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Studien legen nahe, dass die Konfrontation mit aggressiven und hasserfüllten Botschaften dazu animiert, selbst aggressiv zu kommunizieren.
© imago/Ralph Peters

Hasskriminalität und Soziale Medien: Wenn die Hetze das Netz verlässt

Was macht der Hass im Internet mit den Menschen? Führt digitale Gewalt zu analoger Gewalt? Ein Forschungsüberblick.

- Anna Sophie Kümpel ist wissenschaftliche Rätin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Diana Rieger ist ebenda Professorin für Kommunikationswissenschaft.

Der rechtsextreme Terrorist, der am 15. März im neuseeländischen Christchurch mehr als 50 Menschen tötete, veröffentlichte seine Tat in einem Livestream auf Facebook. Sechs Wochen später, am 27. April, wurden in einer Synagoge in Poway bei San Diego, USA, ein Mensch getötet und drei weitere verletzt.

Die Täter beider Anschläge waren in einer Online-Community innerhalb des englischsprachigen „Imageboards“ 8chan aktiv, also in einem Forum, in dem hauptsächlich Bilder ausgetauscht werden. Der Attentäter von Halle (Saale) nutzte die Spiele-Plattform Twitch, um seine Taten direkt und live zu verbreiten. Alle drei Täter nutzten somit soziale Medien, um auf ihre terroristischen Aktionen aufmerksam zu machen und auch, um ihre ideologisch aufgeladenen Manifeste zu verbreiten.

Meldepflicht für Hasskriminalität

Ende Oktober hat das Bundeskabinett das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (kurz: NetzDG) nachgebessert. In der Pressemeldung dazu heißt es: „Hass, Rechtsextremismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben keinen Platz in Deutschland.“ Das Maßnahmenpaket ist auch eine Reaktion auf den antisemitischen, rassistischen Anschlag in Halle. Ziel ist es, Hasskriminalität im Netz noch besser aufspüren zu können, beispielsweise durch eine geplante Meldepflicht. Hier werden vor allem die Betreiber von Online-Plattformen in die Pflicht genommen, die strafrechtlich relevante Beiträge wie beispielsweise Morddrohungen oder volksverhetzende Inhalte zentral melden müssen.

Hinter diesem Maßnahmenpaket verbirgt sich nicht zuletzt die Befürchtung, dass es in vielen Fällen nicht bei Online-Hass bleibt, sondern online geäußerte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in „echte“ Hasskriminalität umschlagen kann.

Die Verrohung im Internet bleibt nicht folgenlos

Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, anzunehmen, dass es einen einfachen kausalen Zusammenhang zwischen der Nutzung bestimmter sozialer Medien und Hasskriminalität gibt. Weil jemand bestimmte Medien nutzt, wird er natürlich nicht gleich zum Terroristen. Weil jemand online hasserfüllte Sprache verwendet oder ihr ausgesetzt ist, muss er nicht automatisch aggressiver werden – im Netz oder in der nicht-digitalen Welt. Doch die Verrohung im Internet bleibt auch nicht folgenlos, wie Studien zeigen.

Es lohnt sich, einen tieferen Blick auf die Art der Debatten in sozialen Medien zu werfen – und einen Ausblick zu geben auf die Gefahren, die mit einem Wandel der Sprachkultur im Netz hin zu aggressiveren, inzivilen und hasserfüllten Formen einhergehen können.

Viele Online-Diskussionen sind von Aggression geprägt

Soziale Medien bieten Bürger:innen einen Raum, um Themen von öffentlicher Relevanz zu diskutieren und laufende Debatten beobachten zu können. Aus dieser Funktion ergeben sich vielfältige Potenziale und gesteigerte Möglichkeiten für Partizipation und (politische) Teilhabe. Besonders für marginalisierte Gruppen kann das sehr positiv sein, da sie online Räume finden, um sich mit Gleichgesinnten oder anderen Betroffenen auszutauschen. Doch auch Schattenseiten zeigen sich. Viele Online-Diskussionen sind von Inzivilität und Aggression geprägt, sodass die Konfrontation mit Hass, Beleidigungen und Pöbeleien mehr Regel denn Ausnahme zu sein scheint. Unter dem Begriff „Inzivilität“ werden in der Wissenschaft dabei verschiedene Formen von Kommunikation zusammengefasst, die von dem vergleichsweise harmlosen und primär zur Provokation eingesetzten „Trolling“ über themenbezogene Shitstorms hin zu menschenverachtender Hassrede reichen.

