zum Hauptinhalt
Bekleidungsgeschäft mit Hinweis auf pandemiebedingte Schließung und Onlinehandel, davor Passant mit Coronamaske.
© Bernd Thissen/dpa

Ausgangssperren, Schüler-Tests, Termin-Shopping: Welche bundesweiten Corona-Regeln jetzt kommen

Die Corona-Notbremse soll nicht mehr Auslegungssachse sein. Die Kanzlerin will, dass sie „automatisch greift“. Was sich nun ändert – ein Überblick.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuletzt wenig Fortune mit ihrem Krisenmanagement, nun hat sie die gewünschten stärkeren Durchgriffsrechte des Bundes. Sie bringt es nach dem Beschluss in ihrem Bundeskabinett so auf den Punkt: Auch wenn es schwerfalle, es immer und immer wieder zu hören, „die Lage ist ernst“, sagt sie am Pult des Kanzleramts. Das sei ein „ebenso wichtiger wie dringender Beschluss, wie es in der Corona-Pandemie weitergehen soll“. Von nun an gelte: „Wir setzen die Notbremse bundesweit um“.

Was bedeutet der Bundes-Lockdown?
Ab Überschreiten des Grenzwerts von 100 Neuinfektionen je 100.000 in sieben Tagen sollen künftig bundesweit Ausgangssperren gelten sowie weitgehende Schließungen im Handel und ein Verbot fast aller Freizeitaktivitäten.

Die Corona-Notbremse sei nun nicht mehr Auslegungssachse, „sondern sie greift automatisch“, sagt Merkel. Die Unsicherheit, was wo gelte, sei dann vorbei, so ein Regelwerk sei überfällig. „Wir dürfen die Hilferufe der Intensivmediziner nicht überhören“, betont die Kanzlerin und erinnert an die seit über einem Jahr oft am Limit arbeitenden Ärzte und Pfleger. Sie dürfe man nicht alleine und im Stich lassen „mit dieser Herkulesaufgabe“.

Die Pandemiebekämpfung müsse stringenter und konsequenter werden. Mit dem Beschluss „sehen wir dem Licht am Ende dieses Tunnels mit immer größeren Schritten entgegen“. Was enorm helfe, sei die Tatsache, dass Tag für Tag Hunderttausende geimpft würden.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Merkel hatte sich nach ihren gescheiterten Plänen für einen unausgegorenen Osterlockdown und der Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern dafür entschieden, über eine bundesweite Regelung, den Lockerungsversuchen mehrerer Bundesländer trotz hoher Inzidenzen entgegenzuwirken und dem Bund mehr Durchgriffsrechte zu verleihen, um der dritten Welle besser zu begegnen.

Ab wann gilt der Bundes-Lockdown

Das Gesetz wird höchstwahrscheinlich erst ab Ende April greifen: Der Bundestag berät am Freitag in erster Lesung, dann soll kommende Woche Mittwoch der Beschluss folgen, wahrscheinlich noch am gleichen Tag (21. April) soll es eine Sondersitzung des Bundesrats geben. Geben die Länder grünes Licht, muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier es noch unterzeichnen. Am Tag drauf könnte es in Kraft treten - aber zur Anwendung würde es erst fünf Tage später kommen. Denn Voraussetzung ist, dass in einer Region an drei aufeinander folgenden Tage eine 7-Tage-Inzidenz von mindestens 100 gemeldet wird. „Ab dem übernächsten Tag“, also  zwei Tage später, würden die Verschärfungen  wirksam, also frühestens am 27. oder 28. April. Bis dahin gelten die einzelnen Länderregelungen weiter.

Wie viele Kreise wären aktuell von der Corona-Bundes-Notbremse betroffen? 
Von den bundesweit 294 Kreisen und Landkreisen sowie 107 kreisfreien Städte unterschreiten nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts aktuell nur 88 die 100er-Schwelle. Das Spektrum reicht vom Landkreis Hof mit einer 7-Tage-Inzidenz von 560,8 bis zum Kreis Schleswig-Flensburg mit aktuell nur 28,3 Neuninfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen.

Die Intensivmediziner-Vereinigung Divi mahnt ein möglichst rasches Inkrafttreten an. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten nehme schneller zu als ohnehin erwartet. Bereits Ende April würden 6000 erreicht - so viele wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle. Wenn das Gesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, der „Augsburger Allgemeinen“.

Wann kommen Ausgangssperren und welche Ausnahmen gibt es?
Nach Kritik aus den Bundesländern hat das Kanzleramt den Entwurf für die gesetzlich verankerte, bundesweite Corona-Notbremse etwas aufgeweicht. In dem vom Kabinett beschlossenen Entwurf eines „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sind einige Ausnahmen bei der geplanten Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr geplant, die ab einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen greifen soll.

Sie würde zum Beispiel auch aktuell für Berlin zur Geltung kommen, nur Schleswig-Holstein liegt derzeit als einziges Bundesland noch unter einer Inzidenz von 100.

So soll die Ausgangssperre nicht gelten für medizinische oder veterinärmedizinische Notfälle, bei berufsbedingten Gründen, für Abgeordnete bei der Ausübung ihres Mandats, Medienberichterstattung, bei der Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, der Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger und der Begleitung Sterbender, sowie für Spaziergänge mit dem Hund oder andere „gewichtige und unabweisbare Gründen“. 

Nach 21 Uhr ist auch die bis dahin weiter mögliche Abholung von Speisen in Restaurants untersagt, eine Belieferung durch Essens-Lieferdienste bleibt aber zulässig. Länder wie Berlin sind aber skeptisch, ob die Ausgangssperren vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werden.

