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Länger fit am Arbeitsplatz. Der Autobauer BMW hat eine speziell für ältere Arbeitnehmer optimierte Fertigung für Achsgetriebe in Dingolfing entwickelt. Zum Team gehören daher auch Physiotherapeuten für Entspannungsübungen.
© Armin Weigel, dpa/picture alliance

Demografischer Wandel: Wenn die Babyboomer gehen

Führungskultur und Gesundheitsangebote verbessern: Wie sich Unternehmen auf den Fachkräftemangel und auf alternde Belegschaften einstellen können.

In Deutschland wird die Bevölkerung in den kommenden Jahren massiv altern. Auch durch die Zuwanderung konnte das bisher nicht kompensiert werden. Angesichts der aktuellen Zahlen der zu uns kommenden, vielen Flüchtlinge könnte sich das in diesem und im nächsten Jahr ändern. Aber erstens wissen wir nicht, wie lange die Migrationsbewegung anhält, zweitens können wir keine verlässlichen Prognosen über die Dauer des Aufenthalts in Deutschland stellen, und drittens ist die Nutzung der Potenziale der Flüchtlinge keine kurzfristige, direkte Entlastung für den Arbeitsmarkt.

Sicher ist: In den nächsten Jahren werden die Baby-Boomer-Jahrgänge aus dem Arbeitsleben ausscheiden und damit wird eine massive Fachkräftelücke entstehen. Rein altersbedingt werden bis zum Jahre 2030 rund 6,1 Millionen Beschäftigte – davon sehr viel Fachkräfte – aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, weil sie das Rentenalter erreicht haben.

Frauen, die Teilzeit arbeiten, könnten ihre Stundenzahl erhöhen

Welche Potenziale können mobilisiert werden? Von 2000 bis 2010 ist die Erwerbsquote von Frauen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren in Deutschland bereits von 63 auf 72 Prozent gestiegen. Die deutsche Frauenerwerbsquote liegt damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt (EU-27: 65 Prozent). Dennoch gibt es bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen noch Entwicklungsmöglichkeiten. Hier ist insbesondere die hohe Zahl von Teilzeitstellen mit niedriger Stundenanzahl in Deutschland zu nennen. Gelingt es, die Rückkehr von Frauen nach Geburt und Mutterschutz sowie kürzeren Erziehungszeiten an den Arbeitsplatz zu beschleunigen und die Vollzeitarbeit auszubauen, hat dies ebenso positive Folgen wie die Erhöhung des Stundenkontingents der Teilzeit.

Qualifizierte Zuwanderung ist eine zusätzliche Option, um die Zahl der Erwerbstätigen zu erhöhen. Derzeit erleben wir eine nicht gesteuerte, hohe Zuwanderung und können nach den Schätzungen der Arbeitsagenturen davon ausgehen, dass wir zehn bis 15 Prozent qualifizierte Fachkräfte gewinnen werden. Kurzfristige Entlastungen sind durch die Zuwanderung jedoch nicht zu erwarten. Im Übrigen benötigen wir rund 500 000 Zuwanderer jedes Jahr, um die altersbedingten Abgänge in die Rente auszugleichen. Was können Unternehmen tun, um produktiv zu bleiben?

Mitarbeiter über 50 gezielt in wichtige Projekte berufen

Im Zentrum stehen zum einen langfristig wirkende Mittel, um die Fähigkeiten aller Beschäftigten zu verbessern, aber auch die Qualifizierung innerhalb der Betriebe für Mitarbeiter, die älter sind als 50 Jahre. Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen hat sich in Deutschland binnen eines Jahrzehnts von 21 auf 44 Prozent mehr als verdoppelt. Damit Ältere arbeiten können, sind Gesundheit, Kompetenz und Motivation wichtige Voraussetzungen. So hat zum Beispiel die Firma Janssen-Cilag ein Projekt „Silverpreneure“ entwickelt. Mitarbeiter über 50 Jahre werden gezielt in Projekte berufen, die für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens wichtig sind. Die Botschaft nach innen ins Unternehmen ist klar: Ältere Kolleginnen und Kollegen werden als Wissensträger geschätzt, gleichzeitig traut man ihnen zu, dass sie Neuerungen weiterentwickeln können.

Um die Fähigkeiten der Beschäftigten länger nutzen zu können, müssen die Unternehmen flexible Arbeitszeitsysteme mit Langzeitkonten einführen. Die Mitarbeiter können so Zeit ansparen und bekommen die Möglichkeit, etwa für drei bis sechs Monate auszusteigen, um Angehörige zu pflegen oder sich weiterzubilden – oder sie können ihre Arbeitszeit zur Erholung befristet reduzieren.

Diese Arbeitszeitmodelle werden nicht nur von Konzernen, sondern mittlerweile auch von mittelständischen Unternehmen – wie etwa dem Produzenten von Lasermaschinen Trumpf oder dem Sensorhersteller SICK – angeboten. Auch Pflegeeinrichtungen wie die Sozialholding Mönchengladbach bieten ihren Beschäftigten diese attraktiven Möglichkeiten. Eine große Herausforderung für die Arbeitgeber ist auch das betriebliche Gesundheitsmanagement: die Förderung der Gesundheit über Sportangebote, gesunde Ernährung und Ergonomieberatung.

Den Handlungsspielraum für Mitarbeiter vergrößern

Entscheidend wird jedoch die Verbesserung der Rahmenbedingungen sein: Die Beschäftigten sollten ihre Arbeit stärker mitgestalten können und ihre Möglichkeiten, einwirken zu können, erweitern. Wichtig ist insbesondere die Verbesserung der Führungskultur: 60 Prozent der psychischen Erkrankungen der Arbeitnehmer sind auf schlechte Führung zurückzuführen (siehe Fehlzeitenreport der Betriebskrankenkassen). Deshalb experimentieren Unternehmen wie Vaude (Outdoorausrüster ) oder Umantis (Software) mit Modellen der Führung auf Zeit – oder sie lassen die Belegschaft ihre leitenden Angestellten wählen.

Fazit: Die demografischen Entwicklungen verändern die Unternehmensorganisation und Personalpolitik erheblich.

Die Personalpolitik in einem Betrieb muss variantenreicher werden. Die Arbeitgeber müssen attraktiver werden, um die individuellen Zielvorstellungen der Beschäftigten und das Interesse der Unternehmen miteinander zu verbinden. Nur dann werden Arbeitgeber als Gewinner des demografischen Wandels bestehen können.

Der Autor ist Vorsitzender des Demographie Netzwerks ddn, das Unternehmen demografiefit machen möchte. Dieser Text erschien in der Beilage zur Diversity-Konferenz 2015 des Tagesspiegels. Mehr zum Thema Diversity lesen Sie hier.

Rudolf Kast

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