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DDR-Bürger während einer Demonstration in Dresden am 19.12.1989 mit Deutschland-Flaggen.
© Wolfgang Kumm/dpa
Update

30 Jahre nach dem Mauerfall: Westdeutsche pflegen ähnliche Klischees über Ostdeutsche und Muslime

Migranten und Ostdeutsche haben nach einer Studie häufiger schlechter bezahlte Jobs als Westdeutsche. Beide Gruppen sehen sich als „Bürger zweiter Klasse“.

30 Jahre nach der friedlichen Revolution werfen mehr als ein Drittel der Westdeutschen den Ostdeutschen vor, noch nicht im heutigen Deutschland angekommen zu sein. Das geht aus einer Studie der Migrationsforscherin Naika Foroutan hervor, die am Dienstag vorgestellt wird. "Ostdeutsche sind mit ähnlichen Abwertungen konfrontiert wie Muslime", stellt die Forscherin fest. Vielen Westdeutschen fehle außerdem das Verständnis für die Lage von Ostdeutschen. "Sie ignorieren die Wunden der Wiedervereinigung", heißt es in der Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), die dem Tagesspiegel vorliegt.

Zwar hätten sich die Verhältnisse in den neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern angeglichen, heißt es. Dennoch seien „merkliche Teile der Bevölkerung noch immer weit davon entfernt, tatsächlich vergleichbare Lebenschancen zu haben“. So sei das Lohnniveau geringer, die Arbeitslosigkeit höher, und in Elitepositionen seien Ostdeutsche unterrepräsentiert, so die Forscher. „Dies alles gilt, sogar in verstärktem Maße, auch für die Situation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.“ Auch für sie bestehe „nach wie vor eine erhebliche Chancen-Lücke und eine ebenso ausgeprägte Unterrepräsentation, wenn es um die tatsächlichen Spitzenpositionen geht“.

Ein Drittel der Ostdeutschen sieht sich selbst in der Opferrolle

Für ihre Untersuchung wählte Foroutan, die sich bisher vor allem mit der Integration von Migranten in Deutschland beschäftigt hat, einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie untersuchte mit ihrem Forscherteam, ob es hierzulande Parallelen zwischen der Abwertung von Migranten - und hierbei speziell Muslimen - und von Ostdeutschen gibt. Für die Studie wurden rund 7200 Menschen ab 14 Jahren befragt, gut 4600 im Westen und etwa 2600 im Osten.

Und Foroutan entdeckt zahlreiche Analogien: Westdeutsche pflegen Klischees über Ostdeutsche – und zwar in einem vergleichbaren Umfang wie über Muslime. So fanden 41,2 der Befragten aus Westdeutschland, dass Ostdeutsche sich ständig als Opfer sehen. Diese Zahl liegt sogar über dem Wert für Muslime (36,5 Prozent). Doch auch viele Ostdeutsche haben dieses Vorurteil selbst verinnerlicht: Fast ein Drittel (28,5 Prozent) sehen sich in der Opferrolle. Ähnlich sieht es bei dem Vorwurf aus, noch nicht im heutigen Deutschland angekommen zu sein: Knapp ein Drittel (32,1 Prozent) der Ostdeutschen sagte dies über die eigene Gruppe.

Rund ein Drittel der Ostdeutschen fühlt sich außerdem als Bürger zweiter Klasse behandelt. Damit sehen sie sich auf einer Stufe mit Muslimen in Deutschland. Hier sagen ebenfalls ein Drittel, diese würden nicht gleichwertig behandelt. Parallelen gebe es auch bei den Zuschreibungen bei Extremismus. So sagten 37,4 Prozent der Westdeutschen über Ostdeutsche, dass diese sich nicht genug vom Extremismus distanzieren. Der entsprechende Wert liege gegenüber Muslimen bei 43,3 Prozent. Etwa die Hälfte der Ostdeutschen ist außerdem überzeugt, dass Ostdeutsche sich ebenso wie Muslime in Deutschland mehr anstrengen müssten, um das Gleiche zu erreichen.

Doch während viele Westdeutsche ein Gespür für die mangelnde Anerkennung von Muslimen haben, fehlt ihnen diese Sensibilität gegenüber ihren Mitbürgern aus dem Osten. Mehr als ein Drittel der befragten Westdeutschen sagen, Muslime würden wie Bürger zweiter Klasse behandelt, nicht einmal jeder Fünfte (18,2 Prozent) sieht eine solche Ungleichbehandlung bei Ostdeutschen. Und mehr als die Hälfte findet, dass Muslime sich stärker anstrengen müssten, um das Gleiche zu erreichen, während nur jeder Dritte (29,6 Prozent) dies über die Landsleute im Osten sagt.

Muslime als Konkurrenz

Auch wenn viele Ostdeutsche einen Blick für die Benachteiligung von Muslimen haben, so sehen sie diese zugleich als Konkurrenz. Angst vor der Mobilität „der Anderen“ sei für den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt „problematisch“, da so „selbst strukturell gelungene Integration als negativ empfunden werden kann“, heißt es in der Studie. Fast jede zweite Person im Osten hätte ein schlechtes Gefühl damit, wenn mehr Muslime in wichtige Führungspositionen kämen. Im Westen sehen dies ein Drittel der Befragten so. Auch Bildungserfolge von Muslimen werden als Bedrohung wahrgenommen.

Gut 40 Prozent der Ostdeutschen und etwa ein Drittel der Westdeutschen sind der Auffassung, man müsse aufpassen, dass Bildungserfolge von Muslimen nicht zu Lasten der Restbevölkerung gingen. Umgekehrt nehmen die Befragten im Westen Ostdeutsche nicht als Konkurrenz wahr: Nur jeder zehnte Westdeutsche hätte ein schlechtes Gefühl, wenn mehr Ostdeutsche in Führungspositionen kämen.

Hohe Zustimmung für eine Ostquote

Um gegen Benachteiligung vorzugehen, würde die Hälfte der Ostdeutschen eine Quote für Ostdeutsche bejahen – knapp ein Viertel der Westdeutschen wäre hiermit einverstanden. Jeweils knapp ein Drittel der West- und Ostdeutschen fände eine Quote für Migranten sinnvoll. Die Zustimmung für eine politische Steuerung sei "überraschend hoch", findet die Wissenschaftlerin Foroutan. Doch bisher werde dies von keiner Partei angemessen aufgenommen. (mit KNA)

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