Fall Sergej Skripal: Hochtoxische Beziehungen
Im Fall des vergifteten Doppelagenten Sergej Skripal weist die britische Regierung 23 russische Diplomaten. Ansonsten setzt sie auf die Strategie des internationalen Rechts.
Das Zitat ist schon etwas älter. Aber es wird dieser Tage gerne nochmal angeführt. „Verräter enden immer schlecht“, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin in einer Rede vor acht Jahren. Im Fall des Giftanschlags auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia Anfang März in England wird Putin von dem alten Zitat wieder eingeholt. „Sehr wahrscheinlich“ sei eine russische Urheberschaft, hatte die britische Regierungschefin Theresa May mit Blick auf das eingesetzte Nervengift „Nowitschok“ jetzt erklärt, das in sowjetischen Laboren entwickelt worden war.
Am Mittwoch reagierte May und wies 23 russische Diplomaten aus. In der Nacht zuvor war ein Ultimatum ausgelaufen. May hatte Russland aufgefordert, sich gegenüber der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) zu erklären. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte das als „Quatsch“ bezeichnet. Das war wenig diplomatisch. Zugleich forderte er eine Probe des im Fall Skripal eingesetzten Nervengifts an. Das entsprach den Vorgaben der im holländischen Den Haag ansässigen OPCW.
Ein Fall für Nato, EU und Vereinte Nationen
Vom „ersten Einsatz von Giftgas in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs“, sprach Peter Wilson, britischer Botschafter in Holland. Und lieferte einen Hinweis auf die britische Strategie. May unternimmt alles, um eine bilaterale Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Stattdessen soll der Fall auf die Ebene des internationalen Rechts gehoben werden.
Völkerrecht gegen vergiftete Beziehungen also. So ist die OPCW eingeschaltet, Friedensnobelpreisträgerin 2013, die das internationale Verbot von Chemiewaffen überwacht. Am Mittwoch befasste sich auch der Nato-Rat mit dem Fall. Der „Angriff“ sei ein "klarer Buch internationaler Regeln und Vereinbarungen“, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und sicherte Großbritannien die „volle Unterstützung des Bündnisses" bei der Aufklärung des Anschlags zu. Am Abend beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat mit der Attacke. Auch die EU solidarisierte sich mit Großbritannien. Von einer „brutalen Attacke" sprach EU-Ratspräsident Donald Tusk, kommende Woche soll der EU-Gipfel den Fall behandeln.
Großbritannien steht nicht allein. Doch fragen sich Beobachter, ob Putin die Instrumentalisierung des Falls vor den Wahlen am Sonntag in Russland gelegen kommt. „Putin ist ein Spieler", kommentierte der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer. „Er spielt mit einem reaktionären Nationalismus, der sich immer schwieriger bändigen lässt.“
Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski sagte, „Putin hat dies angeordnet oder - auch das ist möglich - Putin hat die militärischen Geheimdienste nicht mehr unter Kontrolle". Mit Blick auf eine mögliche eigene tödliche Bedrohung erklärte er, „wenn Putin das jetzt befiehlt, wird es genau so schwierig mich zu verteidigen. Ich weiß davon und muss damit leben."
Michail Chodorkowski kritisiert Putin
Der frühere Öl-Unternehmer und Putin-Kritiker Chodorkowski war 2003 verurteilt worden - offiziell wegen Steuervergehen. 2013 wurde er begnadigt und reiste über Berlin, wo seine Eltern lebten, in die Schweiz aus. Er sprach sich jetzt in Berlin für ein gezieltes Vorgehen gegen die russische Machtelite aus. Der Westen habe kein Problem mit Russland, sondern „mit dem Verbrechersyndikat im Kreml“, sagte Chodorkowski. Einige Dutzend, vielleicht hundert Personen seien Nutznießer des Systems.
Auch Chodorkowski setzt auf das Recht. „Dem Kreml gegenüber muss man sich verhalten, als ob man Polizist wäre.“ Für konkrete Straftaten müssten die jeweiligen Täter und Mittäter ermittelt und verfolgt werden. Chodorkowski verwies auf die Ermittlungen in den USA im Zusammenhang mit der Rolle Russlands im Wahlkampf. Zugleich forderte er Deutschland zu einem ähnlichen Vorgehen auf: „Was die organisierte Verbrecherclique im Kreml an Korruptionsaktivitäten in Deutschland unternimmt, muss Gegenstand von polizeilicher Arbeit und Ermittlungen sein.“