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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
© Michael Kappeler/dpa

Spahn kündigt neue Corona-Regeln an: „Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur“

Solidarität von Geimpften und Nicht-Geimpften hatte Spahn zu Beginn der Kampagne gefordert. Nun beruft er sich auf neue Forschungsdaten. Lauterbach stimmt zu.

Bisher galt der Bundesgesundheitsminister als scharfer Kritiker derjenigen, die in der Coronavirus-Pandemie Privilegien für Geimpfte fordern. „Viele warten solidarisch, damit einige als Erste geimpft werden können. Und die Noch-nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden, hatte Jens Spahn noch Ende Dezember gesagt.

Inzwischen haben in Deutschland mehr als vier Millionen Bürgerinnen und Bürger die Zweitimpfung erhalten, rund fünf Prozent der Bevölkerung. Zwölf Prozent sind bisher einmal geimpft. Und nun gibt es bei dem CDU-Politiker einen Sinneswandel.

„Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“ (BamS). Wenn die dritte Welle der Pandemie gebrochen sei und weitere auf Schnelltests beruhende Öffnungsschritte wie beim Einzelhandel gegangen würden, käme diese Grundsatzentscheidung zum Tragen. „Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur“, sagte Spahn.

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Grundlage ist dem Bericht zufolge eine Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert Koch-Institut (RKI). In einem RKI-Bericht an Spahns Ministerium, der dem Blatt vorliegt, heißt es demnach: „Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen.“

Das Risiko einer Virusübertragung erscheine „nach gegenwärtigem Kenntnisstand in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielen“.

Zudem müssten nach Einschätzung des RKI vollständig Geimpfte auch nicht mehr in Quarantäne. Die Entscheidungen dürften sich mittelfristig wohl auch auf die Frage nach Urlauben in Deutschland oder im Ausland sowie die Möglichkeit von Gastronomiebesuchen auswirken.

In Israel beispielsweise, bei der Zahl der Impfungen allerdings weltweit führend, genießen Geimpfte durch die Vorlage ihres sogenannten „Grünen Passes“ weitreichende Privilegien. Die EU arbeitet an einem ähnlichen Modell.

In dem RKI-Schreiben heißt es weiter, das Ansteckungsrisiko könne durch weitere Vorgaben wie Selbstisolierung bei Symptomen sowie das weitere Einhalten der sogenannten AHA+L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske plus Lüften) zusätzlich reduziert werden. Der Bericht wurde von RKI-Chef Lothar Wieler unterzeichnet. In einigen regionalen Modellversuchen können Menschen in Deutschland inzwischen mit tagesaktuellem negativen Schnelltest einkaufen gehen, in Berlin zum Beispiel seit Mittwoch.

Der Bericht wurde der BamS zufolge am Samstag an die Länder verschickt. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte das RKI um die Analyse gebeten. Spahn will die Test- und Quarantänebefreiung für Geimpfte zügig in den nächsten Wochen umsetzen. „Wir werden diese Erkenntnisse nun zeitnah in Gesprächen mit den Ländern in die Praxis bringen“, sagte der Minister dem Blatt.

Kurz nach dem Start der Impfkampagne in Deutschland an Weihnachten hatte Spahn noch gesagt: „Keiner sollte Sonderrechte einfordern, bis alle die Chance zur Impfung hatten.“ Es sei diese gegenseitige Rücksicht, die das Land zusammenhalte, fügte der Gesundheitsminister hinzu.

„Gegen die Pandemie kämpfen wir gemeinsam – und wir werden sie nur gemeinsam überwinden.“ Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach sich zu dem Zeitpunkt gegen Privilegien für Geimpfte aus. Dies käme einer Impfpflicht gleich, sagte der CSU-Politiker.

Gesundheitsexperte der SPD: Karl Lauterbach.
Gesundheitsexperte der SPD: Karl Lauterbach.
© Kay Nietfeld/dpa

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach stimmt dem neuen Plan Spahns zu. „Ich unterstütze diesen Vorschlag, weil es sich gezeigt hat, dass Geimpfte sich nur noch selten anstecken und sie wahrscheinlich bei Ansteckung nicht mehr ansteckend für andere sind“, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Allerdings hob auch er hervor, solche Erleichterungen sollten erst bei vollständiger Impfung gelten, also in der Regel nach der zweiten Impfdosis.

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Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch erklärte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Natürlich müssen, wenn die wissenschaftlichen Daten die Unbedenklichkeit bestätigen, Geimpfte alle Rechte wieder in Anspruch nehmen können.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, schrieb auf Twitter: „Wenn feststeht, dass von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, dann hat der Staat kein Recht, seine Freiheit einzuschränken.“ Wenn Spahn und Lauterbach das jetzt auch so sähen, dann sei das „doch eine schöne Osteroffenbarung“.

Kritik kam aus der AfD. Deren Bundestags-Fraktionschefin Alice Weidel warnte in Berlin vor einer „Impfpflicht durch die Hintertür“. „Mit diesem Vorgehen sät die Bundesregierung einen Spaltpilz in die Gesellschaft“ und es drohe eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“, erklärte Weidel weiter. Sie forderte, Corona-Einschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger aufzuheben, egal ob diese getestet oder geimpft wurden oder auch nicht.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Ankündigung Spahns als „sehr unverbindlich“. Bei welchem Inzidenzwert die dritte Welle vorbei sei, sage der Minister nicht, erklärte Vorstand Eugen Brysch.

„Unbeantwortet lässt das RKI auch die Frage, wie hoch das Risiko ist, dass Geimpfte das Virus weitergeben können. Auch nichts dazu, wie sich Geimpfte künftig ausweisen sollen. “Ein europäischer Nachweis sei immer noch in weiter Ferne. Selbst für die zu 95 Prozent geimpften 900.000 Pflegeheimbewohner werde der Shutdown weitergehen, sagte Brysch. „Die österliche Botschaft des Bundesgesundheitsministers von mehr Freiheiten löst sich bei genauem Hinschauen schnell in Rauch auf.“

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