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Spurensuche in Salisbury nach dem Anschlag auf Doppelagent Sergej Skripal. Die Ermittler erklären: Die Spur führe nach Russland.
© dpa

Giftanschlag gegen Ex-Agent Skripal: Welche Schritte Russland und der Westen nun ergreifen könnten

Nach dem Giftangriff auf einen ehemaligen russischen Doppelspion in Großbritannien bedrohen sich Russland und die Nato-Staaten gegenseitig mit Sanktionen. Welche Konsequenzen das haben könnte.

Der Giftangriff auf einen ehemaligen russischen Doppelspion in Großbritannien hat eine diplomatische Krise zwischen London und Moskau ausgelöst. Am 4. März wurden Sergej Skripal und seine Tochter Julia in Salisbury vergiftet. Die Ermittler fanden Spuren des chemischen Kampfmittels „Nowitschok“, eines Nervengifts, das die Atemwege lähmt. Es wurde in sowjetischen Laboren entwickelt. Deshalb gehen britische Fahnder von einem russischen Anschlag aus. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Europa ein militärischer Nervenkampfstoff eingesetzt.

Wie reagieren Deutschland und andere Staaten auf den Giftangriff?

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hob „die Bedeutung der europäischen und transatlantischen Geschlossenheit“ vor. Tatsächlich stellten sich Deutschland, Frankreich und die USA wenig später demonstrativ an die Seite Großbritanniens. In einer gemeinsamen Erklärung der Staats- und Regierungschefs unterstützten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Macron und US-Präsident Donald Trump die britische Regierungschefin Theresa May darin, dass Russland „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Verantwortung für den Giftanschlag trage. Eine andere plausible Erklärung gebe es nicht.

Wenn westliche Geheimdienste eine Einschätzung abgeben sollen, wer für einen bestimmten Vorfall verantwortlich ist, operieren sie in der Regel nicht mit eindeutigen Zuschreibungen, weil das auf der Grundlage von Indizien kaum möglich ist, sondern mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit. Von „hoher Wahrscheinlichkeit“ ist nur dann die Rede, wenn sich der jeweilige Geheimdienst sehr sicher ist.

Aus Sicht der vier Staats- und Regierungschefs spricht auch das Verhalten Moskaus nach dem Bekanntwerden der Tat gegen Russland: Die Weigerung, auf berechtigte Fragen aus Großbritannien einzugehen, liefere „einen zusätzlichen Anhaltspunkt für seine Verantwortlichkeit“, heißt es in der Erklärung. „Wir rufen Russland auf, zu allen Fragen Stellung zu nehmen, die mit dem Anschlag verbunden sind.“ Russland müsse der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) über die Herstellung des Gifts „Nowitschok“ Auskunft geben. Die vier zeigten sich „entsetzt“ über den Angriff, der ein „Übergriff gegen die Souveränität“ Großbritanniens sei.

Was sagt Russland zu den Vorwürfen?

Russland hatte das von Theresa May gesetzte Ultimatum, bis Dienstagabend Informationen zur Verfügung zu stellen, verstreichen lassen. Bisher hat Moskau nicht einmal bestätigt, dass das Nervengift „Nowitschok“ überhaupt jemals in sowjetischen oder russischen Laboren hergestellt wurde. Einen Tag, nachdem Großbritannien die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten und weitere Sanktionen beschlossen hatte, kündigte der Kreml Gegenmaßnahmen an.

Diese würden „nicht lange auf sich warten lassen“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Der Präsident werde eine Entscheidung treffen, die den russischen Interessen entspreche. Allerdings ließ der Kreml zunächst offen, wie die Gegenmaßnahmen aussehen sollten. Erwartet wurde, dass die russische Führung mit der Ausweisung britischer Diplomaten reagiert.

Worum geht es im Fall Skripal?

