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Heiko Maas, Bundesjustizminister.
© REUTERS

Entlassung von Generalbundesanwalt Range: Wer ist dieser Heiko Maas?

Er gibt den Minister der linken Herzen, den Unangepassten. Doch als Justizminister muss er auch ganz Staatsmann sein. Das Doppelleben ist für Heiko Maas einmal mehr zur Falle geworden – im Streit mit dem Generalbundesanwalt. Nur diesmal ging es um alles.

Der Bundesjustizminister geht zügig. Was jetzt kommt, will er schnell erledigt haben. Es ist 18 Uhr 21. Heiko Maas betritt gemeinsam mit seinem Sprecher und Vertrauten aus Saarländer Tagen, Thorsten Bischoff, durch eine Glastür im ersten Stock die Pressebühne des Bundesjustizministeriums. Die Kameraleute, kurzfristig herbeigerufen, warten schon. Mit einer schwungvollen Bewegung legt Bischoff seinem Chef den knappen Text auf dem Rednerpult bereit, silbrig wie ein Schwert blitzt die Ministerkrawatte auf. Maas umgreift die Ränder des Rednerpults, verliest das Urteil: Vertrauen nachhaltig gestört. Versetzung in den Ruhestand wird beantragt. Nachfolger wird vorgeschlagen. Zack. Weg ist der deutsche Generalbundesanwalt. „Wer möchte das gern noch mal schriftlich?“, fragt Bischoff. Da ist der Minister schon wieder verschwunden.

Es ist das Finale einer beinahe bizarren und in guten Teilen öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung, einer Art Fernduell über die geografische Distanz von 675 Kilometern zwischen Karlsruhe und Berlin, aber auch über die Sympathie-Distanz zwischen einem Buhmann und einem Strahlemann, zwischen Generalbundesanwalt Harald Range und Bundesjustizminister Heiko Maas. Die Angelegenheit ist aber nicht nur ein einmaliger Vorgang in der deutschen Rechtsgeschichte. Sie erzählt auch viel über den Mann, der an oberster Stelle mit der politischen Rechtspflege betraut ist: Heiko Maas.

Seit fast einer Woche ist bekannt, dass der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen Markus Beckedahl und Andre Meister führt, Gründer und Redakteur des Blogs Netzpolitik.org. Das Verfahren geht auf eine Anzeige von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zurück. Zuletzt stand aber vor allem die Frage im Fokus, ob Range das Verfahren tatsächlich hätte eröffnen müssen.

Schon am Freitag, 31. Juli, hatte Maas sich öffentlich von Range distanziert, ebenfalls in einem knappen Kamerastatement. „Ich habe heute dem Generalbundesanwalt mitgeteilt“, sagte Maas, „dass ich Zweifel daran habe, ob die Journalisten mit ihrer Veröffentlichung die Absicht verfolgt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen“ – was ein Vorgehen wegen Landesverrats erst ermöglicht hätte. Er bezweifle, dass es sich bei den auf dem Blog veröffentlichten Dokumenten überhaupt um Staatsgeheimnisse handelt, sagte Maas.

Harald Range holt zu Gegenschlag aus

Aber anstatt die Sache auf sich beruhen zu lassen, holt Range zum Gegenschlag aus. Am Sonntag veröffentlichte er eine Presseerklärung, in der er mitteilte, er habe Maas bereits am 27. Mai über das Ermittlungsverfahren informiert. Maas’ Sprecher Philip Scholz muss sich daraufhin am Montag Vormittag in der Bundespressekonferenz fragen lassen, warum sein Chef nicht schon im Mai stärker Druck ausgeübt habe, um das Ermittlungsverfahren zu stoppen – wenn er denn die Pressefreiheit für ein so hohes Gut halte, wie er im Zuge der Affäre betonte. Weil eine Weisung eben nicht in Frage komme, solange der Generalbundesanwalt nicht rechtswidrig handele, war die Antwort von Scholz.

Buhmann. Generalbundesanwalt Harald Range tritt am Dienstag vor die Presse. Was er verkündet, ist kein Rücktritt, sondern ein Angriff – auf seinen Chef, den Justizminister.
Buhmann. Generalbundesanwalt Harald Range tritt am Dienstag vor die Presse. Was er verkündet, ist kein Rücktritt, sondern ein Angriff – auf seinen Chef, den Justizminister.
© dpa

