Debatte zur Krankenhausreform: Weniger Wettbewerb - mehr Qualität!
Gute Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität lassen sich in den Kliniken nur realisieren, wenn Alternativen zu den aktuellen Wettbewerbsmechanismen diskutiert werden, erklärt Harald Weinberg MdB. Letztlich geht es um die Frage, sind Krankenhäuser „Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge“ oder „Wirtschaftsunternehmen“? Ein Debattenbeitrag
Die derzeitige Finanzierung der Krankenhäuser in der Bundesrepublik ist mehr als in anderen vergleichbaren Staaten mit der Einführung von diagnoseorientierten Fallpauschalen (DRGs) ab 2003 auf Wettbewerb ausgerichtet. Genauer gesagt: auf Verdrängungswettbewerb. Mit den DRGs wurde ein Vergütungssystem geschaffen, das den Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern und den Krankenhausträgern ankurbeln sollte. Das tat es dann auch, aber mehr und mehr mit Auswirkungen, die mit der Zielvorstellung einer guten Gesundheitsversorgung schwer zu vereinbaren sind. Häufig schafft das Angebot sich die eigene Nachfrage und bei der Wahl der Therapiemöglichkeiten entscheidet oft, was sich für die Klinik rechnet.
Oft stimmt das nicht mit dem überein, was die Akteure vor Ort im Sinne einer guten Versorgung gerne machen würden und sollten. Das jedenfalls höre ich immer wieder vor Ort. Ärztinnen und Ärzte wünschen sich mehr Zeit für die Behandlung, weniger Druck, Menge zu machen, weniger Kodieraufwand und vor allem eine Verteidigung der Therapiefreiheit, die ihnen mittels wirtschaftlicher Vorgaben eingeschränkt wird.
Pflegekräfte beklagen, dass in ihrem Bereich am meisten gespart wird. Denn wirtschaftlich am erfolgreichsten ist das Krankenhaus, das mit den wenigsten Pflegekräften auskommt. Mit anderen Worten: Pflege und Zuwendung sind im DRG-System kaum „erlösrelevant“. Geraten die Krankenhäuser unter Kostendruck, dann ist der Stellenabbau im Pflege- und Funktionsbereich der scheinbar einzige Ausweg aus der Kostenfalle. Die Folge ist ein enormer Anstieg der Arbeitsbelastung bei den Beschäftigten. „Gefährliche Pflege“ wird dadurch leider ständiger Begleiter im Arbeitsalltag. Das belegt z.B. ein „Nachtdienstcheck“, den die Gewerkschaft ver.di vom 5. auf den 6. März in 237 Kliniken durchgeführt hat. Eines der erschreckenden Ergebnisse: 59 Prozent der Pflegekräfte gaben an, dass sie in den letzten vier Wochen mindestens eine Situation erlebt haben, in der Patienten durch zu wenig Personal in eine gefährliche Situation gekommen sind.
Das Elend des Wettbewerbs bekommen auch alle anderen Gruppen im Krankenhaus zu spüren: Das übrige nichtmedizinische Personal hätte gerne sichere Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen. Stattdessen wird es in Servicegesellschaften ausgegliedert, die nur dem Zweck dienen, die Löhne zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Krankenhausleitungen berichten mir oft, dass sie gerne anders entscheiden würden und dass sie die Interessen der Beschäftigten dieser Berufsgruppen gut verstehen können. Aber auch dass sie das Krankenhaus niemals aus den roten Zahlen bringen könnten, wenn Sie deren Interessen stärker beachten würden. Mit anderen Worten: Das neue Paradigma von wettbewerbsorientierter Wirtschaftlichkeit und die damit verbundene Drohkulisse von Schließung oder Verkauf verhindern systematisch die Möglichkeit guter Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Und Kommunalpolitikerinnen und -politiker sagen, sie würden gerne Privatisierungen verhindern und Stationen erhalten, weil sie gebraucht werden. Aber auch auf den Kommunen lastet unter dem Diktat der Schuldenbremse ein großer finanzieller Druck, der ihnen auch den letzten demokratischen Gestaltungsspielraum nimmt.