Vier von fünf Internetnutzern hatten Kontakt mit Hasskommentaren

In Deutschland geben laut einer Studie von 2018 vier von fünf Internetnutzer:innen an, bereits mit Hassrede oder Hasskommentaren in Kontakt gekommen zu sein. Gegenrede – das aktive Entgegnen auf eben diese Hasskommentare – kommt hingegen eher selten vor. Hier stehen soziale Medien im Verdacht, das Potenzial zu haben, Hass zu schüren, die Sprache in Diskussionen zu verrohen und zu einer Polarisierung in der öffentlichen Debatte sowie zu einer Radikalisierung von Individuen beizutragen. Vor allem sogenannte „Fringe Communities“ in den Internetforen Reddit, 4chan oder 8chan oder bestimmte Gruppierungen auf der Spieleplattform Twitch sind in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, auch weil sie häufig einen ersten Verbreitungsort für alternative Medien, Verschwörungstheorien und rechtes Gedankengut darstellen.

Was könnten die Ursachen für die Wahrnehmung von mehr Hass und aggressiver Sprache in sozialen Medien sein?

Veränderte (Gruppen-)Normen enthemmen die Kommentierenden

Zunächst sorgen soziale Medien durch die gesteigerte Sichtbarkeit und öffentliche Zugänglichkeit von Debatten dafür, dass Internetnutzer:innen rein quantitativ mehr gesellschaftliche Kommunikation (und somit auch inzivile oder aggressive Formen) wahrnehmen. Auch haben soziale Medien wie Facebook und Twitter es leichter gemacht, Inhalte und Diskussionen mit anderen zu teilen und tragen über ihre Empfehlungsalgorithmen dazu bei, dass sich Beiträge, die emotional aufgeladen oder polarisierend sind, besonders weit und schnell verbreiten. Veränderte Kommunikationsbedingungen und veränderte (Gruppen-)Normen enthemmen die Kommentierenden. Das führt zu mehr inziviler Kommunikation. In der Diskussion über die Ursachen wird häufig die Anonymität und die Unsichtbarkeit der Diskussionsteilnehmer:innen genannt. Die Diskutierenden können nicht wahrnehmen, wie jemand schaut, welche Gesten er macht oder wie seine Stimme klingt. Es fehlen also wesentliche soziale Hinweisreize dazu, wie etwas gemeint ist und was das Gegenüber empfindet. Bestimmte Absichten oder Persönlichkeitsmerkmale wie eine Neigung zu Sadismus oder verbaler Aggression können ebenfalls dazu beitragen, dass die Kommunikation verroht.

Mitfühlende Menschen nehmen mehr Hass und Aggressionen wahr

Es sind also nicht die Kanäle allein, die sozialen Medien, die Ursache für einen veränderten, aggressiveren Gebrauch von Sprache. Es ist vielmehr eine Kombination aus den Absichten der einzelnen Teilnehmer:innen, den veränderten Kommunikationsbedingungen, den vereinfachten Verbreitungsmöglichkeiten sowie einer gesteigerten Sichtbarkeit und Beobachtbarkeit, die dazu beitragen, dass immer mehr Menschen Hass und Hetze im Netz begegnen.

Doch hat die Wahrnehmung von mehr Hass auch Folgen für die Nutzer:innen sozialer Medien? Es könnte ja auch so sein, dass die Bürger:innen zwar online mehr Hassrede begegnen, ohne dass das mit Folgen für die Demokratie – oder aber im speziellen Verdachtsfall: Hasskriminalität auf der Straße – einhergeht.

Ganz grundsätzlich hängen die möglichen Wirkungen von Online-Hass und aggressiver Sprache zunächst davon ab, ob die entsprechenden Diskussionen und Debatten überhaupt als hasserfüllt oder aggressiv wahrgenommen werden. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei der Androhung von Gewalt oder direkten Beleidigungen, ist dies einfach zu erkennen und wird auch von den meisten Beobachter:innen so wahrgenommen. Die Forschung zeigt allerdings auch, dass Frauen und Personen, die als mitfühlend oder kooperativ beschrieben werden können, grundsätzlich mehr Hass und Aggressionen wahrnehmen.

In hasserfüllten Blasen steigt die Wahrscheinlichkeit, aggressiv zu antworten

Darüber hinaus wird diskutiert, ob die vermehrte Wahrnehmung von Online-Hass nicht auch zu einer Enthemmung führen kann, dass also die Nutzer:innen sich schlicht an den raueren Umgangston gewöhnen und ihn nicht mehr als auffällig oder unpassend bemerken. Wenn man unter jedem öffentlichen Facebook-Post auf Inzivilität stößt, erscheint diese Art der Kommunikation irgendwann als „ganz normal“.

Doch derartige Kommentare wirken. Die Forschung zeigt, dass sie im Kontext des Online-Journalismus etwa die Beurteilung journalistischer Qualität und Glaubwürdigkeit negativ beeinflussen können und eine Polarisierung von Wahrnehmungen und Meinungen begünstigen. Nutzer:innen berichten darüber hinaus auch, dass sie selbst mehr Wut und negative Emotionen empfinden, wenn sie in sozialen Medien inzivile Kommentare gelesen haben. Auch, wie man sich selbst äußert, wird negativ beeinflusst: Die Wahrscheinlichkeit steigt, aggressiv zu antworten.

