Dieselgate: Wenn zehn Affen den Skandal machen
Menschen reinlegen geht, Affen reinlegen nicht? VW-Chef Müller geißelt den Tierversuch im Diesellabor als "abstoßend und unethisch". Das ist richtig - gilt allerdings für den gesamten Abgasskandal. Ein Kommentar.
Die Empörung über den Affenversuch im Diesellabor brodelt und schwillt an. Die niedlichen Tiere – stundenlang Auspuffgasen ausgesetzt, und damit sie dabei ruhig bleiben, hat man ihnen den Fernseher eingeschaltet und Zeichentrickfilme gezeigt. Man hat den Tieren mutwillig geschadet, sie mit billigsten Mitteln gefügig gemacht und zu ihrem Nachteil manipuliert. Gedient hat dies nicht etwa irgendwelchen wissenschaftlichen Erkenntnissen, es füllte lediglich die Augenwischertrickkiste der PR-Branche. Das rührt an etwas. Da zeigt sich der Mensch, wie der nicht sein will: gnadenlos und unanständig dem Schwächeren gegenüber. Demjenigen, der Fairness und Gerechtigkeit nicht einklagen oder erkämpfen kann, dem er sie entweder gewährt oder – wie in diesem Fall – nicht.
Und dennoch mutet es seltsam an, dass erst wegen zehn Affen jene Einhelligkeit an wutlodernder Empörung hochkommt, die bisher im Umgang mit dem Dieselskandal – zumindest in Deutschland – fehlte. Hier hörte man vonseiten der Politik den Autobossen weiterhin zu, ließ sich beruhigen, trat gemeinsam auf, sparte sich Härte im Ton und erst recht in Handlungen.
Auch aufseiten der Kundschaft blieb Wutgeschrei aus, eher nutzte man plötzliche Schnäppchen zur Erneuerung des Privatfuhrparks. Dabei ist der gesamte Dieselskandal, also die Tatsache, dass Millionen Autos verkauft wurden mit dem Versprechen auf bestimmte Abgaswerte, von denen bekannt war, das sie nicht stimmen, wenig anderes als ein gigantischer Feldversuch an der gesamten Bevölkerung. Nicht weniger zynisch als der Affentest im Labor. Ebenso wie die zehn Tiere waren Millionen Bürger nicht mitspracheberechtigt.
Das Schicksal geht ans Herz
Man hat sie nicht gefragt, nicht aufgeklärt, nicht in Kenntnis gesetzt, nichts. Sie wurden benutzt wie Versuchstiere. Statt Fernsehern gab es noch buntere Displays im Armaturenbrett oder gute Preise, irgendetwas, was sie so gern haben wie Affen bunte Bewegtbilder, sodass sie stillhielten. Und was das Ganze im Grunde noch verschlimmert: Man hat die Menschen zu einem Teil der Versuchsanordnung, zu einem Teil des Risikos gemacht. Sie selbst sind mit den Millionen Autos, die ein Vielfaches der angegebenen Schadstoffe ausstoßen, in ihren Straßen herumgefahren, tun es immer noch, denn auch die nachgerüsteten Autos genügen den Vorgaben nicht immer.
Die Nummer mit den Affen sei eine Katastrophe, weil sie den Dieselskandal emotionalisiere, hat einer aus der Autobranche gesagt. Tiere kriegen das hin, deren Schicksal geht ans Herz. Und so fand VW-Chef Matthias Müller die Experimente schnell „unethisch und abstoßend“, und am Dienstag wurde bereits ein erster hochrangiger Verantwortlicher beurlaubt. Die Konzernspitze sieht sich wegen der Affen offenbar mehr zum demonstrativen Agieren veranlasst als je zuvor in der zwei Jahre schwelenden Affäre. Bisher ließ man das Ganz, lässig zurückgelehnt, vor allem das Problem der anderen sein: der betrogenen Kunden, der Politik, die wegen nicht erreichter Luftqualitätsstandards in Brüssel Ärger hat, des Managers Oliver Schmidt aus dem eigenen Haus, der in den USA verurteilt wurde und danach von VW die Kündigung erhielt, oder auch der schleichend vergifteten Menschen an den dicht befahrenen Straßen. 400.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr stellt die EU-Kommission der schlechten Luft in Rechnung. Für all das wartet man bis heute auf eine Bitte um Entschuldigung, eine Art Schuldeingeständnis – und hielt das aus.
Aber die durch nichts zu rechtfertigenden Affenversuche, die sind nicht zum Aushalten. Denn das Leid des Tiers diente wiederum nur der Verschleierung des geplanten Betrugs und der Beschädigung von Menschen. VW-Chef Müller hat genau die richtigen Worte gefunden: abstoßend und unethisch. Richtig sind die aber nicht nur, was die Tiere angeht. Die Worte beschreiben auch den ganzen Dieselskandal sehr treffend. Hoffentlich bleiben sie haften.