Von den Befürworterinnen und Befürwortern des Krankenhauswettbewerbs wird als Argument oft eine (angeblich) notwendige „Strukturbereinigung“ genannt. Diese Strukturbereinigung sei nur zu erreichen, indem der Wettbewerb wirke und „Überkapazitäten“ durch den Markt reduziert würden. Über die politische Krankenhausplanung sei das nicht möglich. Nun mag es ja stimmen, dass es auf kommunaler Ebene schwierig ist, in einem demokratischen Prozess die Schließung eines Krankenhauses zu erwirken. Wobei man dazu einschränkend hinzufügen könnte, dass dies mit guten versorgungspolitischen Gründen einfacher ist als mit den Zwängen eines künstlich geschaffenen Marktes. Es kann aber auch gute Gründe geben, weswegen eine Kommune an einem Krankenhaus festhalten will. Der stumme Zwang des Marktes führt dann zusammen mit desolaten kommunalen Haushalten in vielen Fällen zur Schließung oder Veräußerung des Krankenhauses, obwohl es für die Gesundheitsversorgung der Region wichtig ist.
DIE LINKE ist überzeugt, dass eine marktgetriebene Strukturbereinigung nicht zu einer besseren Versorgung führt. Im Gegenteil bewirkt dieser Prozess Schließungen von versorgungsnotwendigen Krankenhäusern und beschert gute Gewinne bei weniger notwendigen Stationen. Entscheidend sollte nicht der Markt, sondern die Versorgungsplanung im Rahmen eines Landeskrankenhausplans sein. Denn nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) sind es die Bundesländer, die mit demokratischer Legitimation festlegen, welche Krankenhäuser und welche Stationen wo gebraucht werden. Und dieser Bedarf muss dann entsprechend § 1 KHG so finanziert werden, dass sie wirtschaftlich gesichert werden. Die derzeitige Krankenhausfinanzierung stellt dieses Prinzip auf den Kopf.
Schlussendlich stellt sich die Frage, ob Krankenhäuser im Rahmen der Gesundheitsversorgung Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder einfach nur Wirtschaftsunternehmen sind. Ob sie also wettbewerbs- und kartellrechtlich zu behandeln sind oder ob sie im Rahmen des grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzips Aufgaben erfüllen, die auch jenseits der betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu gewährleisten sind. Niemand käme auf die Idee, die Finanzierung einer Feuerwehr nach der Anzahl und dem Schweregrad der Brände vornehmen zu wollen. Im Bereich der stationären Gesundheitsversorgung wurde allerdings genau dieser Weg beschritten.
Der vorliegende Referentenentwurf zur Krankenhausreform ändert an dieser grundsätzlichen Richtung nichts. Am Preissystem und dem Wettbewerbsmechanismus wird festgehalten. Einige der angeblich ungewollten Wirkungen dieses Systems sollen durch Sanktionen (Mengenabschläge, Abschläge bei Qualitätsmängeln) und Gratifikationen (Versorgungszuschläge, Strukturfonds) abgemildert werden. Am unerschütterlichen marktradikalen Glauben, dass Qualität durch (Preis-)Wettbewerb entstünde, wird durch eine angestrebte Einführung von erlösrelevanten Qualitätskriterien eisern festgehalten. Dass dabei die dringend notwendige Kooperation zwischen den Einrichtungen, über die Fachdisziplinen und Sektoren hinweg, unter die Räder kommen könnte, ficht die großkoalitionäre Gesundheitspolitik nicht an. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die verheerenden Wirkungen dieses Preissystems zumindest zurückzudrängen und einzuschränken und eine offene Diskussion über Alternativen zu eröffnen.
Harald Weinberg ist Mitglied des Deutschen Bundestages und gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Sein Beitrag erscheint im Rahmen der Debatte des Tagesspiegel Politikmonitorings zur Krankenhausreform. Alle Debattenbeiträge finden sie hier.
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Harald Weinberg MdB