Bundestagsabgeordnete als Lobbyisten: Wenn Volksvertreter auf einmal Firmen vertreten
Briefe an den „lieben Peter“ Altmaier im Wirtschaftsministerium zeigen, wie Parlamentarier Firmeninteressen dienen – im Namen von Wirtschaftspolitik.
Philipp Amthor hätte ihn aus heutiger Sicht wohl lieber nicht geschrieben, den Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Auf seinem offiziellen Bundesadler-Papier als Abgeordneter hatte der einstige Union-Aufsteiger im Herbst 2018 um die Ministergunst für ein „spannendes und politisch vielversprechendes Investitionsvorhaben“ eines IT-Start-ups geworben, von dem er später selbst Aktienoptionen erhielt. Die Folgen sind bekannt. Amthor zog sich zurück, die Union schämte sich und das Parlament arbeitet derzeit neue Lobbyregeln aus.
Natürlich macht es einen schlechten Eindruck, wenn sich Abgeordnete für ein Unternehmen engagieren, an dem sie verdienen. Aber inwieweit sollten sie sich überhaupt für Firmen engagieren? Ist deren Geschäft stets ihr Geschäft, weil es um Arbeitsplätze geht und Wähler hier Engagement erwarten? Sind Volksvertreter also zugleich Firmenvertreter?
Schreiben wie das von Philipp Amthor gehören zum Alltag
Fest steht: Dass Abgeordnete Bittbriefe an Altmaier schicken, wie Amthor es tat, gehört zum Alltag im Bundeswirtschaftsministerium. Verboten ist daran nichts. Auf einen Tagesspiegel-Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) hin hat das Ministerium jetzt erstmals umfänglich Zugang zu den Dokumenten gewährt.
Mit knapp 60 Schreiben wandten sich demnach Parlamentarier an den „sehr geehrten Herrn Minister“, der für viele zugleich „lieber Peter“ ist. Oft stehen die Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Lage, aber nicht nur.
Das ist zum Beispiel der Maschinenbauer aus dem bayerischen Ampfing, bei dem „aktuell freie Kapazitäten vorhanden“ sind. Die Firma könne mit ihren „hoch qualifizierten Mitarbeitenden“ bei Bedarf „Bauteile für den medizinischen Bereich“ herstellen. Welcher Abgeordnete das so bezeichnete „Unterstützungsangebot“ an den „lieben Peter“ adressiert, bleibt in diesem wie in den anderen Fällen das Geheimnis des Ministeriums.
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In den Dokumenten sind die Passagen geschwärzt. Datenschutz, heißt es. Lesbar bleibt dafür der vielfach servile Ton: „Bei Rückfragen stehe ich Dir, lieber Peter, selbstverständlich jederzeit und sehr gerne zur Verfügung.“
Minister Altmaier telefoniert „gerne“ und „so schnell es geht“ mit dem Bittsteller
Oder die Brauerei aus dem niedersächsischen Uslar, die „durch die Coronakrise besonders hart getroffen“ sei. Jemand, der dem Abgeordneten persönlich bekannt sei, „würde sich freuen, wenn Sie hier helfen könnten“. Wobei genau der „liebe Peter“ Hilfe leisten soll, wurde unkenntlich gemacht. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, so das Ministerium.
Der Vertreter einer anderen Brauerei, aus dem bayerischen Viechtach, bittet über den Abgeordneten seines Vertrauens um einen Telefontermin. Altmaier scheint für solche Botschaften empfänglich. Er telefoniere „gerne“ und „so schnell es geht“ mit dem Herrn, heißt es in der Reaktion aus dem Ministerbüro.
„Wie heute Morgen am Rande der Kabinettssitzung besprochen“, wird ein anderes Angebot an den „lieben Peter“ eingeleitet. Diesmal geht es um eine Firma, die eine Produktion für FFP2-Atemschutzmasken aufbauen will. Weitsichtig preist ein anderer Parlamentarier bereits im Juni ein Unternehmen, dass zuverlässig den Corona-Impfstoff abfüllen könne. Dank „riesiger Expertise“ wäre es hier „der ideale Partner für die Bundesregierung“.
Ein Abgeordneter möchte eine „Sondergenehmigung“ für den Export von Rüstungsgütern
Natürlich fehlt auch die Automobilbranche nicht im Kreis der Bittsteller. Ein Zulieferer aus Nordrhein-Westfalen meldet Nöte. „Wir haben dem Unternehmen unsere Hilfe zugesagt und bitten Dich um deine wohlwollende Unterstützung“, schreiben zwei Abgeordnete nach Berlin.
