Russland und der Westen: Putins neue Weltordnung
Russlands Präsident Wladimir Putin lobt China, übergeht Europa und reicht dem künftigen US-Präsidenten Trump die Hand. Zugleich warnt er vor einer Missachtung von Moskaus Interessen.
Die wichtigsten Amts- und Würdenträger Russlands waren wie jedes Jahr in den prunkvollen Georgssaal des Kreml geladen, um Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation zu hören. Als der Präsident eine Rekordzahl im Neubau von Wohnungen vermeldete, als er den russischen Landwirten für ihren Einsatz dankte oder die „effektive Arbeit“ der russischen Armee in Syrien würdigte, unterbrachen sie ihn mit Applaus.
Putin sprach auch an, dass es viele Fälle von Korruption auf föderaler, regionaler und kommunaler Ebene gegeben habe. Den spektakulärsten Fall ließ der Präsident zwar unerwähnt, aber jeder im Saal erinnert sich wohl noch an die vor zwei Wochen erfolgte Festnahme von Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew, dem Korruption vorgeworfen wird. Es ist das erste Mal, dass Russlands Justiz gegen einen Minister vorgeht – ein Signal, dass sich auch im engeren Kreis der Macht derzeit niemand sicher fühlen kann. In Moskau gab es deutliche Zweifel daran, dass Uljukajew sich tatsächlich der Korruption schuldig gemacht hat. „Der Kampf gegen Korruption ist keine Show“, sagte Putin nun in seiner Rede. Uljukajews Nachfolger, der 34-jährige Vize-Finanzminister Maxim Oreschkin, wird ebenfalls zu den Wirtschaftsliberalen gerechnet.
Beziehungen Russlands zu China als beispielhaft
Putin skizzierte in seiner mehr als einstündigen Rede auch seine Vorstellungen einer künftigen Weltordnung. So ist es kein Zufall, dass er die „harmonische Partnerschaft“ mit China an erster Stelle nannte. Das russisch-chinesische Verhältnis sei „ein Beispiel für Beziehungen in einer Weltordnung, die nicht auf der Idee eines dominierenden Landes gegründet ist, wie stark es auch sein mag, sondern auf einem harmonischen Interessenausgleich aller Staaten“. Dahinter steht das von Russland seit Jahren propagierte Konzept einer multipolaren Welt als Gegenbild zu einer aus russischer Sicht von den USA geprägten Weltordnung. Eine engere Kooperation strebt Putin auch mit Indien und mit Japan an. In Putins Aufzählung wichtiger Partner kam Europa gar nicht mehr vor.
Dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump streckte der russische Staatschef die Hand entgegen: „Wir sind bereit, auch mit der neuen US-Regierung zusammenzuarbeiten.“ Es sei wichtig, die bilateralen Beziehungen „auf gleichberechtigter und wechselseitiger Grundlage“ zu normalisieren und auszubauen. Eine Zusammenarbeit Russlands und der USA bei der Lösung globaler und regionaler Probleme sei im Interesse der ganzen Welt. Zugleich schickte der Präsident eine deutliche Warnung hinterher: „Versuche, das strategische Gleichgewicht zu zerstören, sind äußerst gefährlich und können zu einer weltweiten Katastrophe führen.“ Das dürfe man „nicht eine Sekunde“ vergessen. Putin forderte die USA zur Zusammenarbeit gegen den internationalen Terrorismus auf.
"Mythen über russische Aggression und Propaganda"
Die wichtigsten Streitpunkte zwischen Russland und dem Westen – die Annexion der Krim, Moskaus Intervention in der Ukraine und den Vorwurf der versuchten Einflussnahme in westlichen Staaten, zuletzt im US-Wahlkampf – tat Putin in einem Nebensatz als „Mythen über russische Aggression, Propaganda und Einmischung in fremde Wahlen“ ab.
Russland wolle und brauche keine Konfrontationen mit anderen Ländern, sagte der Präsident. „Anders als einige ausländische Kollegen, die in Russland einen Gegner sehen, haben wir niemals Feinde gesucht. Wir brauchen Freunde.“ Doch auch diese versöhnlichen Worte ergänzt der Präsident mit einer Warnung: „Eine Verletzung und eine Missachtung unserer Interessen werden wir nicht dulden.“