Wie stigmatisierend ist Geographie?: Wenn Namen von Virusvarianten zum Problem werden
Die WHO benennt Coronamutanten mit griechischen Buchstaben, um deren Herkunftsländer zu schützen. Was heißt das für Kenia- und Simbabwe-Koalitionen? Eine Kommentar.
Womöglich wird sich irgendwann über das Coronavirus sagen lassen, es habe dafür gesorgt, dass das griechische Alphabet weltbekannter als Lady Gaga wurde. Es müsste dazu nicht mal zwei Dutzend weitere Mutanten ausbilden – was bei der weiter ungeklärten Variantendefinitionsfrage kein großes Problem sein sollte.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt nämlich, ab sofort die Virusvarianten im umgangssprachlichen Gebrauch nicht länger nach den Ländern zu benennen, in denen sie erstmals auftraten. Stattdessen sollten die Buchstaben aus dem griechischen Alphabet genutzt werden. Die britische Variante wäre demnach Alpha, die südafrikanische Beta, die brasilianische Gamma, die indische Delta.
Und was, wenn die neue extra rasante britisch-indische Variante den nächsten griechischen Buchstaben braucht? Tja, Sendepause und Kopfkratzen. Phi? Pfff.
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Grund für den WHO-Exkurs ins Semantische ist die Befürchtung, geographische Namenszusätze könnten stigmatisierend sein. Nach in einem Fall sogar tödlichen Attacken auf asiatischstämmige Menschen, denen das von Ex-US- Präsident Donald Trump dauernd so genannte „China-Virus“ übel genommen wurde, wirkt das plausibel und umsichtig.
Es ließe sich darüber sinnieren, ob dieser Impuls auch aufgekommen wäre, wenn es nach der britischen eine amerikanische, deutsche oder norwegische Variante gegeben hätte. Wenn die Namenszusätze also auf Länder verwiesen hätten, deren Bürger selten bis gar nicht in Gefahr sind, unter Stigmatisierung zu leiden oder diskriminiert zu werden – zumindest nicht, wenn man die Diskriminierungsvorstellung anlegt, die nur die Richtung von „oben“ nach „unten“ kennt.
Es ist wie immer ein Dilemma
Da das Umbenennungsvorhaben nun just nach Verbreitung und Auftreten der indischen Variante publik gemacht wird, könnte bei den Antidiskriminierungspuristen zu einem Aufstöhnen führen. Da jetzt der Eindruck entsteht, es gehe besonders darum, „indisch“ aus dem Fokus zu holen, wird zugleich deutlich gemacht, dass man dort am meisten Diskriminierungspotenzial wähnt, was einer Bestätigung der Vorurteile nahekommt. Es ist wie immer ein Dilemma.
Die Deutsche Presseagentur hat bereits annonciert, dass sie die neuen Namen übernehmen wird, und da in vielen Medien, voran den Öffentlich-Rechtlichen, eine große Bereitschaft zur sprachlichen Nicht-Diskriminierung besteht, werden sich die neuen Bezeichnungen vermutlich rasch durchsetzen.
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Wer nun auch in den WHO-Chefetagen die Sprachpolizei am Werke sieht, mag sich vergegenwärtigen, dass bei so einer Umbenennung niemand etwas verliert, aber vielleicht jemand etwas gewinnt. Auch wenn es eine trügerische Hoffnung sein dürfte, dass sich diskriminierungsaffine Gewalttäter sich irgendwo auf der Welt von irgendwelchen Umbenennungen beirren ließen. Die verprügeln dann eben aus anderen Gründen.
Dafür lässt sich die WHO-Empfehlung auch auf hiesige Wahlen anwenden. Es hat sich in Deutschland eingebürgert, Koalitionen, die reich an politischen Farben sind, nach tropischen Ländern zu benennen, weil die so toll bunte Flaggen haben.
Kenia für CDU-SPD- Grüne, Jamaica für CDU-Grüne- FDP, und nach der Wahl in Sachsen-Anhalt am Sonntag könnte noch Simbabwe hinzukommen, dessen siebenstreifige Flagge mit Rot, Schwarz, Grün und Gelb aufwartet.
Da diese farbenfrohen Kombinationen aber letztlich Mangelerscheinungen sind, da sie nur entstehen, wo es keine klaren Machtverhältnisse gibt, kann man ihre afrikanischen Namen auch als weitere Stigmatisierung von ohnehin beladenen Ländern sehen. Was würde die WHO raten?
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