Skripal arbeitete für den russischen Geheimdienst, er wurde vom britischen Nachrichtendienst MI6 abgeworben. 2006 wurde er in Russland verurteilt, 2010 kam der Doppelagent im Zuge eines Agentenaustauschs nach Großbritannien. „Das steht ziemlich außer Zweifel", sagt Michael Gahler. Der Mann war einst Diplomat, heute sitzt der Sicherheitsexperte für die CDU im Europaparlament. „Entweder die Tat wurde angeordnet. Oder Teile des russischen Geheimdienstes haben sich verselbständigt. Beides wäre bedenklich“, sagt Gahler. Das mögliche Motiv: „Das Signal vor den Wahlen am Sonntag in Russland ist klar: Wenn wir wollen, kriegen wir euch überall“, so Gahler.

Wie verhält sich die Nato in dem Fall?

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach am Donnerstag von „einem schweren Schlag gegen die internationale Sicherheit". Tags zuvor hatte Großbritannien offiziell den Nato-Rat in Brüssel über den Anschlag unterrichtet. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte den Briten am Donnerstag die „volle Solidarität“ zu. Unter Völkerrechtsexperten ist umstritten, ob ein Anschlag wie in Salisbury die Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags auslöst.

In der Geschichte der Allianz war dies bisher nur einmal der Fall: nach dem 11. September 2001. Auch Artikel 4, der Konsultationen vorsieht, wenn nach Auffassung eines Landes „die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit bedroht ist", ist bisher nur drei Mal angewandt worden. „Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg“, stellte Stoltenberg klar. Auch derNato ist klar. Ohne Russland wird es keine Lösung der Konflikts in Syrien, des Streits um das Atomprogramm in Iran und das Raketenprojekt Nordkoreas geben.

Michael Gahler, der als Sicherheitsexperte für die CDU im Europaparlament sitzt, sieht den Fall Skripal als gravierend an, aber doch eher „eine Angelegenheit der inneren Sicherheit“. Gahler: „Die Nato sollte in der Sache hart, aber in der Form konziliant vorgehen.“

Und wie reagiert die Europäische Union?

Ratspräsident Donald Tusk verurteilte den Anschlag. Zudem will er den Fall auf die Agenda des EU-Gipfels kommende Woche setzen. Das Verhältnis zur EU ist ohnehin gespannt. Vor zwei Jahren gab sich die EU fünf Prinzipien zum Umgang mit Russland, eines lautet: Stärkung der inneren Widerstandsfähigkeit. Bereits nach der Annexion der Krim 2014 verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, darunter auch Einreiseverbote verbote gegen Personen aus der russischen Machtelite. Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms forderte, „die EU insgesamt muss sich solidarisch zeigen mit Großbritannien“, etwa durch strengeres Vorgehen gegen Geldwäsche.

Londongrad wird die britische Hauptstadt auch oft genannt, weil sie russische Oligarchen wie Roman Abramowitsch anzieht, den schwerreichen Eigner des Fußballclubs Chelsea. „Sollte die britische Regierung Reisebeschränkungen erlassen, sollten wir diese im Schengen-Raum übernehmen“, sagte Gahler.

Folgt nun ein Boykott der Fußball-WM in Russland?

Großbritannien schickt keine Minister und Offizielle zur WM-Endrunde. Auch Prinz William, Präsident des englischen Fußballverbands, wird dem Turnier fernbleiben. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Rolf Grindel, lehnte ein Fernbleiben des deutschen Teams ab. Auch der Sicherheitspolitiker Gahler hielt von einem Totalboykott wenig. „Wir sollten nicht die Sportler bestrafen“, so Gahler. Er plädierte aber dafür, dem britischen Beispiel zu folgen. „Die Bundesregierung sollte keine offiziellen Vertreter zu diesem Turnier schicken.“

Generell, so Gahler, könne man fragen, „ob es überhaupt sinnvoll war, die WM in solch ein Land zu vergeben." Auch die Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms rügte die WM-Vergabe:„Angesichts des russischen Vorgehens in der Welt kann sich bei mir keinerlei Freude am Spiel einstellen."

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