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Der sogenannte Atomkoffer begleitet den US-Präsidenten überallhin.
© dpa, pa

Amerikanische Atomwaffen: Welches Risiko ist größer: Präsident oder Militär?

Der für Atomwaffen zuständige US-General würde einen illegalen Angriffsbefehl Trumps nicht ausführen. Das Verhältnis von Militär und Politik hat sich gewandelt.

Die Sätze klingen fast banal, entfalten aber eine enorme politische Wirkung. „Manche Leute halten uns wohl für blöd“, sagt US-General John Hyten. Er befehligt das strategische Luftwaffenkommando, darunter die Atomraketen mit ihrer apokalyptischen Zerstörungskraft. „Wir sind nicht blöd. Wir denken über die Fragen intensiv nach. Wie könnte man, wenn man diese Verantwortung hat, nicht darüber nachdenken?“

Falls US-Präsident Donald Trump einen Atomangriff auf Nordkorea befehlen sollte, das besagen diese simplen Sätze, würde General Hyten diesen Befehl nicht automatisch ausführen. Er würde überlegen, ob er legal ist. „Wer einen rechtswidrigen Befehl ausführt, landet im Gefängnis, womöglich für den Rest seines Lebens“, sagte Hyten weiter, als er beim jährlichen Halifax International Security Forum in Kanada, dem nordamerikanischen Pendant zur Münchener Sicherheitskonferenz, am Wochenende nach den Risiken eines Atomkriegs zwischen den USA und Nordkorea gefragt wurde.

Szenarien werden regelmäßig durchgespielt

Falls er den Befehl für rechtswidrig halte, werde er sagen: „Herr Präsident, das ist illegal.“ In den Szenarien, die sein Kommando bei Übungen regelmäßig durchspiele, würde der Präsident dann fragen: „Was sind unsere legalen Möglichkeiten?“ Dann „würden wir ihm Optionen vorlegen auf der Basis unserer Fähigkeiten, auf eine bestimmte Lage zu antworten. So läuft das ab. Es ist gar nicht so kompliziert.“

Einen illegalen Befehl zum Einsatz von Atomwaffen würde er verweigern, sagt Vier-Sterne-General John Hyten (rechts), hier mit Jeong Kyeong-doo, Generalstabschef der südkoreanischen Armee.
Einen illegalen Befehl zum Einsatz von Atomwaffen würde er verweigern, sagt Vier-Sterne-General John Hyten (rechts), hier mit Jeong Kyeong-doo, Generalstabschef der südkoreanischen Armee.
© YNA/dpa-pa

Die Erläuterung des Generals und die Resonanz, die sie auslösen, zeigen, wie sich die Bilder vom Umgang mit den US-Atomwaffen sowie der Rollen von Präsident und Militär verändert haben. Ursprünglich war der Atomkoffer ein Utensil, das dem Missbrauch vorbeugt. Eine mehrfach abgesicherte Befehlskette soll verhindern, dass die fürchterlichen Waffen unbeabsichtigt oder aus falschen Intentionen zum Einsatz kommen.

Diese Kette beginnt mit dem berühmten Atomkoffer. Er gehört zur Grundausstattung eines Präsidenten wie das Oval Office im Weißen Haus, der Dienstwagen „The Beast“, der wie ein rollender Bunker ausgebaut ist, und der Dienst-Jumbo „Air Force One“. Angeblich wird der Koffer dem Präsidenten überall hinterhergetragen. Nur er ist im Besitz der Codes, die man in diesem Koffer eingeben muss, um das Todesarsenal für den Einsatz freizuschalten.

Im Fall eines Atomangriffs auf die USA würde der Gegenschlag gegen den Angreifer nicht automatisch erfolgen. Der Präsident als demokratisch legitimierter Vertreter des Volks und Oberbefehlshaber muss seine Zustimmung geben. Früher galt das als Absicherung dagegen, dass Militärs verrückt spielen, weil sie einen Atomkrieg, zum Beispiel gegen die Sowjetunion, für gewinnbar halten.

Kim und Trump tauschten Drohungen aus

Mit Donald Trumps Amtsantritt bewegt die umgekehrte Sorge viele Menschen: Dieser Präsident mit seinem unberechenbaren Temperament könnte seine Macht missbrauchen und, zum Beispiel, aus einem spontanen Ärger über Nordkoreas Diktator Kim Jong Un heraus einen Atomangriff befehlen. Kim und Trump haben entsprechende Drohungen, dass sie das jeweils andere Land komplett auslöschen wollten, mehrfach ausgetauscht. In solchen Vorstellungen ist der Atomkoffer nicht mehr ein Instrument, mit dem der Präsident das Militär in Zaum hält. Sondern umgekehrt ein Utensil, das der Präsident missbrauchen könnte – woraus die Frage folgt, wer ihn am Missbrauch hindern kann.

Der US-Kongress debattiert auf Initiative der Demokraten, ob es dem Präsidenten per Gesetz verboten werden soll, einen atomaren Erstschlag anzuordnen. Der republikanische Senator Bon Corker warnte am Rande der Anhörungen im Senat, Trumps Drohungen „könnten zu einem Dritten Weltkrieg führen“.

In diese politische Dynamik hinein fallen General Hytens Kommentare auf der Sicherheitskonferenz in Halifax. Nach seiner Schilderung ist das US-Militär die Kontrollinstanz, die verhindert, dass illegale Befehle eines Präsidenten ausgeführt werden. Eine ähnliche Rolle spielen ehemalige Generäle nach Analyse vieler Beobachter in anderen Regierungsbereichen. Ex-General John Kelly ist Trumps Stabschef im Weißen Haus, Ex-General H. R. McMaster ist Nationaler Sicherheitsberater, Ex-General James Mattis ist Verteidigungsminister. Diese drei seien „die Erwachsenen in der Trump-Regierung“, sagen viele in Washington. Sie stellen sicher, dass die USA berechenbar agieren.

Gegenschlag gilt als legitim

General Hyten legte nicht im Detail dar, in welchen Situationen er den Gebrauch von Atomwaffen für legal erachte. Nach den Prinzipien der US-Verteidigungsdoktrin dienen Atomwaffen vor allem dazu, Gegner von einem Atomangriff abzuschrecken, weil sie damit rechnen müssen, im Gegenschlag vernichtet zu werden. Dieser Gegenschlag gilt als legitim. Ein Erstschlag, zumal gegen ein militärisch weit unterlegenes Land wie Nordkorea, das keine existenzielle Bedrohung für die USA darstellt, stufen die meisten Experten als rechtswidrig ein.

Hytens Erklärung, dass er einen Befehl, den er für illegal halte, nicht befolgen werde, löst nun umgekehrte Fragen aus: Welche Absicherungen bestehen in Diktaturen wie Nordkorea, aber auch in autoritären Supermächten wie China und Russland? Wie verstehen Militärs dort ihre Rolle? Wer verhindert, dass ein Befehl Kim Jong Uns, die USA mit einer Atomwaffen anzugreifen, ausgeführt wird?

Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.

Christoph von Marschall

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