Zuweilen werden die Anliegen auffallend konkret – und bekommen einen Tonfall, der den Empfänger spürbar unter Druck setzen soll. So wendet sich ein Abgeordneter mit einer „freundlichen Prüfbitte“ an Altmaier. Er möchte eine „Sondergenehmigung“ für den Export von Rüstungsgütern eines Unternehmens im bayerischen Aschau, das zu den wichtigsten Arbeitgebern seiner Region gehöre.
Altmaier, Mitglied des Bundessicherheitsrats, der die Ausfuhren genehmigen muss, möge sich „zeitnah und verstärkt“ dafür einsetzen. Von einer „problematischen Sachlage“ ist die Rede und „damit verbundenen Konsequenzen“ für die Mitarbeiter: „Eine mögliche Schließung des Unternehmens wäre in meinen Augen höchst bedauerlich.“
Ein paar Wochen später, in einem zweiten Brief, begeisterter Dank: „Es freut mich außerordentlich zu hören, dass das Antragsverfahren nach (…) nunmehr abgeschlossen ist.“ Im Absatz darauf folgt dann schon der nächste Wunsch, den Altmaier dem „Technologieunternehmen“ erfüllen soll.
Auf Anfrage gibt sich MdB Stephan Mayer (CSU) zugeknöpft
Es liegt nahe, dass die Volksvertreter Firmen aus ihrem Wahlkreis unter die Arme greifen. So dürfte sowohl für den Rüstungsexport wie auch für die Ampfinger Maschinenbauer mit den freien Kapazitäten Stephan Mayer geworben haben. Der CSU-Abgeordnete mit dem Wahlkreis Altötting hat eine Sonderstellung, er ist zugleich Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU) und damit in Regierungsfunktion. Möglicherweise steigerte dies den Druck auf das Wirtschaftsressort.
Auf Anfrage gibt sich Mayer zugeknöpft. Er bestätigt Kontakte zu dem Unternehmen in Aschau, für das er sich schon seit Anfang seiner Mandatszeit einsetze. Die Briefe an Altmaier bestätigt er nicht. Aus Datenschutzgründen, wie er sagt. Das Wirtschaftsministerium reagiert ähnlich. Ob und wie Altmaier das Anliegen gefördert hat, wird ebenso wenig offengelegt wie der Absender. Nach mehrfachem Hinweis auf die amtlichen Auskunftspflichten wird immerhin darüber informiert, dass es sich um einen Export der Ausfuhrlistenkategorie AL-Position A0003A nach Katar gehandelt habe, also Munition. Und dass natürlich alles, wie stets, regelkonform verlaufen sei.
Die Parlamentarier betonen ihre Mandatsfreiheit
Wenig erstaunlich, dass die Abgeordneten solche Interventionen für ihren Job halten. „Es gehört zu den Aufgaben von Abgeordneten, sich für die Wirtschaft in ihrem jeweiligen Wahlkreis einzusetzen“, sagt Matthias Bartke, zuständiger Berichterstatter der SPD-Fraktion. Das sei vom freien Mandat gedeckt, wie es das Grundgesetz schütze.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Patrick Schnieder, verweist ebenfalls auf die Mandatsfreiheit; Abgeordnete seien nur ihrem Gewissen unterworfen, das Mandat sei damit etwas sehr Persönliches. Grenzen für solchen Lobbyismus lehnt er ab.
Es gebe nichts Schädlicheres für die Demokratie als den Versuch, inhaltliche Entscheidungen von Abgeordneten per Gesetz steuern zu wollen. „Das gilt auch für die Entscheidung, sich für den eigenen Wahlkreis mit seinen Menschen und Unternehmen einzusetzen.“
In der Opposition ist der Ton ausnahmsweise ähnlich, auch wenn einige Vorbehalte betont werden. Solches Engagement sei „Bestandteil der Ausübung des freien Mandats“, erklärt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen Britta Haßelmann.
„Wichtig ist, dass dies transparent, nachvollziehbar und frei von Interessenskonflikten geschieht.“ Selbst für die Linken ist es „üblich“, wenn sich Abgeordnete für die Wirtschaft starkmachen, sagt der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte. „Eine Grenze liegt bei der Einflussnahme aus eigennützigen Motiven.“ Korte stellt klar, dass es dabei um Geldzuflüsse oder andere finanzielle Vorteile gehen muss.
