Die NPD in der BVV: Wie redet man mit Rechtsextremisten?
Die NPD sitzt seit 2006 in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick. Inzwischen wissen die anderen Politiker, die Rechtsextremen zu nehmen – meistens. Was heißt es für die Demokratie, wenn Antidemokraten in Parlamente einziehen?
Manchmal bringt Fritz Liebenow das Stadtteilparlament von Treptow-Köpenick fraktionsübergreifend zum Lachen. Zuletzt ist es auf der BVV-Sitzung am 15. Dezember passiert. Der NPD-Mann Liebenow – 63, weißhaarig, feiner Schnauzer, ein wenig zu enger Dreiteiler – steht am Rednerpult und überblickt den holzgetäfelten Sitzungssaal im Rathaus Treptow. Ganz hinten rechts sitzt Udo Voigt, der frühere NPD-Bundesvorsitzende und Liebenows einziger Parteikollege in der BVV. Auch Voigt trägt einen Schnauzer. Ganz vorne links sitzt Petra Reichardt - 64, blondiertes Haar, Jeans und Pullover. Sie ist Verordnete der Linkspartei und ruft dazwischen, als Liebenow den Tourismusplan für die Altstadt von Köpenick kritisiert. „Ja, ja, und welche tollen Ideen haben Sie?“ Fast immer sagt sie etwas, wenn einer der beiden NPD-Leute ans Pult tritt. Liebenow dreht sich zu ihr, blickt sie liebevoll an und sagt: „Ach Frau Reichardt! Wenn wir in Deutschland die Scharia einführen würden, wären Sie meine dritte Frau.“ Lautes Lachen dröhnt durch den Sitzungssaal.
Momente wie dieser gehören nicht zu den guten der BVV. Wer lacht, definiert eine Situation als harmlos, heißt es in der Soziologie. Aber wer mag Sprüche wie den Liebenows, wer mag die Präsenz einer rechtsextremen Partei in einem deutschen Parlament schon als harmlos empfinden?
Die NPD kassiert Geld vom Staat und nutzt die Parlamente als Bühne
Die NPD will die Demokratie abschaffen und ist zugleich in die Mitte der demokratischen Gesellschaft vorgedrungen. Sie hetzt gegen Juden und Ausländer, schwärmt für Hitler und will die Gesellschaftsordnung notfalls auch mit Gewalt ändern. Ihre Arbeit im Parlament dient dem selbst erklärten Ziel, den Staat abzuschaffen. Ihre Weltanschauung kaschiert die NPD mit dem Image einer Bürgerpartei. So hat es der „Spiegel“ vor kurzem in einer Analyse dargestellt.
Wegen der Verwicklungen mit der Zwickauer Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ prüfen die Innenminister von Bund und Ländern gerade wieder, ob und wie man die NPD verbieten lassen kann. Doch solange die Partei in Deutschland zugelassen ist und ihre Vertreter in den Parlamenten sitzen, profitiert sie von den Vorteilen der Demokratie. Die NPD kassiert Geld vom Staat und nutzt die Parlamente als Bühne – auf kommunaler Ebene, wo teils ehrenamtliche Politiker von SPD, CDU, FDP, die Linke, die Grünen und jetzt auch von den Piraten mit ihr umgehen müssen.
Die Demokraten fragen sich: Soll ich NPD-Politiker im Rathausflur grüßen?
Geradezu exemplarisch ist dieses ganz Deutschland betreffende Drama im Mikrokosmos Treptow-Köpenick zu beobachten. Im südöstlichsten und größten der zwölf Berliner Bezirke sitzt neben Fritz Liebenow auch Udo Voigt, bis November Bundesvorsitzender der Partei. Man stelle sich vor: Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering säße in einem Kommunalparlament. Die BVV-Sitzungen von Treptow-Köpenick sind für die NPD eine wichtige Bühne, aber um Lokalpolitik geht es dabei nicht. Wenn Voigt fordert, dass der Bezirk eine Städtepartnerschaft mit der iranischen Hauptstadt Teheran eingeht, will er eigentlich nur über die deutsche und US-amerikanische Außenpolitik herziehen. Im Berliner Südosten wird Weltpolitik so auf die kommunale Ebene heruntergebrochen.
Ein paar Tage nach der BVV-Sitzung, bei der die Verordneten über Fritz Liebenows Scharia-Witz gelacht haben, sitzt Petra Reichardt im Wahlkreisbüro von Gregor Gysi in Schöneweide. Sie sagt: „Ich kann nicht an mich halten, wenn die NPD-Leute sich zu Wort melden.“ Fast noch schwieriger als bei den Sitzungen der BVV sei es aber, wenn sie den NPD-Verordneten in den Gängen des Rathauses und in den Straßen von Köpenick begegnet. Fritz Liebenow grüßt immer freundlich. „Ich versuche so zu tun, als hätte ich ihn nicht gesehen. Doch oft grüße ich auch zurück – mit schlechtem Gewissen.“
Wie gehen die anderen Parteien mit den Rechtsextremisten um?
