründung für die Volksentscheidung.

Statt seine eigene Referendums-Entscheidung in Frage zu stellen, geht Cameron aber umso heftiger mit Boris Johnson und Michael Gove ins Gericht. Der heutige Premierminister und sein Staatsminister trugen 2016 entscheidend dazu bei, dass sich 52 Prozent der an der Volksentscheidung Beteiligten gegen die EU aussprachen. Das Vorgehen der beiden während der Referendumskampagne sei „entsetzlich“ gewesen, so Cameron.

In den Augen Johnsons ist Cameron ein „mädchenhafter Streber“

Mit Johnson verbindet Cameron eine komplizierte Beziehung. Beide sind Zöglinge des Elite-Internats Eton, wo sie sich auch kennenlernten. Dass Johnson sich bis heute des Eton-Vokabulars bedient, mit dem andere Mitschüler verächtlich gemacht werden, wurde Anfang des Monats deutlich, als eine handschriftliche Notiz des Premierministers vom vergangenen Monat veröffentlicht wurde.

Im Zusammenhang mit der von Johnson verfügten fünfwöchigen Zwangspause des Parlament schrieb der Hausherr in der Downing Street damals sinngemäß, dass die Sitzungen im September überflüssig seien, und machte sich über seinen Vor-Vorgänger Cameron mit den Worten lustig: „Die Sitzungstage im September sind ein Zirkus, der von dem mädchenhaften Streber Cameron eingeführt wurde und welcher der Öffentlichkeit zeigen soll, dass die Abgeordneten ihr Brot verdienen.“

Zwischen den einstigen Weggefährten Cameron und Johnson herrscht heute offenbar eine tiefe Abneigung. Denn in seinen Memoiren lobt Cameron zwar Johnson für dessen Amtsführung als Londoner Oberbürgermeister. Aber Johnsons harter Kurs beim Brexit – die Zwangspause und der Ausschluss von Widersachern aus der Fraktion – sei nach hinten losgegangen, sagte er im „Times“-Interview. Auch ein No-Deal-Brexit sei eine schlechte Idee.

Johnson zeigte sich angesichts der Veröffentlichungen ungerührt. Es sei ihm egal, was sein Vor-Vorgänger über ihn in den Memoiren schreibe, sagte er. Cameron könne jedenfalls „stolz“ auf sein Erbe sein, fügte er hinzu.

Tory-Rebell Letwin schlägt zweites Referendum über einen Deal vor

Ob Camerons Nachdenken über ein zweites Referendum noch einmal Bewegung in die verhärteten Fronten beim Brexit-Streit bringt, bleibt abzuwarten. Im Lager der Konservativen hat sich jüngst der Tory-Rebell Oliver Letwin dafür ausgesprochen, einen möglichen Austrittsdeal mit der EU der britischen Bevölkerung vorzulegen.

Zahlreiche Unterhausabgeordnete der Labour-Partei, der Liberaldemokraten und der schottischen Nationalpartei SNP seien gewillt, den Weg für ein solches Referendum frei zu machen, argumentierte er. Letwin gehört zu den 21 Abtrünnigen in den Reihen der Tories, die im Unterhaus für ein Anti-No-Deal-Gesetz gestimmt hatten und deshalb von Johnson aus der Fraktion ausgeschlossen worden waren.

Damit Letwins Plan aufgeht, müsste Johnson, der sich am Montag in Luxemburg mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen will, allerdings erst einmal einen Deal mit der EU hinbekommen. Zuletzt war dabei wieder verstärkt über eine Lösung spekuliert worden, die in der Amtszeit von Johnsons Vorgängerin Theresa May schon einmal auf dem Tisch gelegen hatte.

Diese Variante sieht vor, dass die Zollgrenze zwischen der EU und Großbritannien künftig zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs verlaufen könnte. May hatte angesichts des Widerstandes der nordirischen Unionisten-Partei DUP gegen eine solche Lösung seinerzeit erklärt, dass kein britischer Premierminister dem zustimmen könne.

Albrecht Meier

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