Entwicklungshilfe in Zeiten des Shutdowns: Wenn die Helfer gegen Not unter Druck geraten
Das Corona-Virus trifft auch die armen Länder des Globalen Südens. Sie sind dagegen noch schlechter gerüstet als Industriestaaten. Für die Mitarbeiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist das eine große Herausforderung.
Ihr Auftrag ist es, Menschen aus dem Elend zu holen und ein Leben ohne Not zu ermöglichen. Doch das wird in Zeiten der Heimsuchung durch das Coronavirus von Woche zu Woche schwieriger.
Rund 22000 Mitarbeiter beschäftigt die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – und das vor allem in Ländern, deren Bevölkerung auf Hilfe oder Unterstützung der Experten dringend angewiesen ist. Im globalen Süden, so hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) jüngst gewarnt, werde die Pandemie Millionen von Menschen dahinraffen, wenn der reiche Norden und internationale Organisationen nicht schnell reagierten und viel Geld bereitstellten. Müllers Ministerium ist der wichtigste Auftraggeber der GIZ, die sich in 120 Ländern darum bemüht, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern.
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Deshalb dürften wenig andere Organisationen in Deutschland von den weltweiten Folgen der Pandemie so stark herausgefordert sein wie die GIZ und deren Angestellte. In mehr als 100 von rund 190 Staaten der Erde wurden Ausgangssperren oder andere Einschränkungen erlassen, um das Virus einzudämmen. Experten sitzen in ihren Wohnungen fest, Berater können Projekte nicht mehr inspizieren oder Schulungen durchführen, da Grenzen geschlossen und fast alle Flüge gestrichen sind.
Die Führung der GmbH mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt hat Mitarbeiter aus Schwellen- und Entwicklungsländern abgezogen, wenn diese zu einer Risikogruppe nach der Definition des Robert-Koch-Instituts gehören und das Angebot annahmen. Viele in der Zentrale tätigen Mitarbeitern erledigen ihre Aufgaben nun vom Homeoffice aus.
70 Prozent der Mitarbeiter sind Ortskräfte. Und die Schutzprogramme der Organisation für die eigene Belegschaft greifen offenbar: Von weltweit nur sechs Coronainfizierten in den eigenen Reihen berichtet eine GIZ-Sprecherin. Im Gegensatz zu vielen privaten Unternehmen scheint die Organisation, die vor allem staatliche Aufträge umsetzt, nicht von massiven Umsatzeinbrüchen betroffen. Kurzarbeitergeld zu beantragen, sei jedenfalls nicht geplant, heißt es.
Die Warnung des Entwicklungsministers ist plausibel. Noch bevor das Virus aus China und Europa in Afrika, Südasien oder Lateinamerika angekommen war, traf die Reaktion der Finanzmärkte auf die Pandemie Entwicklungs- und Schwellenländer hart und warf ihre Entwicklung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. Im „größten Kapitalabfluss aller Zeiten“ (Entwicklungsökonom Ulrich Volz) transferierten Investoren aus diesen Ländern ihr Geld meist in die USA, während der teure Dollar die oft ohnehin hoch verschuldeten Länder weiter in die Knie zwingt.
Inzwischen verbreitet sich das Virus auch im globalen Süden, wo oft schon sauberes Wasser und andere Voraussetzungen für eine Grundhygiene fehlen. So hat im Schwellenland Indien der „Shutdown“ Millionen von Wanderarbeitern ihr ohnehin geringes tägliches Einkommen genommen. 70 bis 80 Millionen Inder leben in Slums. „Social Distancing“, ein Verhalten, das Regierungen in Industriestaaten nun ihren Bürgern empfehlen, können deren Bewohner nicht praktizieren – in Mumbai so wenig wie in brasilianischen Favelas.
Für die GIZ scheint das eine paradoxe Situation zu schaffen: Ihre Angebote, gerade im Gesundheitssektor, sind so dringend gefragt wie nie zuvor – aber es wird immer schwieriger, sie aufrechtzuerhalten, weiterzubetreiben oder gar auszubauen.
