Recht auf Nichterreichbarkeit: Wenn das Abschalten am Feierabend unmöglich wird
In der Pandemie klagen viele Beschäftigte im Homeoffice über eine Entgrenzung der Arbeit. Ein Vorstoß des EU-Parlaments soll das ändern.
Eindrückliche Begriffe verwendet der maltesische EU-Abgeordnete Alex Agius Saliba, wenn es um die digitale Überlastung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, die derzeit im Homeoffice den Arbeitsalltag stemmen. Saliba spricht von "digitaler Fettsucht" oder auch von psychischen Problemen, die auf dem Vormarsch sind. Es geht um ein Phänomen, das viele in Pandemie-Zeiten kennen: E-mails, die nach Feierabend abgearbeitet werden, WhatsApp-Nachrichten von Kollegen, die noch schnell am Abend beantwortet werden, eine Slack-Nachricht, die keinen Aufschub duldet.
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Der sozialdemokratische Parlamentarier Saliba ist im Europaparlament Berichterstatter für das Recht auf Nichterreichbarkeit. An diesem Donnerstagnachmittag will das EU-Parlament über den Bericht Salibas abstimmen, dem zufolge das Recht aufs Abschalten am Feierabend künftig in der EU verankert werden soll. Eine Zustimmung des Plenums gilt als sicher.
Kommission soll Dialog mit Sozialpartnern suchen
In dem Bericht wird eine EU-Verordnung gefordert, die den Arbeitnehmern in der gesamten Gemeinschaft künftig das Recht auf Nichterreichbarkeit garantiert. Zur Vorbereitung einer solchen Verordnung muss die EU-Kommission nun zunächst einmal den Dialog mit den Sozialpartnern suchen.
Nach den Worten von Saliba geht es keineswegs in dem Vorstoß darum, ein allumfängliches Recht der Arbeitnehmer festzuschreiben, von den Chefs nach Feierabend nicht behelligt zu werden. Vielmehr gehe es um Lösungen, die auf einzelne Berufsgruppen zugeschnitten seien, sagte der Abgeordnete. Als Vorbild könnte eine Regelung dienen, die bereits in Frankreich zum Gesetz geworden ist. Demnach haben Beschäftigte grundsätzlich das Recht, außerhalb der regulären Arbeitszeiten Diensthandy und E-mail-Accounts abschalten zu können.
Saliba: Der Trend zum Homeoffice wird bleiben
Saliba ist nicht der Einzige, der festgestellt hat, dass die Pandemie die Arbeitsweise vieler Menschen fundamental geändert hat. Und nach seiner Einschätzung wird es dabei auch bleiben, wenn das Coronavirus besiegt ist: "Die Verschiebung zur Telearbeit lässt sich nicht mehr rückgängig machen." Gegenwärtig arbeitet nach seinen Worten mehr als jeder dritte Arbeitnehmer in der EU von zu Hause aus.
Für die gefährlichen Folgen des Homeoffice-Daseins gibt es inzwischen auch schon einen Begriff: "Bluring" - also das Verschwimmen der Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem. Und wer nicht mehr richtig abschalten kann, kann schnell gesundheitliche Probleme bekommen. Nach Angaben der EU-Agentur Eurofound gaben auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle im vergangenen April vor allem Frauen mit Kindern im Alter von unter zwölf Jahren an, dass sie Probleme mit der Aufrechterhaltung der Work-Life-Balance hätten.
Der Abgeordnete Saliba zieht daraus seinen Schluss: "Wir können nicht Millionen von europäischen Beschäftigten allein lassen, die unter den extrem schwierigen Bedingungen der Pandemie weiter ihrer Arbeit nachgehen, aber unter durch den Druck der ständigen Verfügbarkeit und die verlängerten Arbeitszeiten erschöpft sind."