Echte Transparenz gibt es nicht
Doch echte Transparenz gibt es keine. Man sieht es daran, wie das Wirtschaftsministerium die Unterlagen, die es aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes herauszugeben verpflichtet ist, umfassend schwärzt und bei Rückfragen mauert.
Und möglicher Eigennutz könnte außer in direkten oder indirekten finanziellen Zuflüssen auch darin liegen, sich für spätere Zeiten Geschäftskontakte aufzubauen. Oder einfach nur darin, die eigene Basis im Wahlkreis zu stärken, um wiedergewählt zu werden.
Es zählt Klimapflege. Während die „freundliche Prüfbitte“ zum Rüstungsexport in den Lockdown-Zeiten im April auf Altmaiers Schreibtisch lag, machte die Aschauer Firma regional Schlagzeilen damit, Desinfektionsmittel aus eigener Produktion an Krankenhäuser und Altenheime zu spenden.
Sollte MdB Mayer an allem tatsächlich unbeteiligt gewesen sein, wird ihn das alles zumindest gefreut haben. Immerhin, das Unternehmen klärt auf Anfrage darüber auf, dass es mit „Zulieferungen“ für Panzerhaubitzen und Leopard-2-Kampfpanzer für die Streitkräfte Katars beauftragt sei; über mögliche Beziehungen zu Mayer wie überhaupt über den „inhaltlichen Austausch mit Amts- und Mandatsträgern, den wir wie jedes andere Unternehmen führen“, schweigt man jedoch lieber.
Timo Lange von Lobbycontrol plädiert deshalb dafür, die Art und Weise des Volksvertreter-Engagements genauer in den Blick zu nehmen. Wenn Abgeordnete „wie Lobbyisten einzelner Unternehmen auftreten und ihre Stellung nutzen, um bei Ministerien für wirtschaftliche Einzelinteressen zu werben, ist das fragwürdig“, findet er. Zumal solches Handeln meist intransparent bleibe.
„Hier wird der parlamentarische Raum verlassen", sagt Lobbycontrol
Lange meint auch nicht, dass dergleichen zwingend zum Job gehöre, im Gegenteil: „Hier wird der parlamentarische Raum verlassen. Abgeordnete handeln hier im Prinzip wie andere Bürgerinnen und Bürger auch, nämlich als Privatleute, werden aber aufgrund ihres Mandats natürlich deutlich ernster genommen.“ Ein Brief auf MdB-Briefpapier habe beim Wirtschaftsminister ein ganz anderes Gewicht als der anderer Bürger.
Die Skepsis des Lobbykritikers wird durch Vorschriften verstärkt, die nur selten in der öffentlichen Diskussion stehen. In den parlamentarischen „Verhaltensregeln“ finden sich nämlich auch „Grundsätze zur Verwendung des Bundesadlers“.
Danach darf der Bundesadler ausschließlich für „mandatsbezogene Angelegenheiten“ benutzt werden. Wie „mandatsbezogen“ ist die Erlaubnis für den Export von Panzermunition nach Katar? Die „Verhaltensregeln“ stellen klar, dass nicht nur „parlamentarische Verhandlungsgegenstände“ gemeint sind, sondern auch etwa die „Werbung für politische Auffassungen und Positionen“. Fällt darunter die Werbung für Firmen?
Bundestagsverwaltung verschweigt, wie sie den Fall Amthor bewertet hat
Hier wird sogar die Bundestagsverwaltung von Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zurückhaltend, die sonst darauf bedacht ist, dem Mandat und seinen Trägerinnen und Trägern maximalen Freiraum zu erhalten.
Zulässig, heißt es, wäre beispielsweise noch ein „wirtschaftspolitischer Einsatz für die Ansiedlung eines Unternehmens in Deutschland gegenüber dem für Wirtschaft zuständigen Bundesminister“. Die Unternehmen, um die es in den Briefen an Altmaier zumeist geht, haben sich allerdings schon angesiedelt.
Tatsächlich dürften manche Briefe an den „lieben Peter“, auch wenn sie Einzelfälle nennen, als Wirtschaftspolitik zu rubrizieren sein. Bei anderen kommt man ins Zweifeln. Interessant wäre, wie die Bundestagsverwaltung dies im Fall Philipp Amthor bewertet hat. Aber auch dort hält man wenig von Transparenz.