Streit über Bedürftigkeitsprüfung: Welche Grundrente wäre die beste Lösung?
Bei der Grundrente streiten sich SPD und CDU über die Bedürftigkeitsprüfung. Es geht darum, was für das System und die Gesellschaft am gerechtesten ist.
Aufstockung für ehemalige Geringverdiener oder unnötiger Bonus für Reiche - bei der Grundrente streitet sich die Große Koalition vor allem über die Frage, ob Empfänger ihre Finanzen prüfen lassen müssen.
Warum ist die SPD so gegen eine Bedürftigkeitsprüfung?
Die um ihr linkes Profil ringende Partei hat sich den Kampf gegen Altersarmut auf ihre Fahnen geschrieben. „Wer ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, muss im Alter mehr haben als die Grundsicherung“, betont SPD-Expertin Katja Mast. Es gehe um Leistungsträger der Gesellschaft, die nur gering entlohnt wurden: Lagerarbeiter, Friseurinnen, Kassierer, Beschäftigte in der Gastronomie.
Weil es sich bei der Grundrente anders als bei Hartz IV nicht um eine Sozialleistung handelt, sondern um einen Rentenanspruch auf der Grundlage von eigenen Beiträgen, will die SPD für diese Menschen im Alter kein unwürdiges Bittstellertum. Eine strenge Bedürftigkeitsprüfung könnte, so fürchten viele Genossen, alte Agenda-Geister heraufbeschwören, denn dann müsste dem Staat gegenüber wie bei Hartz IV alles offengelegt werden.
Allerdings hat die SPD im Koalitionsvertrag mit der Union selbst klar vereinbart:. „Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung“. Ohne solche Prüfung bekämen auch jene Grundrente, die mit ihrem Partner in einer Villa wohnen und jahrelang nur nebenher gearbeitet haben. So entstünde eine teure Schieflage zulasten aller Steuerzahler, vor allem der Jüngeren.
Wäre deshalb eine Rentenaufstockung nur für Bedürftige nicht gerechter?
Ohne Bedürftigkeitsprüfung würde die Grundrente zur Gießkanne, argumentieren Union und Arbeitgeber: Vom Geld der Beitrags- und Steuerzahler würden dann auch und sogar mehrheitlich Rentner profitieren, die finanziell nicht darauf angewiesen seien. Das werfe alle Prinzipien des Renten- und Grundsicherungssystems „über den Haufen“, sagt Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Und der Kompromissvorschlag, für die Grundrenten-Gewährung nur das gemeinsame Einkommen zu berücksichtigen, das Vermögen der Rentner aber außen vor zu lassen, führt aus der Sicht vieler in der Fraktion auch nicht weiter.
Denn weshalb sollten Privatiers mit stattlichem Immobilienbesitz ihre Rente aufgestockt bekommen, Habenichtse, bei denen die Einkommensgrenze nur knapp überschritten ist, aber nicht? Man kann das so sehen. Tatsächlich ist eines aber gerade umgekehrt wie von Brinkhaus dargestellt: Den Systembruch bei der Rente stellt nicht der Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung dar, sondern deren Einführung. Denn anders als den Grundsicherungsämtern ist es den Rentenkassen egal, wie viel die Rentenbezieher auf dem Konto oder unterm Kopfkissen haben.
Die Höhe der Auszahlungen richtet sich – von gewollter Zusatzabsicherung für Hinterbliebene, Erwerbsunfähige oder Kindererziehende abgesehen – allein danach, wie viel die Versicherten zuvor und über die Jahre eingezahlt haben. Der Fachterminus dafür lautet Äquivalenzprinzip. Dagegen verstößt die Idee einer Grundrente schon per se.
Ansonsten landet man bei der Frage nach Rentengerechtigkeit schnell in Teufels Küche. Ist es gerecht, Frauen mit Bedürftigkeitsprüfung auch noch im Alter von ihren zeitlebens besser verdienenden Lebenspartnern abhängig zu halten? Wie gerecht ist ein Grundrentensystem, das Geringverdiener mit einer Versicherungszeit von 34 Jahren und zehn Monaten komplett leer ausgehen lässt – und anderen, die auf drei Monate mehr kommen, dafür aber über lange Strecken womöglich nur Teilzeit gearbeitet haben, die volle Summe gewährt?
