Die Zeit läuft für Manfred Weber: Wer wird Nachfolger von Jean-Claude Juncker?
Manfred Weber will der nächste EU-Kommissionspräsident werden – Emmanuel Macrons Versuch, ihn zu verhindern, ist vorerst gescheitert.
Das Nervenkostüm für ein anspruchsvolles EU-Amt bringt er schon einmal mit. Locker und lächelnd beginnt Manfred Weber den Tag, an dem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron mit dem Vorsatz nach Brüssel kommt, Webers Kandidatur für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu beerdigen.
Mit dem Start des möglicherweise entscheidenden Tages kann Weber ganz zufrieden sein. Morgens hatten sich Weber und die anderen Fraktionschefs aus dem Europaparlament getroffen und eine Erklärung beschlossen, die ihn zwar nicht namentlich erwähnt, die der 46-Jährige aber dringend braucht.
Das Parlament macht darin deutlich, dass es niemanden zum Kommissionspräsidenten wählt, der nicht im Wahlkampf Spitzenkandidat war. Die Grüne Ska Keller, Udo Bullmann (SPD) und Weber selbst erklären es hinterher noch einmal vor den Kameras: „Wir stehen zum Spitzenkandidaten-Prozess.“
Dies ist eine wichtige Ansage an die Staats- und Regierungschefs, die sich später zum Abendessen treffen, im Ringen um Mitsprache bei der Auswahl des nächsten Chefs der EU-Kommission. Und es ist die Absage an Versuche des französischen Staatspräsidenten und mehrerer liberaler Regierungschefs, die wichtigste Personalie in der EU wieder so wie früher allein im Kreise der „Chefs“ auszukegeln. Wenn das Parlament Kurs hält, dann wäre etwa der Franzose und bisherige Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier chancenlos, mit dem Macron liebäugelt.
Neue Töne von Merkel
Ein Wermutstropfen für Weber: Die Liberalen im Europaparlament, die kräftig zugelegt haben und auf 109 Sitze kommen, unterstützen die Erklärung nicht, die Parlamentspräsident Antonio Tajani am Abend den „Chefs“ vortragen will. Der Grund ist wohl die sich anbahnende Liaison zwischen Macron und der liberalen Alde-Fraktion. Die Alde hat daher keinen eigenen Spitzenkandidaten aufgestellt.
Alde-Chef Guy Verhoftstadt war früher ein glühender Anhänger des Spitzenkandidaten-Prozesses. Jetzt ist er dagegen. Angeblich weil der Spitzenkandidat nur in Kombination mit europaweiten Listen für Europaparlamentskandidaten sinnvoll sei: „Ein Spitzenkandidat, den man nicht EU-weit wählen kann, macht einfach keinen Sinn.“
Auch beim zweiten wichtigen Treffen des Tages läuft es gut für Weber. Traditionell kommen vor jedem Gipfel die Spitzen der christdemokratischen Parteienfamilie (EVP) zusammen. Darunter sind nach der Abwahl von Österreichs Kanzler und Weber-Unterstützer Sebastian Kurz nicht mehr acht, sondern nur noch sieben Staats- und Regierungschefs.
Sie sind Webers wichtigstes Pfund in den anstehenden Auseinandersetzungen. Der EU-Vertrag sieht vor, dass die Staats- und Regierungschefs im Lichte des Wahlergebnisses und nach Einbeziehung des Parlaments einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlagen.
21 von 28 Staats- und Regierungschefs müssen zustimmen. Das heißt: Die Staats- und Regierungschefs, die zur EVP-Parteienfamilie von Weber gehören, haben eine Sperrminorität und können jeden anderen Kandidaten im Rat verhindern.
Bevor der Sondergipfel losgeht, trifft sich Angela Merkel mit Ratspräsident Donald Tusk. Tusk trifft sich mit Macron, auch Merkel trifft sich mit Macron. Die Vielzahl der Treffen zeigt, wie wichtig die anstehende Entscheidung in den Hauptstädten genommen wird.
Merkel, die selbst nie ein Fan des Spitzenkandidaten-Prozesses war, schlägt ganz neue Töne an. Als sie als erste Regierungschefin gegen 15 Uhr das Ratsgebäude betritt, gibt sie eine Solidaritätsadresse für Weber ab. Beim Treffen mit ihren Kollegen werde sie sich „natürlich für den Kandidaten aus meiner eigenen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber, einsetzen“, kündigt sie an. Mehr noch: Merkel, die - wie viele im Rat - früher dem Parlament möglichst keine Mitsprache bei der wichtigen Personalie einräumen wollte, bekennt sich ausdrücklich zum Spitzenkandidaten-Prozess.
Am Ende ist klar: Macrons Versuch, Weber als Spitzenkandidat aus dem Rennen zu nehmen, ist gescheitert. Die Chefs einigen sich darauf, dass Tusk bis zum nächsten Gipfel Ende Juni in enger Abstimmung mit dem Parlament und mit dem Rat einen Personalvorschlag machen soll. Man einigt sich, dass das Kriterium „Erfahrung“ zum „Bewerberprofil“ gehört.
Und Merkel wehrt ab, dem „Parlament zu sagen, dass nur Erfahrung in der Kommission“ oder einer Regierung dazu zähle. Der Bewerber müsse nicht nur konsensfähig in Rat und Parlament sein, sondern auch handlungsfähig, mahnt Merkel. Damit meint sie: Es dürfen im Auswahlverfahren „keine Wunden“ gerissen werden.
„Nur wenn wir pfleglich miteinander umgehen“, stoße der künftige Kommissionspräsident auf die nötige Akzeptanz in den Mitgliedstaaten. Die sei notwendig, damit die EU schnell wieder handlungsfähig werde und etwa den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFF) schnell in trockene Tücher zu bekommen.