Fragwürdige Geschäfte, Lobbyarbeit, Spendenskandale: Welche Partei ist am anfälligsten für die Verlockung des Geldes?
Schon öfter fielen Unionsvertreter mit dubiosen Geldgeschäften auf. Ein Gespräch mit dem Experten Frank Decker über Politiker und Geldgier.
Frank Decker ist Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Er forscht unter anderem zu Parteien, Rechtspopulismus im internationalen Vergleich und westlichen Regierungssystemen. Der 56-Jährige ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.
Herr Professor Decker, gibt es Unterschiede zwischen den Parteien, was die Verwicklung in dubiose Geschäfte, Lobbyarbeit von Abgeordneten oder Spendenskandale angeht? Anders gefragt: Welche Partei ist am anfälligsten für die Verlockung des großen Geldes?
Da ist die AfD ganz vorne. Als „Newcomer“ im Bundestag hat sie lange nicht profitiert von der staatlichen Parteienfinanzierung, die ja an Wahlergebnisse gebunden ist, auch von Mitgliedsbeiträgen konnte sie nicht leben. Sie war stärker angewiesen auf Spenden. Die Zweifel an der Verfassungstreue der AfD haben einer intransparenten Spendenpraxis Vorschub geleistet, denken Sie an die anonymen Großspenden an diese Partei aus der Schweiz, die offenbar von einem Unternehmer kamen.
Wer kommt an zweiter Stelle?
Union und FDP, denn beide Parteien haben programmatisch und inhaltlich eine große Nähe zur freien Marktwirtschaft und zum Unternehmertum. Beide erhalten auch die meisten Parteispenden, sei es aus der Wirtschaft oder von Einzelpersonen. Zwischen SPD und Grünen sehe ich in dieser Hinsicht keine großen Unterschiede. Bei der Linkspartei spielen Spenden aus der Wirtschaft sicher die geringste Rolle.
Ist auch eine lange Regierungsbeteiligung ein Faktor, weil Entscheidungsmacht Abgeordnete für zahlungswillige Interessenten wertvoll macht?
Wer lange an der Regierung ist, verfügt lange über Entscheidungsmacht und muss aufpassen, dass er sich nicht in seinen eigenen Interessen verfängt. Im Herbst wird die Union 16 Jahre lang die Kanzlerin gestellt haben. In dieser ganzen Zeit hat die Union sich dem Vorschlag verweigert, die Nebentätigkeiten von Abgeordneten strenger zu regulieren oder ein Lobbyregister einzuführen. Erst unter dem Druck der jüngsten Affäre bewegt sie sich nun. Aber es gibt auch Gegenbeispiele.
An welches Beispiel denken Sie?
Die Union ist 1982 nach 13-jähriger Opposition an die Regierung zurückgekehrt. Was fast in Vergessenheit geraten ist: Helmut Kohl hätte in seiner Anfangszeit als Kanzler fast sein Amt verloren, weil herauskam, dass er vor einem Untersuchungsausschuss im Landtag in Mainz die Unwahrheit über Parteispenden gesagt hatte. Heiner Geißler ist es gelungen, ihn da rauszupauken. Dann hat die Union versucht, im Bundestag ein Amnestiegesetz zu erlassen, die SPD hat sich aus der Opposition aber dagegengestemmt. Das waren Spätfolgen eines Finanzsystems, das die Union seit den 50-er Jahren aufgebaut hatte – auch die Parteispendenaffäre Kohls 1999 und 2000 war eine Spätfolge dieser Geschichte.
Sind Abgeordnete der CDU und CSU schlechtere, weil geldgierige Menschen als solche von anderen Parteien – oder geht es vor allem um Strukturen?
Es geht immer auch um Charakter. Aber es ist nicht so, dass Abgeordnete der Union oder der FDP generell weniger moralisch handeln als andere. So steht zum Beispiel auf der Liste der Parlamentarier mit den höchsten Nebeneinkünften im Bundestag auf Platz zehn ein Politiker, der weder der Union noch der FDP angehört: Gregor Gysi von der Linkspartei, der dieses Geld mit Vorträgen oder seiner Anwaltstätigkeit verdient. Da frage ich mich als Bürger schon, wie wichtig er sein Mandat noch nimmt und ob es im Vordergrund seiner beruflichen Tätigkeit steht. Das ist schon eine Frage an die Moral des Einzelnen.
