AOK-Studie zu Fehlzeiten in Betrieben: Wenn der Chef zum Problem wird
Ein hoher Krankenstand im Betrieb hat nicht nur medizinische Gründe. Schuld daran ist oft auch eine miese Unternehmenskultur. Das zeigt eine neue Krankenkassen-Studie.
Bei Firmen mit auffällig hohem Krankenstand sollten die Chefs nicht auf ihre Mitarbeiter schimpfen, sondern lieber in sich gehen. Denn in solchen Fällen stimmt es meist auch nicht mit der Unternehmenskultur. Zu wenig Lob und Motivation, zu viel Kontrolle, fehlende Eigenverantwortung, ungerechte Bezahlung, ein mieser Führungsstil – das nagt weit mehr an den Beschäftigten als gelegentlicher Stress oder Überstunden.
Den Beleg dafür liefert eine aktuelle Studie der AOK, in der Wissenschaftler die Fehlzeiten von Beschäftigten genauer unter die Lupe nehmen. Wer sich in seiner Firma wohl fühlt, sich mit deren Zielen identifiziert und erlebt, dass der Arbeitgeber loyal hinter ihm steht, wird demzufolge deutlich seltener krank. Und das gilt interessanterweise nicht mal vornehmlich für psychische, sondern sogar mehr noch für körperliche Leiden.
Bei schlechter Atmosphäre dreimal so häufig Gesundheitsprobleme
Befragt wurden für den Report bundesweit mehr als 2000 Beschäftigte zwischen 16 und 65. Mehr als jeder Vierte, der über eine schlechte Unternehmenskultur in seinem Betrieb klagt, äußerte sich dabei auch unzufrieden mit der eigenen Gesundheit (27,5 Prozent). Bei den Arbeitnehmern, die ihr Unternehmen positiv sehen, ist es dagegen nicht mal jeder Zehnte (8,9 Prozent).
Über körperliche Beschwerden im Zusammenhang mit der Arbeit wie Rückenschmerzen oder Müdigkeit berichteten mehr als doppelt so viele von denen, die gleichzeitig auch die Betriebsatmosphäre kritisierten (66,6 Prozent gegenüber 32 Prozent). Bei psychischen Problemen waren es 65,1 Prozent gegenüber 35,8 Prozent.
Und Mitarbeiter in Betrieben mit als schlecht empfundener Unternehmenskultur fehlen auch deutlich häufiger und länger wegen Krankheit. Im vergangenen Jahr kam von ihnen nahezu jeder Dritte (31 Prozent) auf Fehlzeiten von mehr als zwei Wochen. In der Gruppe mit positiv erlebter Arbeitsatmosphäre waren es gerade mal 16,7 Prozent.
Studienautoren sehen einen "klaren Zusammenhang"
„Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Art und Weise, wie Beschäftigte ihre Arbeit erleben, und ihrer Gesundheit“, sagt Helmut Schröder, Vize-Geschäftsführer beim Wissenschaftlichen Institut der AOK und Mitherausgeber der Studie. Eine Arbeitsumgebung, die als fair, wertschätzend, sinnhaft und qualitätsorientiert erlebt werde, könne „Nährboden für gesundheitliches Wohlbefinden und die Freisetzung individueller Entwicklungspotenziale“ sein. Und in Zeiten, in denen die Arbeitswelt zunehmend um gute Fachkräfte konkurriere, werde auch das entsprechende Firmenrenommee immer wichtiger.
Fehlzeiten und Leistungsbeeinträchtigung durch Krankheit verursachten bis zu 15 Prozent prinzipiell vermeidbarer Personalkosten, rechnete der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Bernhard Badura vor. In deutschen Betrieben, so kritisierte er, hätten aber viele die Zeichen der Zeit noch nicht begriffen. Die Mitarbeiter seien „keine arbeitsunwilligen Mängelwesen oder bloße Kostenfaktoren“, sondern die „zentrale Quelle der Wertschöpfung“. Es gebe hierzulande ein enormes Produktivitätspotenzial, das nicht ausreichend gehoben wird“.
Alte Kontrollstrukturen taugen oft nicht mehr für Kopfarbeiter
Die digitale Revolution verstärke den Trend in Richtung einer „Kopfarbeitergesellschaft“, so der Wissenschaftler. Darin hätten „hochqualifizierte Menschen ihren zunehmend selbstorganisierten Tätigkeiten mit viel Sozialkompetenz , Teamgeist sowie Bereitschaft zu flexibler Anpassung“ nachzugehen.
Damit verbunden sei aber auch ein „hoher Verbrauch an psychischer Energie für Problemlösung, Gefühlsregulierung und gelingende Kooperation“. Alte Hierarchie- und Kontrollstrukturen erwiesen sich dabei oft nur noch als kontraproduktiv. Und Arbeitgeber, die die psychischen Grenzen ihrer Mitarbeiter nicht beachteten, die ihnen Schlafstörungen, Erschöpfung, Ängste und Hilflosigkeitsgefühle bescherten, riskierten dadurch auch ihren eigenen ökonomischen Erfolg.
Nur jeder Zweite wird vom Chef auch mal gelobt
Wie Wunsch und Wirklichkeit in den Firmen auseinanderklaffen, zeigt die Studie eindrucksvoll. So bezeichneten es 78,3 Prozent als wichtig, dass das Unternehmen hinter seinen Mitarbeitern steht. Faktisch empfinden das jedoch nur 55 Prozent. 69,3 Prozent wünschen sich Lob für gute Arbeit, lediglich jeder Zweite bekommt es. Nach Einfluss auf wichtige Entscheidungen sehnen sich 60,5 Prozent - 41,8 Prozent dürfen tatsächlich mitreden. Und gute Sozialleistungen neben dem Gehalt erhalten nur 45,7 Prozent, obwohl das für 62,3 Prozent wichtig wäre.
Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, betonte, dass Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter steuerlich gefördert werden – bis zu einem Höchstbetrag von 500 Euro je Beschäftigten und Jahr. Allerdings nutzten das bisher leider nur wenige Betriebe. Es müsse einfachere Anreize über Steuermodelle oder Bonussysteme auch und insbesondere für kleinere Unternehmen geben, forderte der Kassenchef.
Psychische Erkrankungen nehmen weiter zu
Unabhängig von dieser Befragung zeigt der Report einen leichten Anstieg des Krankenstands der knapp zwölf Millionen AOK-versicherten Arbeitnehmer um 0,1 Prozentpunkte. Damit fehlte jeder Beschäftigte im Schnitt 19,5 Tage. Hauptgrund für den Anstieg dürfte eine Erkältungswelle im Winter gewesen sein. Die Zahl der Atemwegserkrankungen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 20,2 Prozent.
Weiter zugenommen haben allerdings auch die Absenzen aufgrund psychischer Leiden. 10,5 Prozent aller Fehltage bei der AOK gehen inzwischen darauf zurück. Seit 2004 betrug der Anstieg hier 72 Prozent.