Was ist mit dem Einzelhandel?
Die in einigen Bundesländern auch über einer 100er-Inzidenz geltenden Öffnungen für Terminshopping mit negativem Coronatest wären nicht mehr möglich. Ausgenommen von Schließungen bleiben der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. 

Zudem heißt es wörtlich für die bundesweite Corona-Notbremse ab Erreichen der 100er-Inzidenz: „Die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Kinos - mit Ausnahme von Autokinos - , sowie die Öffnung von Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie zoologische und botanische Gärten“ werden untersagt.

[Alle wichtigen Nachrichten des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu Kommentare, Reportagen und Freizeit-Tipps. Zur Anmeldung geht es hier.]

Müssen Friseure auch schließen?
Nein, sie sollen unabhängig von den Infektionszahlen geöffnet bleiben, aber mit einem negativen Coronatest; ebenso bleiben körpernahe Dienstleistungen zu „medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken“ möglich, nicht aber zum Beispiel Tattoo-Studios.

Private Zusammenkünfte werden auf die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person beschränkt (einschließlich Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres). Sport ist nur noch sehr begrenzt und maximal zu zweit oder mit den Angehörigen eines Haushalts möglich.

Was ist mit den Schulen?
Für Schulen wird es wie geplant ebenfalls Verschärfungen geben: Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal müssen sich bei Teilnahme am Präsenzunterricht zweimal in der Woche einem Coronatest unterziehen.

Wird in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen bei der Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 200 überschritten, „so ist ab dem übernächsten Tag für Schulen, Berufsschulen, Hochschulen, außerschulische Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ähnliche Einrichtungen die Durchführung von Präsenzunterricht untersagt“, heißt es in dem vom Kabinett beschlossenen Entwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Was ist besonders umstritten?
Die Verschärfungen greifen erst bei Erreichen der 100er-Inzidenz, ob das zum raschen Brechen der dritten Welle reicht, wird von Virologen angezweifelt und könnte den Dauer-Halblockdown der letzten Monate weiter verlängern.

Aerosolforscher hatten darauf gepocht, wegen der kaum erfolgenden Infektionen draußen hier mehr Freiheiten zuzulassen, so sei das Kaffeetrinken im Café oder im Biergarten draußen mit negativem Test und Hygienekonzept wesentlich weniger riskant als die Einladung zu Kaffee und Kuchen in das heimische Wohnzimmer.

[Lesen Sie exklusiv bei Tagesspiegel Plus: Die 50 wichtigsten Fragen zu Corona-Impfungen.]

„Es werden Treffen in Parks verboten, Rhein- und Mainufer gesperrt, Innenstädte und Ausflugsziele für den Publikumsverkehr abgeriegelt. Auch die aktuell diskutierten Ausgangssperren müssen in diese Aufzählung irreführender Kommunikation aufgenommen werden“, heißt es in dem Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) an Kanzlerin und Ministerpräsidenten. Die Übertragung der SARS-CoV-2 Viren finde fast ausnahmslos in Innenräumen statt.

„Wir teilen das Ziel einer Reduzierung problematischer Kontakte in Innenräumen, aber die Ausgangssperren versprechen mehr als sie halten können. Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen.“ So ist nun auch das Joggen nach 21 Uhr untersagt, während in vielen Betrieben und Großraumbüros weiter viele Arbeitnehmer tagtäglich arbeiten.

Was ist hier an Verschärfungen geplant?
Nach langen Debatten müssen die Unternehmen in Deutschland ihren Beschäftigten nun überall verpflichtend Corona-Tests anbieten, wenn sie nicht im Homeoffice arbeiten - in Berlin gilt das bereits. Dem Kabinettsbeschluss zufolge müssen Betriebe ihren Beschäftigten einmal pro Woche ein Testangebot machen. Es handelt sich bei dem Beschluss aber nur um eine Angebotspflicht, eine Testpflicht für Arbeitnehmer gibt es nicht.

Auch eine Dokumentationspflicht soll es nicht geben. Das Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) hatte sich gegen einen solchen Beschluss gesträubt und auf die Freiwilligkeit von Unternehmen gesetzt. Nach Angaben des Ministeriums bieten inzwischen rund 70 Prozent der Unternehmen ihren Beschäftigten bereits wöchentliche Testmöglichkeiten an.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Wie lange geht der Lockdown nun noch weiter?
Da nun feste Grenzen per Gesetz eingezogen werden, kann ein Lockdown auch nicht einfach durch einen Beschluss von Kanzlerin und Ministerpräsidenten für beendet erklärt werden – und Klagen gegen greifende Maßnahmen wären nur beim Bundesverfassungsgericht möglich.

In dem Entwurf wird betont, dass die Regelungen so lange gelten sollen, wie der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite konstatiert. Das Kanzleramt geht von einer verschärften Infektionslage noch von sechs bis acht Wochen aus – in Länderkreisen wird betont, das bedeutete auch ein Aus für mögliche Pfingsturlaube und andere touristische Aktivitäten an den Brückenfeiertagen im Mai.

Auch für Geimpfte gelten die meisten Einschränkungen erst einmal weiter, vor Juni könnte es vielerorts keine größeren Lockerungen geben. Diese richten sich nach dem Anfang März beschlossenen Stufenplan – größere Öffnungsschritte sind erst unter einer Inzidenz von 50 möglich, dann können Einzelhandel, Außengastronomie, Theater, Kinos und Opern wieder ohne größere Einschränkungen öffnen.

Zur Startseite