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Den Corona-Demonstranten wird vorgeworfen, das Geschäft der Rechtsextremisten betrieben zu haben. Das sei übertrieben, findet unsere Autorin.
© John MacDougall, AFP

Pro & Contra zum Corona-Protest: Wer den Demonstranten Kumpanei vorwirft, muss eigene politische Abstandsregeln hinterfragen

Haben die Corona-Demonstranten sich mit Rechten gemein gemacht? Nein. Die Vorwürfe enthalten einen wohlfeilen Reinheitsanspruch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Hier geht es zum Pro von Christoph David Piorkowski

Wer auf einer Demonstration mitlaufe, an der auch Rechtsextremisten teilnehmen, mache sich mit denen gemein – ob er will oder nicht. So wurde es seit der großen Anti-Corona-Demonstration vom vergangenen Wochenende oft gesagt, in der Absicht, eine Tragweite klarzumachen. In dem Szenario hat vielen nicht mehr gereicht, wenn Distanzierung verbal stattfand, wenn also gesagt wurde, dass man Rechtsextremismus ablehne, dass man nicht zu einer Neonazi-Demonstration angereist sei, sondern gegen als übertrieben empfundene Coronaschutzmaßnahmen protestieren wolle.

Die Empfindlichkeit, was Kumpelei mit Rechtsextremisten angeht, ist ganz richtig. Neonazis töten Menschen, das vergisst man besser nicht. Dennoch klingt in den Distanzierungsbelehrungen eine Absolutheit durch, die sich ein bisschen an andere zu richten scheint. Wie hält es die mehrstimmig ins Gemeinmach-Kritisieren eingestiegene Politik mit dem eingeforderten Abstand?

Grüne, FDP und die Linke etwa haben im Bundestag gerade erst zusammen mit eben der in Teilen rechtsextremen AfD für den Untersuchungsausschuss zur Wirecard-Affäre gestimmt. In der Logik mancher Demo-Nachlese hätten sie das lassen müssen. Wäre das besser gewesen?

Wenn Distanzierungsgebote zu den Rechten überall eingehalten werden, könnten die von der AfD bis hin zu den Privat-Neonazis jeden Raum besetzen, den sie wollen. Weil wo immer sie überhaupt nur auftauchen, die anderen zurückweichen müssten. Wenn die rechte Szene eine traditionelles Familienbild propagiert, sollten Konservative und Unionspolitiker dann Abstand nehmen? Wenn die Neonazis sich für biologischen Ackerbau aussprechen, verlieren die Grünen dann ihr Thema? Natürlich nicht?

Aber die Maskenmüden, die möglicherweise jetzt schon lebenspraktischen Verlierer der Coronamaßnahmen, die sollen nach Hause fahren, wenn auf einer Demonstration mit rund 38.000 Teilnehmern, die ihnen Aufmerksamkeit verschafft, rund 3000 Reichsbürger und Rechtsextremisten unterwegs sind. Oder ist das alles billiger Whataboutism?

Wenn das eigene Interesse nicht auf dem Weg der 100-prozentigen Reinheit erreicht werden kann, werden in der Regel Kompromisse gemacht. Das muss vermutlich auch so sein, weil sonst nicht viel zu tun übrig bleibt. Man erinnert sich an die problembewussten Debatten, die es in die vielen Stadt- oder Bezirksparlamenten gab, als die ersten AfD-Vertreter dort einzogen. Man erinnert sich, dass die Frage besonders schwierig wurde, wenn man Themen gleich beurteilt.

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Jetzt ist die Straße, auf der sich Corona-Demonstranten und Rechtsextreme gemeinsam unterwegs waren, zum neuen Sinnbild geworden für die Frage, wann Abgrenzung nötig ist, und ab wann jemand durch sein Tun oder Nichttun Mitverantwortung für ein gesellschaftliches Problem trägt.

Es gibt Situationen, in denen zugunsten derjenigen entschieden wird, die sich nicht distanzieren. Kaum jemand wirft den VW-Kunden von heute vor, sich mit den Diesel-Betrügereien des Konzerns gemein zu machen. Im Gegenteil: Die VW-Chefs werden von der Bundeskanzlerin empfangen. Wer im Restaurant ein Steak bestellt, wird sich nur selten mit Vorwürfen auseinandersetzen, sich mit den Tier- und Menschenquälereien großindustrieller Schlachtbetriebe gemeinzumachen. American-Apparel-Mode kann man auftragen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sich mit den sexuellen Übergriffen des Firmengründers auf sein Personal gemeinzumachen.

Bei den mutmaßlichen sexuellen Übergriffen von Woody Allen sieht es wieder anders aus. Einige Rowohlt-Autoren protestierten, als die Allen-Biographie dort auf Deutsch erscheinen sollte. Tat sie trotzdem. Das Buch ist ein Topseller geworden. Hätten die nicht erhörten Autoren sich daraufhin selbst distanzieren sollen, hat die Käuferschar etwas falsch gemacht?

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Das lässt sich immer weitertreiben. Geschäfte mit China, Urlaub auf den Philippinen, das Mercosur-Handelsabkommen mit Südamerika. Zu dessen Profiteuren würde der rechtsextreme brasilianische Regierungschef Jair Bolsonaro zählen. Kann man da mitmachen? Der ranghöchste Sichgemeinmachkritiker war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Steinmeier hat unvergessen im Februar 2019 auch „im Namen meiner Landsleute“ dem Iran zum Nationalfeiertag gratuliert. Den Vorwurf, sich und alle seine Landsleute mit dem israelhassenden Mullah-Regime in Teheran gemein gemacht zu haben, wies er von sich.

Man hat sich in vielen Bereichen mit recht wenig Distanz auch zum Verabscheuenswerten arrangiert. Das heißt nicht, das man andere nicht weiterhin für zweifelhafte Kumpeleien kritisieren soll. Aber vielleicht etwas weniger selbstgewiss.

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