Wissenschaftler haben drei mögliche Wege für den Umgang mit der NPD im Parlament ausgemacht: 1.: Die Politiker der anderen Parteien lassen sich auf eine sachpolitische Diskussion mit NPD-Vertretern ein. 2.: Sie lehnen Initiativen der Rechtsextremen generell ab und ignorieren die Verordneten der NPD. Oder 3.: Die Demokraten entlarven für das Publikum in einem kurzen Wortbeitrag den antidemokratischen Charakter der NPD und lehnen ihn dann gemeinsam ab.
Alle Berliner Verordneten haben sich im „Berliner Konsens“ für den dritten Weg entschieden. „Wir in Treptow-Köpenick haben zusätzlich abgemacht, dass auf NPD-Anträge immer nur ein demokratischer Verordneter antwortet“, sagt Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) im Rathaus. Er ist Anfang 30, jungenhaft, in seinem riesigen Amtszimmer wirkt er ein wenig verloren. Igel sagt: „Wir müssen unsere Einigkeit demonstrieren. Außerdem geben wir der NPD auf diesem Weg nicht so viel Redezeit.“
Die Antwort solle außerdem nicht nur den rechtsradikalen Charakter der Partei entlarven, sondern, wenn möglich, den Antrag auch inhaltlich auseinandernehmen. „Wir wollen verhindern, dass die NPD sagen kann, wir würden sie nicht ernst nehmen“, sagt der Bürgermeister. „Denn sonst stellt sie sich als Opfer dar.“ In der Praxis klappt das meistens und fraktionsübergreifend überraschend gut. Als Fritz Liebenow etwa im Frühling 2011 fordert, alle Flugrouten über den Bezirk zu verbieten, entgegnet ein Verordneter der Linken, diese Forderung sei absurd und sinnlos. Als Erklärung schiebt er hinterher, die NPD versuche mit solchen Anträgen doch nur, sich als bürgernahe Partei zu inszenieren.
"Die Atmosphäre in der BVV hat sich verändert, seit die NPD da ist"
Anfangs habe große Unsicherheit im Umgang mit der NPD geherrscht, sagt der BVV-Vorsteher Siegfried Stock (SPD). „Manche demokratischen Verordneten wollten die NPD-Politiker nicht mal grüßen, geschweige denn ihre Anträge beantworten. Aber das geht natürlich nicht.“
Stock sitzt bei den BVV-Versammlungen am Kopfende des Saals auf einem Podest. Von dort überblickt er von einem massiven Tisch den ganzen Saal. Wenn ein Politiker etwas sagen will, muss Stock, ein großer, imposanter Mann, ihm das Wort erteilen. Er sagt, sein Herz schlage schneller, wenn sich einer der beiden NPD-Verordneten meldet. „Die Atmosphäre in der BVV hat sich verändert, seit die NPD da ist. Sie ist nicht mehr so unbefangen.“
Der Verein für Demokratische Kultur (VDK) unterstützt die Verordneten dabei, den richtigen Umgang mit der NPD zu finden. Matthias Wörsching und sein Team beobachten jede öffentliche BVV-Sitzung und geben Rat, wenn gewünscht. Als die NPD 2006 in vier Berliner Bezirksparlamente einzog, war die Nachfrage nach Schulungen zum Umgang mit rechtsextremen Politikern groß. Mittlerweile fühlen sich die demokratischen Parteien in Treptow-Köpenick sicher. Auch Wörsching ist zufrieden: „Wenn ich das mit einigen Parlamenten in Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen vergleiche, klappt es in Berlin gut. Die Verordneten treffen fast immer den richtigen Ton im Umgang mit der NPD und arbeiten gemeinsam gegen die Partei.“
Aber es läuft eben nur fast immer gut
Aber es läuft eben nur „fast immer“ gut. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Schild sagt zum Beispiel: „Keine Frage: Wir arbeiten in der BVV nicht mit der NPD zusammen. Aber nicht allein die Rechtsextremen sind gefährlich. Auch bei den Linken gibt es ein paar, die die Demokratie abschaffen wollen.“ Und als die NPD Anfang 2011 einen Antrag auf Abwahl der damaligen Bezirksbürgermeisterin Gabriele Schöttler (SPD) stellte, war der Anti-NPD-Konsens der Parteien plötzlich nicht mehr viel wert. Ein paar Verordnete nutzten die geheime Abstimmung, um der Bürgermeisterin eins auszuwischen. Sie stimmten dem NPD-Antrag zu.