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Noch steht nicht fest, wer zuletzt lacht: Die SPD-Vorsitzenden-Kandidaten Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
© Bernd von Jutrcenka/dpa

SPD-Bewerber Esken und Walter-Borjans: „Werden die GroKo nicht fluchtartig verlassen“

Wollen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die große Koalition beenden, wenn sie SPD-Chefs werden? Und was passiert mit dem Finanzminister? Ein Interview.

Die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken aus Baden-Württemberg und der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans wollen Vorsitzende der SPD werden. In der zweiten Runde des Mitgliederentscheids konkurrieren sie bis Ende November mit der Brandenburgerin Klara Geywitz und Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Frau Esken, die Bundesregierung hat die eigene Arbeit zur Halbzeit sehr positiv bewertet. Hat die große Koalition viel geleistet?

Saskia Esken: Die Groko hat viel geleistet, gemessen an dem, was sie sich im Koalitonsvertrag vorgenommen hat.  Insbesondere unsere Ministerien haben große und wichtige Gesetzesvorhaben durch den Bundestag gebracht. Damit haben sie das Leben der Menschen in Deutschland verbessert. Trotzdem sage ich: Unsere SPD-Konzepte sind von der Union verwässert worden.

Das müssen Sie erläutern…

Esken: Nehmen wir unser Konzept der Kindergrundsicherung, das mit einem ganzheitlichen Ansatz Kinderarmut aus der Welt schaffen will. Das bekommen wir hier nicht durchgesetzt. Stattdessen wurde an ein paar Schräubchen gedreht, zum Beispiel der Kinderzuschlag um fünfzehn Euro erhöht. Das hilft natürlich, aber das ist halt  kein großer Wurf. Wir konnten die Union nicht überzeugen, dass wir das gesamte System der Kinderförderung verändern müssen, Leistungen entbürokratisieren und zusammenführen, damit sie wirksam werden.

Was heißt das für die nächsten zwei Jahre bis zur regulären Wahl?

Esken: Wir erleben einen rasanten Umbruch unserer Gesellschaft, der Wandel verunsichert die Menschen. Mit einer Politik der kleinen Schritte schafft man kein Vertrauen. Dazu braucht es zukunftssichernde Visionen und sozialdemokratischen Mut, um den Leuten Sicherheit zu geben. Es ist doch ein Alarmzeichen, wenn die Menschen der Groko so wenig zutrauen, obwohl sie sich selbst ein so gutes Zeugnis ausstellt. 

Glauben Sie, die Union ist in den kommenden zwei Jahren bereit für „zukunftssichernde Visionen“?

Esken: Mir fehlt die Fantasie, mir vorzustellen, dass die Union bereit sein könnte, etwa das Sozialstaatskonzept der SPD umzusetzen. Wir müssten die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge durchsetzen und dafür das Arbeitgeberveto abschaffen. Wir müssten den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen und die Kommunen mit massiven Investitionen entlasten. Gerade jetzt, wenn die Konjunktur nachlässt. Eine Fortsetzung der großen Koalition macht nur Sinn, wenn sie sich den  großen Aufgaben stellt.

Norbert Walter-Borjans: Es gibt beachtliche Leistungen der großen Koalition. Ich denke an die paritätische Finanzierung der Beiträge zur Krankenversicherung, die Erhöhung des Kindergeldes, attraktivere Angebote für Menschen, die den Pflegeberuf ergreifen wollen. Das kostet Geld. Und da hat die Union sehr genau aufgepasst, dass hohe Einkommen bei der Lastenverteilung geschont werden. 

Haben Sie dafür Beispiele?

Walter-Borjans: Als das Kindergeld erhöht wurde, wurde auch der Kinderfreibetrag erhöht, damit bleibt die mit dem Einkommen zunehmende Förderung von Kindern. Von Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Grundrente spricht da niemand. Es gab Geld für den Wohnungsbau, aber das Baukindergeld nützt nun wirklich nicht den Empfängern kleiner und mittlerer Einkommen. Die Abschaffung des Soli bringt der ärmeren Hälfte gar nichts. Auch beim Klimapaket geht es nicht gerecht zu. Diese soziale Schieflage der Finanzierung in der großen Koalition gehört auch mit in die Bilanz.

