Das Dilemma der Grünen: Wenn Machtfragen zur Spaltung führen
Ob Klimaschutz oder Autobahnbau: Wenn die Partei die Macht im Bund will, dann drohen ihr tiefgehende Konflikte. Dann muss sie sich entscheiden. Ein Kommentar.
Die Macht ist schon verführerisch, nicht? Alles um einen herum wird schöner, besser, oder? Nein. Jedenfalls nicht, wenn man mit denen spricht, die sie mal hatten; wenn sie sie verloren oder abgegeben haben, was übrigens die wenigsten freiwillig tun. Nehmen wir Joschka Fischer – also wer den einstigen grünen Vizekanzler fragt, der bekommt zu hören, wie das so ist in der „Todeszone“, ganz da oben, am Gipfel, wo es eisig sein und stürmen kann. Da braucht es, ja, was? Eine Mischung aus Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein: Wer bin ich, was kann ich, was will ich.
Tja, und so geht es den Grünen gerade. In den Ländern haben sie viele Prisen des verführerischen Mittels längst genossen, genießen sie es weiter, im Bund des Längeren nicht. Nur auf Bundesebene ist das mit der Macht eben doch noch etwas ganz anderes. Da werden die großen Fragen verhandelt, da geht es um die Welt, die große, nicht die kleine. Krieg, Frieden, Klimaschutz, Weltwirtschaft, drunter geht es nicht. Zumindest nicht oft.
Ob die A 49 durch den Dannenröder Forst gebaut wird oder nicht, was hat das damit zu tun? Alles. Denn daran zeigt sich das Dilemma der Grünen, der momentan spannendsten Partei in Deutschland. Spannend nicht allein wegen ihrer Programmatik, die es den Konkurrenten in diesen Monaten, eher schon Jahren, so schwer macht, mitzuhalten. Wer ist das Original beim Umweltschutz?
Spannend aber auch wegen der Widersprüche innerhalb der Partei und des Widerspruchs zu sich selbst, in den die Grünen geraten, Und zwar umso mehr, je näher die Machtperspektive rückt. Die Umfragen zeigen es: Die Menschen suchen immer noch, immer wieder etwas Neues, Anderes, eine Partei, der sie vertrauen, mit der sie sich blicken lassen können. Die leichte Antwort darauf ist: eine Partei der Mitte, eine mit Maß und Mitte. Die schwierigere folgt sogleich: Wenn die Grünen das sind, dann kommen sie auf den Gipfel.
Umweltschutz, Klimaschutz – und trotzdem eine Autobahn bauen wie die A 49 in Hessen, wo die Grünen mitregieren? Eine, gegen die der Bundesgeschäftsführer der Partei eintritt? Gegen die die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock mit allen Kritikern wettert? Eine, gegen die zugleich alle Klagen abgewiesen wurden? Die nicht allein der Wirtschaft hilft, sondern zugleich Städte und Dörfer entlastet vom Verkehr, von Feinstaub, CO2, all dem, wogegen die Grünen auch sind? Das zu entscheiden und so zu erklären, dass die Wähler es verstehen, nachvollziehen und die Grünen mitgehen, das wäre – hohe Politik. Ganz hohe. Man kann daran scheitern.
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Von den alten Griechen bis heute gilt: Gefolgschaft, echte, innere und inhaltliche, entsteht nicht durch autoritäres Verhalten, sondern durch Autorität. Die erwächst aus Authentizität und Haltung, innerer und inhaltlicher.
Robert Habeck, im weitesten Sinn ein Joschka, also einer, der da oben hinwill, allerdings mit seinen Mitteln, traut sich das zu: Kanzler. Sagt er jetzt auch. Annalena Baerbock braucht das nicht zu sagen, das teilt sich so mit. Was zusammengenommen ein nicht unbeträchtlicher Teil des Widerspruchs ist. Aber entschieden werden muss. Die Grünen haben noch andere Zerreißproben vor sich: Wie viel Klimaschutz genau? Wie viel Ökologie, wie viel Ökonomie, was hat Vorrang? Welche Infrastrukturprogramme? Wie viel Zweifel ist erlaubt, wie viel Widerspruch? Die Antworten werden ihr Maß und ihre Mitte zeigen. Je näher die Grünen dem Gipfel kommen, desto eisiger wird es werden. Mancher, der nach ganz oben wollte, hat es nicht geschafft.