Reform des Asylsystems in der EU: Wer nicht aufnimmt, soll bei der Abschiebung helfen
Die Asylpolitik der EU ist gescheitert. Die Kommission macht nun Vorschläge für ein besseres Management der Zuwanderung - wenn die Pläne angenommen werden.
Die EU-Kommission will das System zur Aufnahme und Überprüfung des Anspruches auf Asyl reformieren. Sie verspricht ein vorhersehbares und verlässliches Management der Zuwanderung, wenn die Mitgliedstaaten und das Parlament die Vorschläge annehmen.
Das bisherige System
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise kamen 1,82 Millionen Zuwanderer illegal über die Land- und Seegrenze. Die Hauptankunftsländer Griechenland und Italien waren überfordert mit der Prüfung der Asylanträge. Die Mitgliedstaaten hatten sich 2015 darauf geeinigt, dass jedes Land Griechenland und Italien eine gewisse Zahl von Flüchtlingen abnimmt. Der Beschluss wurde mehrheitlich gefällt und war gültig. Doch es kam zum Eklat. Polen, Ungarn und einige andere osteuropäische Staaten weigerten sich, Solidarität zu üben und Flüchtlinge aufzunehmen. Der Streit ist bis heute nicht beigelegt. Derzeit ist die illegale Migration gering: 2019 kamen noch 142000 illegale Zuwanderer. 2015 baten 1,28 Millionen Migranten um Asyl, 2019 waren es 698000. Jedes Jahr werden etwa 370000 Asylanträge in der EU abgelehnt, nur ein Drittel der Abgelehnten verlässt tatsächlich die EU.
Was sich ändert
Die Kommission gibt den Anspruch auf, dass sich alle Mitgliedstaaten solidarisch zeigen und Asylbewerber aus stärker belasteten Mitgliedstaaten bei sich aufnehmen müssen. Sie verlangt aber, dass Länder, wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei in Zukunft stattdessen dafür sorgen, dass abgelehnte Asylbewerber die EU tatsächlich wieder verlassen. Diese Länder sollen Solidarität leisten, indem sie die Rückkehr sponsern. Sie sollen sich bei der Rückkehr auch auf bestimmte Nationalitäten spezialisieren können. Wenn sie es nicht schaffen, binnen acht Monaten die abgelehnten Asylbewerber außerhalb der EU zu bringen, müssen sie sie selbst aufnehmen. In Zeiten mit besonders hohem Migrationsdruck könnte die Kommission für jeden Mitgliedstaat Quoten für Migranten festlegen.
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Die Quoten würden besagen, wie viele Migranten ein bestimmtes EU entweder selbst aufnehmen muss oder bei wie vielen Migranten aktiv dafür sorgen muss, dass sie die EU wieder verlassen. Das jeweilige Mitgliedsland kann sich auch für ein Mix aus Aufnahme und gesponserte Rückführer entscheiden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt: „Es wird in Zukunft nicht die Frage sein, ob ein Mitgliedsland Solidarität leistet, sondern in welcher Form.“ Ihr Ziel ist, dass die Mitgliedstaaten der neuen Regel bis Ende des Jahres zustimmen.
Wer zuständig ist
Im Prinzip soll es bei der „Dublin“-Regelung bleiben. Der Mitgliedstaat ist für einen Asylbewerber zuständig, in dem der Zuwanderer erstmals EU-Boden betreten hat. Neben dem Ankunftsland könnten weitere Kriterien für die Verteilung innerhalb der EU sein, welches Land ein Einreisevisum erteilt hat, wo womöglich Verwandte bereits leben und welcher Arbeitsmarkt Bedarf an den Qualifikationen hat, die ein Zuwanderer mitbringt.
Reform der Einreise
Zum einen soll der Schutz der EU-Außengrenzen gegen die illegale Migration verstärkt werden. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll ab Januar über 10000 Mitarbeiter verfügen, die teils aus den Mitgliedstaaten kommen, teils eigene Kräfte sind. Es soll bis 2023 ein EU-weit harmonisiertes IT-System aufgebaut werden, damit Betrug mit Reisedokumenten schneller auffällt. Bis 2025 soll es ein vergleichbares System auch für den Abgleich von Visa-Daten geben. Auch in Zukunft sind Mitgliedstaaten für die Abwicklung der regulären Übertritte zuständig. Bislang nehmen sie die Fingerabdrücke. Künftig soll es für jeden Zuwanderer verpflichtend ein Screening geben. Dabei soll die Identität eindeutig geklärt werden, der Gesundheitszustand wird überprüft, die Fingerabdrücke genommen. Dazu und für die Überprüfung, ob die Einreise rechtens ist, soll der Mitgliedstaat fünf Tage Zeit haben. Diese Checks müssen nicht auf EU-Territorium stattfinden. Wenn sich dabei abzeichnet, dass die Chancen auf Asyl gering sind, soll es ein Schnellverfahren geben. Innerhalb von zwölf Wochen soll der Betreffende dann ein Ergebnis haben.
Die Rettung von Schiffbrüchigen
Seit 2015 haben Schiffe der EU-Grenzschutzbehörde Frontex 600 000 Migranten aus Seenot befreit und in die EU gebracht. Außerdem operieren zahlreiche private Hilfsorganisationen im Mittelmeer. Seit 2019 sind 1800 Migranten, die an Bord von privaten Hilfsorganisationen waren, auf willige EU-Mitgliedstaaten verteilt worden.
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Die Kommission bekennt sich zur moralischen Pflicht, Menschen in Seenot zu retten. Sie ruft die Mitgliedstaaten auf, sich untereinander auf gemeinsame Kriterien bei der Bergung von Schiffsbrüchigen zu einigen.
Die Zukunft des EU-Türkei-Abkommens
Seit 2016 hat die EU neun Milliarden Euro im Rahmen von Migrationspartnerschaften mit EU-Anrainerstaaten ausgegeben. Darunter ist auch der EU-Türkei-Deal. Insgesamt hat die EU 24 derartiger Abkommen unterschrieben, bei denen die Nicht-EU-Länder die Wiederaufnahme ihrer Landsleute garantieren und die EU sich zu Geld für Jobs und Schulen vor Ort verpflichtet. Die Kommission zieht eine gemischte Bilanz, bekennt sich aber grundsätzlich dazu, dass Partnerschaften die Zahl der illegalen Zuwanderer reduzieren können.
Die nächsten Schritte
Die Kommission wird Gesetzestexte erarbeiten, denen das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten mehrheitlich zustimmen müssen. Die entscheidende Frage ist, ob die Länder, die bislang die Aufnahme von Migranten aus anderen EU-Staaten kategorisch ablehnen, nun bereit sind, Solidarität zu zeigen und sich wenigstens an der Abschiebung zu beteiligen. Eine Prognose dazu ist schwer.