In Indien beispielsweise haben sich die GIZ-Mitarbeiter nach Angaben einer Sprecherin auf den „Shutdown“ vorbereitet und führen ihre Projekte per Telefon und Laptop weiter. Vor-Ort-Besuche und persönliche Treffen sind nicht mehr möglich. Entscheidungen ziehen sich hin, weil wegen des Lockdowns auch Behörden geschlossen sind. „Für die Projekte zu ländlicher Entwicklung und Ernährungssicherheit in Indien, die in ländlichen und eher abgelegenen Regionen angesiedelt sind, ist das eine große Herausforderung“, sagt eine GIZ-Sprecherin.
Mit dem Entwicklungsministerium (BMZ) hat die GIZ beraten, welche neuen Schritte sie beim Kampf gegen die Pandemie gehen und wie laufende Projekte kurzfristig in Richtung Gesundheitsfürsorge und Pandemiebekämpfung ausgerichtet werden können. Geprüft wird auch, was die GIZ dort leisten kann, ohne zusätzliche Mittel gegen die Ausbreitung von Covid-19 einzuwerben.
Hintergründe zum Coronavirus:
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Seit mehreren Jahren fördert die Organisation im Auftrag der Bundesregierung die Pandemievorsorge in Kooperationsländern und engagiert sich im Bereich der Gesundheitssysteme und -versorgung. Deshalb sei sie „nun schnell und effektiv in der Lage, Sofortmaßnahmen des BMZ und anderer Auftraggeber umzusetzen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen“, heißt es bei der GIZ. So organisiert sie im Auftrag des Ministeriums die Versorgung der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie weiterer Länder in Afrika und Asien mit dort dringend benötigtem Labormaterial. Sie schult Gesundheitsfachkräfte darin, Infektionen zu erkennen und zu behandeln. Zudem erarbeiten GIZ-Mitarbeitern mit den Ministerien der Partnerländer Informationskampagnen.
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Aber auch mit Digitaltechnik kämpft die GIZ gegen das Virus. Seit Anfang Februar erfasst das digitale Krankheitsüberwachungssystem Sormas (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) mit einer eigenen App die Ausbreitung von Corona. Entwickelt wurde Sormas vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Die GIZ förderte die Umwandlung in ein „Open-Source-Tool“ sowie die Verbreitung in Nigeria und Ghana.
Dafür erhalten lokale Helfer die App für Mobiltelefone oder Tablets und werden in deren Anwendung geschult. Sie fragen Symptome von 34 Krankheiten ab, auch von Covid-19. Das Personal hält engen Kontakt zu Krankenhäusern und Ärzten und benachrichtigt über die App die Kontrollzentren über neue Fälle und deren Kontaktpersonen.
Diese Informationen gehen in Echtzeit an die Seuchenkontrollbehörden des Landes. Sobald erhöhte Fallzahlen von Krankheitssymptomen auffallen, steuern sie gegen. Das System wird inzwischen für die Bekämpfung der Covid-Pandemie in mehr als 400 Distrikten in Nigeria, Ghana und Fiji eingesetzt und deckt eine Bevölkerung von mehr als 120 Millionen Einwohnern ab.
Die GIZ hatte früh einen Krisenstab in Sachen Corona eingerichtet
Schon Ende Februar hatte die GIZ einen eigenen Coronakrisenstab eingesetzt, der sich täglich mit dem Robert Koch-Institut und der Bundesregierung austauscht. Ihre Mitarbeiter berät die Zentrale täglich mit Mails und digitalen Konferenzen über neue Entwicklungen im Zusammenhang mit der Pandemie sowie neuen Regeln und Entscheidungen des eigenen Unternehmens dazu.
Auch in Indien führt die GIZ wichtige Gesundheitsprojekte weiter, so etwa das „Indo German Social Security Programme“. Seit zwei Jahren hilft es der „National Health Authority“, eine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung für Inder aufzubauen, die sich keine private Krankenversicherung leisten können. Auch dank der Arbeit der GIZ-Experten können die 500 Millionen Versicherten nun kostenfreie Covid-19-Tests und Behandlungen in Anspruch nehmen.
Die GIZ-Mitarbeiter in Indien kümmern sich in der Krise nicht nur um ihren Auftrag, sondern auch um die Gesundheit ihrer Kolleginnen und Kollegen: Die Sportbegeisterten unter ihnen absolvieren ihre Fitnessübungen nun vor der Kamera und verarbeiten das Material zu Onlinekursen für andere GIZ-Angehörige.
Der Text erschien zuerst in der Tagesspiegel-Beilage "Agenda".