Weshalb werden Versicherte bei der Grundrente für Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit bestraft? Ist es gerecht, dass Beamte, die nie in eine Rentenkasse einzahlen mussten, mit zwei Dritteln ihres Bruttogehalts in den Ruhestand gehen dürfen, während die Durchschnittsrente im Westen grade mal 864 Euro und im Osten 1075 Euro beträgt? Ist es nicht vermessen, mit „Lebensleistung“ zu argumentieren, wenn die einen bequem von Erbschaft und Aktiendepots leben können, während andere jahrzehntelang für Niedriglöhne schuften müssen und dann im Alter auch noch zur Offenlegung ihrer kleinen Ersparnisse gezwungen werden, bloß um ein bisschen mehr Rente zu erhalten?
Wie viele Menschen würden ohne Prüfung die Grundrente bekommen?
Die angeschlagene SPD könnte sich damit bei vielen Rentnern beliebt machen: Rund drei Millionen würden dann von der Grundrente profitieren – davon 80 Prozent Frauen. Im Westen wären es elf Prozent der Rentner, im Osten 15 Prozent. Geplant ist eine Aufstockung von zehn Prozent über der Grundsicherung für alle, die 35 Jahre Beitragszeit oder Zeiten für Kindererziehung oder Pflege nachweisen können – was ihre Bezüge auf teils mehr als 900 Euro im Monat steigen ließe. Laut SPD lägen die Kosten dafür aber allein von 2021 bis 2025 bei rund 21,5 Milliarden Euro.
Als Kompromiss wird in der Koalition diskutiert, die Bedürftigkeit nur auf Basis der Steuererklärungen zu prüfen, nicht aber eine Offenlegung aller Vermögen, also der kompletten Wohn- und Lebenssituation, zu erzwingen.
Welchen politischen Hintergedanken hat die SPD mit ihrer harten Linie?
Die Sache ist so vertrackt, weil die SPD- Spitze und vor allem der sich um den Vorsitz bewerbende Vizekanzler Olaf Scholz dringend einen Erfolg benötigen. Erstens um von den Mitgliedern zusammen mit Klara Geywitz gewählt zu werden. Und zweitens um vom Bundesparteitag in der zweiten Dezemberwoche grünes Licht für eine Fortsetzung der großen Koalition zu erhalten.
Scholz hatte mit Sozialminister Hubertus Heil das Grundrenten-Konzept schon kurz vor der Europawahl im Mai vorgestellt – auch und vor allem mit Zielrichtung gegen die Rechtspopulisten. Doch die Einigung zog sich in die Länge, auch bei den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg war man noch nicht fertig. Und je länger darüber diskutiert wird – inzwischen fast ein Jahr – desto mehr gerät die Koalition in den Abwärtssog.
Alle Seiten glauben deshalb, sich jetzt besonders profilieren zu müssen. So fordert das linke SPD-Lager von Scholz „rote Trophäen“ im ungeliebten Bündnis. Bei der Union wiederum spekulieren einige, dass ein Scheitern bei der Grundrente womöglich nicht ihr, sondern der SPD angelastet werden könnte – wegen des Abrückens der Sozialdemokraten vom Koalitionsvertrag. Zugleich könnte ein dann drohender Koalitionsbruch die Ära Angela Merkel beenden. Die Optionen wären Neuwahlen oder eine CDU/CSU-Minderheitsregierung, wohl ebenfalls mit neuer Kanzlerin oder neuem Kanzler.
Gibt es das Gießkannen-Prinzip nicht längst im Rentensystem?
Ja, bei der Mütterrente, für die es ebenfalls keine Bedürftigkeitsprüfung gibt – und witzigerweise ist nicht etwa die SPD, sondern die Union für diesen Sündenfall verantwortlich. Durchgeboxt hat diese milliardenschwere Rentenaufstockung vor fünf Jahren die CSU – also die Partei, deren Landesgruppenchef die durchaus ähnlichen SPD-Pläne für eine Grundrente nun als „Hubertus-Heil-Konfettikanone“ schmäht.
Seit 2014 bekommen auch reiche Witwen und Zahnarztgattinnen, die kaum in die Rentenkassen eingezahlt haben, höhere Rentenzahlungen für die Erziehung ihrer vor 1992 geborenen Kinder. Zum Jahresbeginn wurde die Mütterrente nochmal erhöht. Allein diese Ausweitung kostet im Jahr 3,8 Milliarden Euro – exakt so viel wie auch eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung im ersten Jahr.