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Wähler in den USA.
© Reuters

US-Wahl: Wenn Prognosen weit daneben liegen

In den meisten Umfragen lag Hillary Clinton bis zum Schluss vor Donald Trump. Doch warum lagen viele Demoskopen so falsch?

Die Übersicht schien ein klares Bild zu ergeben: Am Tag vor der Wahl zeigte die „New York Times“ den Durchschnitt der wichtigsten Umfrage-Ergebnisse zur US-Präsidentschaftswahl. Hillary Clinton lag mit 45,9 Prozent klar vor Donald Trump, der auf durchschnittlich 42,8 Prozent kam. Die renommierte Zeitung stellte fest, dass die Chance, dass Clinton Präsidentin würde, bei 85 Prozent liege – so gesehen war es also ein gelaufenes Rennen. Doch je mehr Hochrechnungen und Wahlergebnisse hereintrudelten, umso stärker zeigte der Wahrscheinlichkeitsindikator auf der Website der Zeitung in die andere Richtung – hin zum Kandidaten der Republikaner, weg von der Demokratin.

Einmal mehr hat die Umfragebranche bei der US-Wahl eine schwache Figur abgegeben. Ähnlich war es zuletzt in Großbritannien, als die Demoskopen den Sieg der Brexit-Befürworter beim EU-Referendum im Juni meist nicht auf dem Schirm hatten. Und nun die Fehlleistung im Land, in dem die Meinungsforschung groß geworden ist. Was lief dort falsch?

Eine Frage der Methodik

Das hauchdünne Ergebnis nach Wählerstimmen hatten alle Umfragen verfehlt. Clintons Vorsprung in den letzten Erhebungen lag zwischen zwei Prozent (Rasmussen) und sechs Prozent (NBC News). Nur in der Umfrage des Investor’s Business Daily mit dem Institut Technometrica (IDB/TIPP) lag Trump mit zwei Prozentpunkten vorne – woraus sich auch ein Vorsprung bei den Wahlleuten ergab und damit zumindest eine richtige Ergebnisprognose. Einen Vorsprung Trumps ergab auch die Umfrage der Southern University of California für die „Los Angeles Times“. IDB/TIPP lag auch bei früheren Wahlen schon relativ gut – offenbar ist die Methodik der Marktforscher ausgefeilter als bei der Konkurrenz, indem sie die bei allen Umfragen übliche Gewichtung stärker nach der tatsächlichen Wahlabsicht gewichten. Und bei der Wahl am Dienstag war die offenbar bei den Republikaner-Anhängern ausgeprägter.

Ein Problem seiner amerikanischen Kollegen umschreibt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim, die für das ZDF und den Tagesspiegel tätig ist: „Das Wahlsystem in den USA macht Vorhersagen schwierig, weil für die Frage, wer Präsident wird, vor allem die umkämpften Staaten ausschlaggebend sind. Relativ wenige Stimmen in diesen „battleground states“ haben eine große Wirkung, nationale Umfragen geben das aber nicht wieder.“ Man müsse daher sehr stark auf die Einzelstaatsebene eingehen, „was wegen des großen Aufwands nicht alle machen“, sagt Jung. Clinton lag nach den meisten Prognosen, die auf ihren Sieg hindeuteten, in Florida, Pennsylvania, North Carolina, New Hampshire und Michigan vorne. Doch tatsächlich lag die Demokratin in diesen hart umkämpften Staaten hinter Trump – und verlor deswegen 84 Stimmen im Wahlleutegremium und damit die Wahl.

"Viele Mitspieler"

Der Umfragemarkt in den USA ist laut Jung weitaus heterogener als in Deutschland. "Es gibt sehr viele Mitspieler und daher weniger Übersicht.“ Bei nationalen Erhebungen, etwa nach TV-Debatten, würden bisweilen nur 500 Frauen und Männer befragt. "Diese Basis ist aber zu klein. Das würden wir in Deutschland so nicht machen.“ Die Schlussumfragen immerhin hatten zwischen 3669 Teilnehmern (YouGov/Economist) und 799 Teilnehmern (Bloomberg). Wobei die Art des Vorgehens nicht unbedingt ausschlaggebend ist – Online-Befragungen lagen nicht besser und nicht schlechter als Telefonumfragen. IBD/TIPP (1107 Teilnehmer) ging bei seinen Telefonaten offenbar stärker in die Tiefe. Das Institut hatte Trump meist vorne und erwartete auch nicht, dass es einen „Swing“ hin zu Clinton in den Tagen vor der Wahl geben werde.

Jung weist darauf hin, dass das Geschäft der Demoskopen weniger einfach ist als früher. „Eine Schwierigkeit, die wir auch in Deutschland kennen, zeigte sich in den USA erneut: Immer mehr Wähler entscheiden sich sehr kurzfristig, immer mehr Wähler sind weniger parteigebunden und damit wechselfreudiger.“ Zwar haben Nachwahlbefragungen ergeben, dass eine Mehrheit der Wähler schon vor Monaten wusste, wie sie stimmen würden, und nur etwa ein Siebtel der Wähler sich in den Tagen vor der Wahl entschied– aber diese Gruppe ist groß genug, um bei einem knappen Rennen ausschlaggebend zu sein. Dazu kommt, dass gerade Anhänger von populistischen Politikern nicht immer ihre Wahlabsicht kundtun. Das zeigte sich auch bei Wählern der AfD – nachdem die Umfrageinstitute mit ihrer angenommen Dunkelziffer im Frühjahr bei den Landtagswahlen zu niedrig lagen, gewichteten sie diese bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin höher.

Eigenwillig, aber korrekt

Für den Politologen Helmut Norpoth von der Stony Brook University war Trump freilich von Beginn an im Vorteil. Er bezifferte lange vor der Wahl einen Sieg des Republikaners auf eine Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent. Norpoth verlässt sich auf zwei Faktoren. Zum einen auf die historische Erkenntnis, dass Kandidaten der Partei, die den aktuellen Präsidenten stellt, nach zwei Amtszeiten meistens nicht mehr gewinnt – und Barack Obama amtiert seit 2009. Zum anderen schaut Norpoth auf die frühe Phase des Vorwahlkampfes. Wer sich früh durchsetzt, hat nach seinem Modell höhere Siegeschancen. Clinton aber konnte sich zunächst nicht klar von Bernie Sanders absetzen, während Trump im Republikaner-Lager schnell der Favorit war. So gesehen hatte Clinton also ohnehin keine Chance. Norpoth hat die Ergebnisse aller Präsidentenwahlen seit 1996 richtig vorhergesagt – ganz ohne Umfragedaten.

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