Auch an Sie die Frage: Was heißt das für die nächsten zwei Jahre?

Walter-Borjans: Dass ich Zweifel daran habe, dass wir den Klimaschutz mit CDU/CSU schnell und wirksam genug und für Normalverdiener tragbar zuwege bringen können. Das Klimapaket enthält erhebliche Wirkungsbremsen und sowohl die vorgesehenen Steueranreize als auch die Lasten sind nicht gerecht verteilt. Außerdem haben wir  massiven Investitionsbedarf in Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur, vor allem die Kommunen müssten investieren. Ich bezweifle, dass wir diese Investitionen mit einem ausgeglichenen Haushalt ohne neue Kredite stemmen können. Die „Schwarze Null“ von Olaf Scholz versperrt Wege in die Sicherung der Zukunft.

Gesetzt den Fall, der SPD-Parteitag Anfang Dezember entscheidet, die große Koalition zu beenden. Zieht die SPD dann ihre Minister zurück?

Esken: Solche technischen Fragen klären wir später, das steht jetzt nicht im Mittelpunkt. Ein fluchtartiges Verlassen der Koalition ist jedenfalls nicht geplant.

Sie sprachen im ZDF von einem Plan für eine Minderheitsregierung. Was steht in dem Plan?

Esken: Der Plan für eine Minderheitsregierung wäre Angelegenheit von CDU und CSU, ich habe die Option benannt. Ich sage nur: Das Aufkündigen der großen Koalition bedeutet nicht automatisch das Ende der Regierung zwei Wochen später. Da gibt es verschiedene Optionen, auch die einer Minderheitsregierung. Sollte der SPD-Parteitag entscheiden aus der großen Koalition auszusteigen, ist die Union am Zug. Sie muss entscheiden, wie es weitergeht.

Herr Walter-Borjans, Sie raten der SPD, auf einen Kanzlerkandidaten zu verzichten. Soll die SPD den Anspruch aufgeben, die Bundesregierung zu führen?

Walter-Borjans: Nein. Sehen Sie sich das Video des Interviews mit den beiden Kandidaten-Duos von „Spiegel online“ einmal ganz an. Ich habe dort mehrfach für eine fortschrittliche Regierungsmehrheit geworben, in der die SPD die stärkste Kraft ist. Wenn diese Perspektive besteht, muss man auch eine Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Ich bin zuversichtlich, dass es Saskia und mir als Parteivorsitzenden gelingen kann, Wählerinnen und Wähler wieder zurückzuholen, die uns nahestehen, aber momentan unzufrieden mit der SPD sind. Mit anderen Worten: Mit uns würde die SPD zulegen. Wenn es drauf ankommt, werden wir Kandidaten haben. Jetzt kommt es auf die Stärkung der SPD an.

Kann Olaf Scholz Vizekanzler und Bundesfinanzminister bleiben, wenn er gegen sie verliert?

Esken: Wir haben uns gegenseitig von Anfang an versprochen, dass die unterlegenen Bewerberinnen und Bewerber um die Parteispitze nicht beschädigt aus dem Verfahren gehen sollen. Natürlich kann Olaf Scholz auch im Zusammenwirken mit  einer auf sozialdemokratisches Profil setzenden SPD-Führung Vizekanzler und Finanzminister bleiben, solange diese Regierung weiterbesteht. Ich habe ja schon gesagt: Die SPD ist nicht verantwortungslos. Wir werden die Regierung nicht von einem Tag auf den anderen kollabieren lassen.

Frau Esken, Sie sind Bundestagsabgeordnete und waren früher Landeselternvertreterin. Was macht Sie so sicher, dass Sie ein Amt ausfüllen können, an dem gestandene Ministerpräsidenten und eine mit allen Wassern gewaschene Gremienpolitikerin gescheitert sind?