Nur einen Tag später, am Morgen jenes Tages, an dem Maas ihn in den Ruhestand schicken wird, tritt der Generalbundesanwalt sogar vor Kameras auf. Die Einladung zur Pressekonferenz erreicht die Karlsruher Rechtskorrespondenten morgens um 8.01 Uhr per Mail. Unter den wartenden Journalisten macht ein Wort die Runde. Es lautet: Rücktritt. Range kommt ruhigen Schrittes. Er tritt vor die Mikrofone, aus der Innentasche seines Jacketts zieht er bedächtig ein Blatt Papier und beginnt, seine Erklärung zu verlesen. Am 17. Juni 2015, sagt Range, habe er ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, um prüfen zu lassen, ob es sich bei den von Netzpolitik.org veröffentlichten Dokumenten um Staatsgeheimnisse handele. Sein Gutachter habe die Frage bejaht. Doch vom Bundesjustizministerium sei ihm die Weisung erteilt worden, den Auftrag für das Gutachten zurückzurufen. Und dann der Satz: „Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz.“

Ein Generalbundesanwalt, der dem Justizminister vorwirft, in die Unabhängigkeit der Justiz einzugreifen, das ist unerhört. Maas ist dem Generalbundesanwalt weisungsbefugt. Dennoch ist jeder Eingriff brenzlig. Dieses Weisungsrecht des Justizministers ist eine Art Anomalie in der Logik der Gewaltenteilung. Der Deutsche Richterbund bemängelt das schon lange. Nach dieser Eskalation musste das politische Berlin einfach reagieren.

Der Richterbund greift Maas an

Der Vorsitzende des Richterbundes, Christoph Frank, greift Maas öffentlich an. Rechtspolitiker aus der Union versenden etliche Pressemeldungen. Die Fraktion der Grünen im Bundestag beantragt eine Sondersitzung des Rechtsausschusses, um Heiko Maas und Harald Range zu befragen. Innerhalb weniger Stunden wird Maas vom Verteidiger der Pressefreiheit zur Gefahr für die Freiheit der Justiz. Aus dem Fall Range droht ein Fall Maas zu werden. Renate Künast, die Vorsitzende des Rechtsausschusses, hat sich am Dienstag Nachmittag zu Hause verbarrikadiert. Es ist einfach zu heiß, in ihrem Büro ist es nicht auszuhalten. Am Telefon diktiert sie Journalisten ihre herbe, aber zutreffende Analyse: „Jetzt kann nur noch einer bleiben. Maas oder Range.“

Krisensitzung im Justizministerium

Im Bundesjustizministerium haben sie das natürlich auch sofort verstanden. Schon kurz nach Ranges Statement klingeln ununterbrochen die Telefone. Aus Maas’ Umfeld heißt es später, der Angriff des Generalbundesanwalts sei „ziemlich überraschend“ gekommen. Noch am Vorabend habe es ja ein Gespräch mit Range gegeben, denn schon die Pressemitteilung des Generalbundesanwalts hatte den Minister düpiert. Maas selbst hat gerade eine Woche Urlaub, auch die Kanzlerin ist weg. Noch am Dienstagvormittag ist er gar nicht in Berlin, sondern mit seiner Familie im Umland. Die Kommunikationsstrategen des Justizministers ziehen sich zur Krisensitzung zurück. Einen halben Tag lang herrscht Funkstille.

Dann geht es schnell, ganz nach der Methode Maas: In den weniger als acht Stunden zwischen Ranges Karlsruher Pressekonferenz und Maas’ öffentlichem Statement in Berlin um 18 Uhr 21 tüten der Minister und seine Mannschaft alles ein. Exit-Strategie, Rücksprache mit dem Kanzleramt, Benachrichtigung des Nachfolgers, Feilen an der öffentlichen Formulierung. Am Ende des Tages ist Range so gut wie pensioniert, und Maas hat die Kontrolle zurück erlangt. Jedenfalls vorerst.

Die tieferen Gründe von Maas’ Misere allerdings liegen vor diesem ereignisreichen Dienstag. Das jetzige Duell zwischen Range und dem Justizminister ist gewissermaßen nur die Spielart eines tieferen Konflikts: der innere Konflikt des doppelten Maas.

Als Maas noch jung war und zum ersten Mal für den Landtag kandidierte, trat er als junger Wilder an. 1994 war das und Maas war Juso-Landesvorsitzender, er wollte in den Landtag. Leute aus seinem engeren Saarländer Umfeld erzählen bis heute gern die Geschichte, wie Maas und seine Unterstützer gegen die Geschäftsordnung des Saarländer Landtags verstießen, um ein Fotoshooting für Maas’ Wahlkampf im Landtag zu machen. „Wir wollten was mit Risiko machen“, erinnert sich ein Weggefährte. Maas sollte als der Unangepasste positioniert werden, als Quergeist. Er hatte sich damals schon durch seine offene Kritik am Kurs von Partei-Patriarch Oskar Lafontaine einen Namen gemacht. Die Jusos verschafften sich Zutritt zum Plenarsaal. Maas posierte sitzend auf dem Rednerpult, in zerrissenen Jeans. Im Hintergrund sollten sowohl die Fahne des Saarlands als auch die Deutschlandfahne zu sehen sein, dafür mussten Maas und die anderen die saarländische Fahne verrücken, eine Kordel riss, die ganze Legislaturperiode habe die Fahne dann so da gestanden, erzählt ein alter Parteifreund. Die Jusos hatten gehofft, dass die Landtagsverwaltung, wenn das Bild erst mal in den Straßen hinge, dagegen vorgehen würde – das Rebellen-Image wäre perfekt gewesen. „Den Gefallen hat der Landtag uns aber leider nicht getan“, sagt einer.