Hassverbrechen treten dort gehäuft auf, wo sich Hassbotschaften im Netz häufen

Führt darüber hinaus der Online-Hass zu realem Hass? Experimente zeigen, dass Menschen, die mit Online-Hass konfrontiert waren, danach häufiger berichten, sich selbst aggressiv verhalten zu wollen. Erste Forschungsbefunde deuten außerdem darauf hin, dass rechte Hassverbrechen regional dort gehäuft auftreten, wo sich im gleichen Zeitraum auch Hassbotschaften in sozialen Netzen häufen.

Hass und Aggressionen online scheinen somit nicht nur die Gemütslage oder die Gedanken, sondern potenziell auch das Verhalten von Menschen verändern zu können.

Besonders schwerwiegend ist das für die Opfer inziviler Kommunikation, wie jüngst deutlich wurde, als ein Gericht über sexistische Hassrede gegenüber Renate Künast urteilte. In Online-Diskussionen oder Kommentarspalten zu Nachrichtenbeiträgen sind vor allem Journalist:innen die Adressat:innen von Hass. Das kann sich nicht nur auf die Autor:innen als Personen, sondern auch auf deren redaktionelle Arbeit auswirken.

Frauen und Minderheiten werden häufig mit Inzivilität konfrontiert

Daneben werden Frauen, religiöse und ethnische Minderheiten sowie queere Menschen in sozialen Medien häufig mit Inzivilität konfrontiert. Dies hat nicht nur emotionale Reaktionen zur Folge, sondern kann auch dazu führen, dass sich die Betroffenen aus öffentlichen Diskursen zurückziehen – aus Angst immer wieder aufs Neue diffamiert, beschimpft oder bedroht zu werden. Hass im Netz ist somit nicht zuletzt auch eine Gefahr für die Meinungsvielfalt und kann eine verzerrte Wahrnehmung des gesellschaftlichen Klimas begünstigen.

Verschärft wird das Problem auch dadurch, dass Hass und Herabwürdigung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. Häufig sind es eher implizite, unauffällige Witze oder Sprüche – weitergeleitet in bunt aufbereiteten Memes oder Videos. Durch die humoristische Darstellung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit werden diskriminierende Inhalte zugänglicher und „hoffähig“. Der öffentliche Diskurs kann sich dadurch langsam in Richtung radikalerer Positionen verschieben, ohne dass notwendigerweise eine Verbindung zu deren Verbreiter:innen hergestellt wird. Wir sprechen dann von „Mainstreaming“.

Memes packen Menschenfeindlichkeit bunt und lustig

Hassrede und aggressive Sprache können also sowohl Gefühle und Einstellungen als auch Verhaltensintentionen negativ beeinflussen. Von geformten Einstellungen und Intentionen hin zu einem wirklichen Verhalten, im speziellen Verdachtsfall zu Hasskriminalität auf der Straße, ist es allerdings ein weiter, komplizierter und auch nicht hundertprozentig vorhersagbarer Weg. Voraussetzung ist, dass jemand ohnehin eine aggressive, fremdenfeindliche Grundeinstellung hat, bevor er mit Online-Hass konfrontiert wird. Gleichzeitig sind genau diese Einstellungen ja erst der Grund dafür, warum sich jemand in entsprechenden Online-Communitys bewegt. Auch wird der Weg zu Hasskriminalität beeinflusst von den Normen, die im Freundeskreis – online und offline – und in der Familie einer Person herrschen. Soziale Medien können daher eher als Verstärker denn als Ursache für Hass gesehen werden: Radikalisieren kann sich jede:r auch am Stammtisch oder im Sportverein, die „richtige“ Grundeinstellung und den „richtigen“ Freundeskreis vorausgesetzt.

Was wird nun dagegen unternommen?

Implizitere Formen von Hass lassen sich schwer bekämpfen

Dem Hass gegenüber stehen Gegenmaßnahmen, die in ihrer schieren Quantität nicht mit Hass und aggressiver Sprache im Internet mithalten können. Repressive Strategien, wie sie auch durch das NetzDG unterstützt werden, können zumindest strafrechtlich Relevantes schnell aus dem Internet entfernen. Implizitere Formen von Hass lassen sich so nicht bekämpfen. Hier sind präventive Strategien gefragt, die vor allem langfristig eine wichtige Rolle einnehmen. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist groß. Online-Communitys können gemanagt werden und Kommentarspalten moderiert. Man kann Gegenbotschaften auf Youtube und anderen Plattformen verbreiten. Insbesondere junge Menschen sollten im Umgang mit Medien geschult werden und lernen, sie kritisch zu hinterfragen. Gegenrede ist wichtig – und hier kann jede:r Nutzer:in etwas tun, um dem Hass sowohl qualitativ als auch quantitativ etwas entgegenzusetzen. Denen, die im Netz hassen, darf nicht die Deutungshoheit überlassen werden.

Anna Sophie Kümpel, Diana Rieger

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