EU-Migrationspaket: Orban sollte die EU-Flüchtlingspolitik nicht ein zweites Mal scheitern lassen
Ob der Brüsseler Migrationsplan Erfolg hat, hängt vor allem von einem Punkt ab: der Bereitschaft der Osteuropäer, bei Abschiebungen zu helfen. Ein Kommentar.
Seit der Flüchtlingskrise von 2015 streiten sich die EU-Länder ohne Ergebnis über eine europäische Asyl- und Migrationspolitik. Nun soll endlich ein Vorschlag eine Lösung bringen, den die EU-Kommission vorgelegt hat. Der Vorstoß soll nach jahrelangem Gezänk eine Brücke schlagen zwischen aufnahmeunwilligen Ungarn und überlasteten Griechen, zwischen Seenotrettern und Mahnern, die vor immer neuen Anreizen für die Schlepper warnen. Der Vorschlag aus Brüssel ist aber vor allem eines: ein Schlag ins Gesicht all jener in Deutschland, die eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen befürworten und dies nach der Brandkatastrophe von Moria auch gerade wieder lautstark artikuliert haben.
Warum das neue Migrationspaket der Kommission keineswegs den Vorstellungen von Politikern vor allem aus Deutschland folgt, die für die Übernahme von möglichst vielen Flüchtlingen aus Griechenland oder Italien plädieren, hat Margaritis Schinas am Mittwoch erläutert. Der Vizepräsident der EU-Kommission, der selbst aus Hellas kommt, verwies auf die Wunden, die im Streit zwischen den EU-Staaten seit der Flüchtlingskrise nicht verheilt sind.
[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Unter dem Druck der hohen Flüchtlingszahlen wurde seinerzeit auf dem Höhepunkt der Krise ein Mechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen beschlossen, den einige osteuropäische Staats- und Regierungschefs, allen voran Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, bis heute nicht akzeptieren. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass der Europäische Gerichtshof inzwischen Ungarn, Polen und Tschechien einen Verstoß gegen EU-Recht bescheinigt hat.
Es ist gut, wenn die EU-Staaten ein neues Kapitel aufschlagen
Es entspricht aber politischer Weisheit, wenn die EU nun darauf verzichtet, in der Migrationspolitik immer wieder politische Schlachten von gestern zu schlagen – zumal in Zeiten, in denen die Flüchtlingszahlen weit unter dem Niveau von 2015 und 2016 liegen.
Daher liegt der Schwerpunkt des neuen Vorschlages aus Brüssel ganz im Sinne von Ungarn und Polen nun nicht mehr auf der Verteilung von Flüchtlingen, sondern auf der Abschiebung von Migranten, die keine Chance auf einen Schutzstatus haben. Man mag das beklagen, weil dies nicht den Verlauf der hiesigen Diskussion nach dem Brand von Moria abbildet. Aber es entspricht der Sichtweise in der Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten.
Aber auch wenn EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit ihrem Vorschlag einen großen Schritt auf Ungarn, Polen und Tschechien zugegangen ist, so ist noch keineswegs garantiert, dass der Streit um die europäische Asylpolitik demnächst wirklich gelöst wird.
Von der Leyen betreibt Augenwischerei
Denn mit ihrer Ankündigung, dass mit ihrem Vorstoß das bisherige Dublin-System abgeschafft werde, hat von der Leyen Augenwischerei betrieben. Eher sieht der Brüsseler Plan zügigere Verfahren innerhalb des Dublin-Systems vor, dem zufolge jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig ist, auf dem Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten.
Ob Griechenland und Italien in der Asylpolitik wirklich auf Dauer entlastet werden, müsste sich auch erst noch zeigen. Die „Koalition der Unwilligen“ aus Osteuropa ist nun aufgerufen, den Mittelmeeranrainern bei der Abschiebung nicht schutzbedürftiger Migranten zu helfen. Orban und Co. sollten zumindest diese Chance ergreifen, damit Europa kein zweites Mal in der Flüchtlingspolitik am Mangel an Einigkeit scheitert.