Punktesystem: Vorbild Kanada – wie Einwanderung gut funktionieren kann
Für Kanada ist Einwanderung ein wesentlicher Teil seiner Geschichte – und Garant für künftigen Erfolg. Die Zahl der Immigranten soll weiter steigen. So funktioniert das System.
Zuständig für Einwanderung, Flüchtlinge und Staatsbürgerschaft im Land ist der 42 Jahre alte Ahmed Hussen, ein gebürtiger Somali. Hussen kam als 16-jähriger Flüchtling aus Mogadischu nach Kanada. Er besuchte in Hamilton die Schule, studierte an der York-Universität in Toronto und wurde an der Universität Ottawa zum Rechtsanwalt ausgebildet. Im Oktober 2015 wurde er ins Parlament gewählt und ist seit Januar 2017 Minister.
Gerade kehrte Hussen von einem Besuch Europas nach Ottawa zurück. In Großbritannien, Belgien und Deutschland sprach er mit Politikern und Unternehmern. Dabei erläuterte er Kanadas auf mehrere Jahre angelegten Einwanderungsplan, mit dem Talente ins Land geholt werden sollen. Der Minister habe seine Gesprächspartner „ermutigt, innovative Perspektiven, unternehmerischen Geist, globale Erfahrungen und einzigartige Fähigkeiten von Immigranten zu erkennen“, heißt es anschließend in einer Mitteilung. Angesichts von Populismus und Fremdenfeindlichkeit an vielen Orten sei er froh, dass er „Kanadas positive Erfahrungen mit Vielfalt und Immigration teilen konnte“, sagte Hussen.
Kanada baut darauf, mit Zuwanderung einem künftigen Arbeitskräftemangel und der Überalterung entgegentreten zu können. Das klassische Einwanderungsland hatte zwischen 2006 und 2015 meist zwischen 250.000 und 270.000 Migranten, zu denen auch die Flüchtlinge zählen, aufgenommen. Durch die Aufnahme syrischer Flüchtlinge direkt nach Amtsantritt der liberalen Regierung von Premierminister Justin Trudeau war die Zahl auf 300.000 gestiegen. Im vergangenen Jahr wurde ein Dreijahresplan vorgelegt, der eine Steigerung um jeweils 10.000 bis 20.000 Immigranten vorsieht, so dass 2020 insgesamt 340.000 neue Einwohner kommen können.
Mehrmals geändert
Bekannt ist Kanada für sein Punktesystem, das mehrmals geändert wurde. Eine einschneidende Änderung brachte 2015 die Einführung des „Express Entry“-Systems. Potenzielle Einwanderer können über die Website des Ministeriums ein Profil erstellen mit Informationen über ihre Qualifikation, Schulbildung, ihre Sprachkenntnisse und ihr Alter. Aufgrund dieser Angaben werden maximal Punkte vergeben. So erhalten Interessierte zwischen 20 und 29 Jahren 100 Punkte, ein 39-jähriger dagegen nur noch 50 Punkte.
Damit wird ein „Pool“ möglicher Einwanderer geschaffen, aus dem in regelmäßigen Abständen entsprechend ihrer Qualifikation Kandidaten aufgefordert werden, sich für eines der Einwanderungsprogramme formal zu bewerben. Besonders interessant ist aus europäischer und deutscher Perspektive das „Federal Skilled Workers“-Programm für Fachkräfte. In dieser zweiten Stufe wird je nach Programm wieder ein Punktesystem angelegt. Diesmal können maximal 100 Punkte erreicht werden, es müssen aber mindestens 67 Punkte sein. So gibt es für die Sprachkenntnisse maximal 28 Punkte, für die Ausbildung bis zu 25 Punkte. Weitere Kriterien sind Anpassungsfähigkeit, Berufserfahrung, Alter und in Aussicht gestellte Arbeitsplätze. Das Verfahren soll weniger als sechs Monate dauern.
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Die „Economic Class“ ist die größte Gruppe der Immigranten. Etwa 50 Prozent der Einwanderer gehören in diese Klasse der „Wirtschaftsimmigranten“ aus verschiedensten Berufen mit Ausbildung und Qualifikation, einschließlich ihrer Familienangehörigen, die etwas mehr als die Hälfte ausmachen. 2016 gab es rund 70.000 Hauptantragsteller und rund 86.000 Familienangehörige. Zudem gibt es die „Familienklasse“: 2016 holten Kanadier fast 80.000 Angehörige aus dem Ausland zu sich. Die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge lag 2016 bei 60.000. Die akzeptierten Einwanderer und Flüchtlinge erhalten ein permanentes Aufenthaltsrecht. Die meisten Einwanderer kamen aus den Philippinen, Indien, Syrien, China und Pakistan. Aber selbst aus den USA zogen 8400 Menschen nach Kanada.
Die Bevölkerung wächst durch Immigration
Kanada hat derzeit etwa 37 Millionen Einwohner. Die Anhebung der Einwanderungszahlen bedeutet, dass die Bevölkerung allein durch Immigration jährlich um annähernd ein Prozent wachsen wird.
Während die geregelte Immigranten politisch weitgehend unumstritten ist, erlebt Kanada aber derzeit eine heftige Debatte über nicht legale Einwanderung. Im vergangenen Jahr kamen rund 25.000 Flüchtlinge, die vor allem aus zentralamerikanischen und afrikanischen Ländern stammen, aus den USA nach Kanada, da ihnen in den Vereinigten Staaten die Abschiebung in ihre Heimat drohte. Sie überqueren die Grenze nicht an offiziellen Grenzstellen, sondern ziehen über die grüne Grenze nach Kanada und beantragen dann Asyl. Die Konservativen sprechen von einer „Krise“ und „illegaler Einwanderung“, die Trudeau durch seine Twitter-Nachricht, Flüchtlinge seien in Kanada Willkommen, ausgelöst habe. Die Liberalen dagegen sprechen nur von einer „Herausforderung“ durch eine Einwanderung, die sie nicht illegal, sondern „irregulär“ nennen und werfen den Konservativen eine Angstkampagne vor. Kanada, das von drei Ozeanen umgeben ist und nur eine Grenze Grenze zu den USA hat, kann anders als europäische Länder seine Einwanderung weitgehend selbst regulieren. Ob die Toleranz, derer sich Kanada rühmt, bei einem stärkeren unregulierten Zustrom von Einwanderern Bestand haben würde, ist allerdings äußerst fraglich.