Der junge Wilde

Maas zog trotzdem ins Parlament ein, doch mit jung und wild war er nicht lange. Der talentierte Herr Maas fiel Oskar Lafontaine auf, der ihn trotz Bedenken aus Parteikreisen, er sei zu jung und zu unerfahren, zum Staatssekretär machte. Maas enttäuschte den Patriarchen nicht. Er machte sich auch als Staatsmann gut, wurde selbst Minister.

Das Doppelleben als Stürmer und Staatsmann versucht Maas auch in Berlin weiter zu leben. Maas ist der Minister der linken Herzen, der Minister für das politisch Korrekte. Fast ein Liberaler, aber mit viel strukturwandeltrainierter Empathie. Er ist, wie die neue FDP sein möchte, nur besser.

Kaum einer hat sich so entschieden gegen Pegida und gegen die Anschläge auf Flüchtlingsheime geäußert. Er setzt sich für eine Verschärfung des Rechtsschutzes von Vergewaltigungsopfern und gegen das Doping ein. Er verantwortete die Mietpreisbremse und sucht den engen Kontakt zur muslimischen Gemeinde. Gemeinsam mit der Bloggerin Betül Ulusoy, die in Neukölln für Aufruhr sorgte, weil sie ihr Kopftuch auch als Justizreferendarin tragen wollte, verteidigte er auf einem Podium die Rechte muslimischer Frauen.

Maas verkörpert das Subversive. Deshalb lieben ihn auch die Sozialdemokraten. Als Justizminister aber ist oft der zurückgenommene Staatsmann Maas gefordert. Das Amt als Justiziar der Regierung legt ihm eine gewisse Zurückhaltungspflicht auf, der Koalitions- und Parteifrieden schmerzhafte Kompromisse. Bereits im Frühjahr zwang dieser Widerspruch Maas in ein Dilemma. Lange hatte sich der Justizminister öffentlich als Gegner der Vorratsdatenspeicherung geriert und damit viele Sympathien in genau jenem Lager gewonnen, das er auch mit seiner Unterstützung für „Netzpolitik.org“ bedient: den jungen, sozialliberalen Digitalen. Aus Loyalität zu Parteichef Sigmar Gabriel und aus politischer Raison, um das gute Verhältnis zu Innenminister Thomas de Maizière nicht zu gefährden, hatte Maas sich damals gebeugt und in kürzester Zeit Eckpunkte für eine Neufassung des umstrittenen Gesetzes vorgelegt – unter Hohn und Spott seiner bisherigen Verehrer.

Jetzt sitzt Maas erneut in der Falle zwischen liberaler Ambition und politischer Realität. Dabei ist er gekommen um zu bleiben. Seine Parteifreunde im Saarland verfolgen mit großer Sympathie, wie gut sich „der Heiko“ in Berlin macht. Er sei regelrecht gewachsen, in der Hauptstadt, sagen sie. Und auch Maas selbst will nicht zurück ins Saarland. Es war Sigmar Gabriel, der ihn nach Berlin geholt hat, der ihn regelrecht befreit hat vom Dasein als ewiger zweiter neben einer CDU-Ministerpräsidentin, von der ganzen Karnevalsvolksnähe, die ihm eigentlich nicht sehr liegt.

Renate Künast sagt, sie habe noch nie gesehen, wie sich ein Minister in so kurzer Zeit so in eine Sackgasse manövriert habe wie in den vergangenen Tagen. Und das Sommerloch ist ein gefährlicher Zeitpunkt dafür. Nichts lenkt von den unschönen Fakten ab. Denn obwohl Maas nun entschlossen handelte und Range entlassen hat: Die Frage bleibt, warum er so entschlossen nicht schon im Mai reagierte, als, so schildert es Range, Maas über das Verfahren informiert wurde. Genauso wie die Frage, ob es denn nun eine Weisung gab, das Gutachten zurückzuziehen. Oder ob, wie Maas’ Haus mitteilt, die Rücknahme „gemeinsam verabredet“ war. Es steht Aussage gegen Aussage.

Ob sich an diese Details im nächsten Wahlkampf jemand erinnert, ist allerdings fraglich. Der schnelle und schlagfertige Maas – dieses Bild wird bleiben.

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