Führt eine direkte Linie von den verdeckten Spenden aus Rheinland-Pfalz für die CDU über die Steuerbefreiung für den Flickkonzern Anfang der 80-er Jahre, den CDU-Spendenskandal rund um die Jahrtausendwende bis zur Masken- und Korruptionsaffäre der Gegenwart?
Es gibt diese Linie, aber sie ist mittlerweile sehr ausgedünnt. Auch die Union hat Lehren gezogen aus der Spendenaffäre um das Jahr 2000. Von den Anfangsjahren der Bundesrepublik bis Ende der 60-er Jahre war die CDU gar keine Mitgliederpartei, sie nahm entsprechend wenig Beiträge ein. Sie war stark getragen von mittelständischen Milieus, die auch für die nötige finanzielle Unterstützung sorgten. Die Spenden wurden freilich verschleiert und über sogenannte Staatsbürgerliche Vereinigungen in die Parteikassen umgelenkt. Deshalb hat die Union die Einführung einer staatlichen Parteienfinanzierung, die Chancengleichheit herstellen sollte, bis 1967 verschleppt. Auch danach ging die alte Praxis weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu beigetragen.
Wie haben die Richter das getan?
Das Bundesverfassungsgericht hat 1992 eine relative Obergrenze für die staatliche Parteienfinanzierung eingeführt. Danach dürfen die Staatszuschüsse die Eigeneinnahmen der Partei nicht übersteigen. Umgekehrt war das natürlich ein Ansporn, eigene Einnahmen zu erhöhen, weil dann auch die staatlichen Zuschüsse höher ausfallen konnten. Das hat die CDU getan – nicht nur durch Mitgliedsbeiträge, sondern auch durch Spenden. Alle Parteien sind bis heute sehr fantasiereich, wenn es darum geht, ihre Einnahmen zu erhöhen.
Was hat diese Fantasie ausgebrütet?
Die Union war immer vorne mit dabei, wenn es darum ging, die Regelungen und ihre strenge Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht zu umgehen. Ein Beispiel dafür ist das Sponsoring. Ein Parteitag gleicht heute einer Industriemesse. Natürlich gilt das nicht für Corona-Zeiten. Verbände und Unternehmen bezahlen die Partei dafür, dass sie während des Parteitags ihre Stände aufbauen dürfen. Das wird nicht als Spende deklariert und somit werden die Vorschriften des Parteiengesetzes umgangen.
Die Union hat sich auch lange gesperrt, wenn es um striktere Normen für Nebentätigkeiten von Abgeordneten ging…
Ich halte es für nötig, Nebentätigkeiten strenger zu regulieren und vor allem die Anzeigepflicht auszuweiten. Nebentätigkeiten ganz zu verbieten, würde das Parlament erheblich verändern, denn dann wären keine Selbstständigen, keine Unternehmer, keine Landwirte mehr dort vertreten. Schon jetzt sitzen dort deutlich mehr Angehörige des öffentlichen Dienstes als in der Gesellschaft - sie können ja auch problemlos wieder zurück. Nun wird sich die Union auch hier bewegen müssen.
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Schadet ihr die Affäre und ihr langer Widerstand gegen schärfere Regeln?
Es wird sich ohne Zweifel negativ auf die Union auswirken. Die Leute sehen doch, dass sie erst unter Druck und nicht aus Einsicht eine strengere Regulierung ermöglicht. Gerade in der Herausforderung durch die Pandemie müssen die Menschen den Eindruck haben, dass es fair und gerecht zugeht in der Politik. Sonst wenden sie sich ab. Wenn die Leute zufrieden sind, verzeihen sie auch eine solche Affäre. Wenn sie wegen mangelnder Erfolge im Kampf gegen Corona generell unzufrieden sind, werden solche Probleme zu einem Skandal, der die Union im Wahljahr noch teuer zu stehen kommen kann.