Esken: Ich war stellvertretende Vorsitzende im Landeselternbeirat Baden-Württemberg. Das ist kein ganz einfaches Gremium, denn es vertritt die teils recht unterschiedlichen Interessen und Auffassungen der Eltern von mehr als einer Million Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg. Ich glaube, ich bringe die Fähigkeiten mit, die es braucht, um die SPD wieder zusammenzuführen. Ich bringe auch die Fähigkeiten mit, nach innen wie nach außen die Gesprächsfäden  wieder aufzunehmen, gerade auch in die Zivilgesellschaft. Ich glaube, dass wir mit den Gewerkschaften, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem BUND und vielen anderen Verbänden und Gruppen wieder enger kooperieren können als bisher. Auch und gerade wenn sie uns kritisch begleiten. Dazu kommt mein grundlegendes Verständnis für die Arbeits- und Kommunikationsformen des digitalen Zeitalters und meine Fähigkeit, junge Menschen in unsere Arbeit einzubinden.

Aus der SPD wird immer wieder verbreitet, Sie beide hätten mit Juso-Chef Kevin Kühnert ein Abkommen, wonach die Jusos für Sie werben und Sie als Parteichefs Kühnert dann zum Generalsekretär machen. Stimmt das?

Walter-Borjans: Nein, das stimmt definitiv nicht. Mich bedrückt die Begrenztheit des Vorstellungsvermögens, auf die man im politischen Berlin trifft. Die Begrenztheit besteht darin, dass manche Leute sich nicht vorstellen können, dass jemand Unterstützung gewährt, ohne dass damit eine Gegenleistung verknüpft ist. Kevin Kühnert und die NRW-Jusos hatten mich schon vor der Kandidatur angesprochen und mir gesagt, in ihren Augen sei ich jemand, der für ihre Generation etwas bewegen könne. Aber auch Oberbürgermeister, Unternehmer, Kulturleute haben mir geraten, mich zu bewerben.

Was wollen Sie an der Parteikultur der SPD ändern, Herr Walter-Borjans?

Walter-Borjans: Ein ganz wichtiges Ziel besteht für mich darin, die Spitze und die Basis der SPD wieder zusammenzubringen. Mir fällt eines auf: Es löst erhebliche Unruhe aus, dass wir von der Basis so viel Unterstützung bekommen, dass viele Mitglieder und Funktionsträger der SPD uns vertrauen.  Es wird eine schwierige und spannende Aufgabe, die Basis und die Spitze in der SPD wieder miteinander zu versöhnen. Das ist aber bitter nötig, und wir trauen uns das zu.

Wie beurteilen Sie die Einigung auf die Grundrente vom Sonntag? Schlägt sie bei der Bilanz der Groko auf der Habenseite zu Buche?

Esken: Es war höchste Zeit, dass die GroKo bei der Grundrente liefert - fast zwei Jahre, nachdem das vereinbart wurde. Die SPD hat die Bedürftigkeitsprüfung, wie sie die Konservativen haben wollten, streitig gestellt und konnte sich damit durchsetzen. Das ist ein schöner Erfolg, und der kommt jetzt vielen Menschen zugute, die trotz ihrer jahrzehntelangen Leistungen in Erwerbs- und Familienarbeit nur einen geringen Rentenanspruch erwirtschaften konnten. Mit diesem Verhandlungserfolg hat sich gezeigt, dass die Sozialdemokraten mit klarer und standhafter Haltung durchaus gute Politik machen können. Bei der Finanzierung der Mehrkosten über die Finanztransaktionssteuer kommt es jetzt darauf an, dass der Finanzminister ein tragfähiges Modell vorlegt und durchsetzt. Klar ist: Die SPD will auch weiterhin eine Grundrente für alle nach dem niederländischen Modell, das machen wir im nächsten Schritt. Und wir bleiben als Politik auch in der Pflicht, vor allem durch höhere Mindesteinkommen und die Regulierung prekärer Beschäftigungsformen dafür zu sorgen, dass  Rentenarmut gar nicht erst entsteht.

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