Auf den Punkt: Gute Deutsche
Malte Lehming über Ossis, Migranten und die Bundestagswahl
Berlin, kurz nach der Wiedervereinigung: Im Penny-Markt am Kottbusser Damm steht ein Ossi in der Schlange und schimpft: "Schon wieder in der Schlange stehen. Dafür ham wa nich rübergemacht." Vor ihm steht ein Türke und antwortet: "Wir euch nix gerufen."
Es wird Zeit, an diesen Witz zu erinnern, weil sich kurz vor der Bundestagswahl, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, die Frage aufdrängt: Wer ist eigentlich besser in Deutschland integriert, die Ostdeutschen oder die Migranten? Auch die Titelgeschichte des aktuellen "Time"-Magazins befasst sich damit ("Germany's Unhealed Wound - As Germans prepare to vote, the Wall remains a symbol of promise unfulfilled").
Im Wahlverhalten, soviel vorweg, weichen beide Gruppen zum Teil erheblich vom statistischen Durchschnitt ab. 5,6 Millionen Migranten sind am 27. September wahlberechtigt. Das sind knapp neun Prozent aller Wahlberechtigten. Die mit 2,6 Millionen größte Gruppe der Spätaussiedler tendiert mehrheitlich klar zur Union. Bei den eingebürgerten Zuwandererfamilien aus der Türkei dagegen läge eine rot-grüne Bundesregierung mit rund 52 Prozent vorn. Nimmt man die Migranten allerdings insgesamt, so weicht deren Wahlverhalten kaum noch relevant vom statistischen Mittelwert ab. Außerdem macht sich in allen Migrantengruppen eine kontinuierliche Angleichung an das Wahlverhalten der übrigen deutschen Bevölkerung bemerkbar. Ein Beleg für eine funktionierende Integration.
Bei den Ostdeutschen sieht das anders aus. Die Linkspartei etwa liegt in Umfragen bei 25 bis 27 Prozent, während sie im Westen nur auf sieben Prozent kommt. In allen fünf neuen Bundesländern scheint sich eine politische Parallelwelt etabliert zu haben, auch mit regional zum Teil starken Ausschlägen in Richtung NPD. No-go-areas, also Gebiete, die Ausländer möglichst meiden sollen, gibt es zwar im Osten der Republik, aber nicht dort, wo überwiegend Migranten leben.
Interessant in diesem Zusammenhang ist die jüngste Studie des Sozialverbands "Volkssolidarität" (20 Jahre friedliche Revolution 1989 bis 2009 - Die Sicht der Bürger der neuen Bundesländer"). Ihr zufolge sind 40 Prozent der Ostdeutschen negativ gegenüber Ausländern eingestellt, eine Mehrheit fühlt sich nicht oder noch nicht hinreichend "als Bundesbürger integriert" (nur 25 Prozent fühlen sich als "richtige Bundesbürger"), zehn Prozent wollen die Mauer wieder haben. Das Misstrauen gegenüber den politischen Parteien wächst, die Loyalität zum demokratischen freiheitlichen Rechtsstaat nimmt ab.
Im starken Kontrast dazu stehen die Ergebnisse der jüngsten repräsentativen Umfrage des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup über die in Deutschland lebenden Muslime ("The Gallup Coexist Index 2009: A Global Study of Interfaith Relations"). Ihr zufolge identifizieren sich die rund 3,5 Millionen Muslime in Deutschland sogar stärker mit ihrer Wahlheimat als die Gesamtbevölkerung. 40 Prozent der deutschen Muslime spüren eine "enge Bindung zur Bundesrepublik" (gesamt: 32 Prozent); 73 Prozent halten Gerichte für vertrauenswürdig (gesamt: knapp die Hälfte); für 61 Prozent ist die Regierung rechtschaffen (gesamt: jeder Dritte). Die Wertschätzung der politischen Institutionen in der Bundesrepublik ist erstaunlich hoch, die Loyalität zur Wahlheimat (mit 71 Prozent) ebenfalls.
Noch ein Witz, diesmal ein ernster: Was ist der Unterschied zwischen einem Ausländer und einem Ostdeutschen? - Der Ausländer lässt sich leichter integrieren.