Trotz "rechter Kampagne": Weiter Staatsgeld für Amadeu-Antonio-Stiftung
Die Junge Union fordert, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung vom Verfassungsschutz überprüft wird. Das Bundesinnenministerium aber steht zu deren Förderung.
Der Antrag C 32 auf dem Essener Bundesparteitag der CDU birgt Zündstoff - auch wenn wohl nicht über ihn abgestimmt wird: Der Bundesvorstand der Jungen Union (JU) fordert darin, die staatliche Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) zu stoppen und sie "auf Basis der getätigten Aussagen ihrer Vertreter und öffentlichen Kundgaben" vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen. Seit Jahren engagiert sich die Stiftung gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus.
Mit Blick auf den Einsatz von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und auch der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Hass im Internet (Hatespeech) fordert der CDU-Nachwuchs: "Die Kundgabe von Äußerungen, welche durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind, darf nicht von staatlichen Stellen oder im Auftrag staatlicher Stellen ohne juristische Überprüfung zensiert werden."
"Die JU reitet damit auf der rechten Kampagnenwelle"
Die Antragskommission des Parteitags empfiehlt die Überweisung des Antrags an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es wird also in Essen darüber voraussichtlich keine Debatte geben. Und doch ist die Vorlage Wasser auf die Mühlen derjenigen, die seit Monaten die Arbeit der Stiftung attackieren.
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Stiftung, sagte dem Tagesspiegel: "Es ist bedauerlich und tragisch, in welche Richtung sich die Diskussionen bei der Jungen Union entwickeln. Ein absurder Antrag. Die JU reitet damit auf der rechten Kampagnenwelle gegen uns."
Bundeszentrale für politische Bildung fördert die Stiftung
Das Bundesinnenministerium sieht trotz der Diskussionen um die Stiftung keine Veranlassung dafür, der Stiftung staatliche Mittel zu streichen. Ministeriumssprecher Harald Neymanns sagte am Dienstag auf Tagesspiegel-Anfrage: "Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) wird durch BMI-Programme aktuell nicht gefördert. Sie ist allerdings seit dem 3. November 2015 anerkannter Träger der politischen Bildung und hat ein erfolgreich abgeschlossenes Anerkennungsverfahren durchlaufen, das es ihr erlaubt, eine regelmäßige Förderung durch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) zu beanspruchen. Zurzeit wird keine Veranlassung gesehen, davon abzuweichen."
Erst am Wochenende hatte der Historiker Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, in einem Gastbeitrag des "Focus" Stiftungschefin Anetta Kahane wegen ihrer früheren Stasi-Tätigkeit angegriffen. Unter der Überschrift "Stasi-IM als Netz-Spionin?" schrieb Knabe, Kahanes Stasi-Tätigkeit sei, verglichen mit anderen Inoffiziellen Mitarbeitern, als mittelschwer einzustufen. "Problematisch erscheint vor allem ihr Umgang damit."
Diskussion um Stasi-Vergangenheit von Kahane
Obwohl Kahane 1984 aus der DDR ausgereist sei, habe sie ihre MfS-Biographie jahrelang verschwiegen, schrieb Knabe. Später habe sie erklärt, vom Ministerium für Staatssicherheit unter Druck gesetzt worden zu sein - "was laut Akten nicht stimmt". Der Historiker schrieb weiter, es sei unverständlich, warum das Bundesjustizministerium ausgerechnet Anetta Kahanes Stiftung für eine "sensible Aufgabe wie die Kontrolle des Internets" herangezogen habe. "Es wäre gut beraten, die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden."
In der rechten Zeitung "Junge Freiheit" kritisierte der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann die Zusammenarbeit des Bundesjustizministeriums mit der von Kahane geführten Stiftung als "Gipfel des ideologischen Aktionismus".
Mit den Wortmeldungen der Jungen Union, von Knabe und aus der CSU gewinnt eine Diskussion wieder an Dynamik, die zumindest ein wenig abgeebbt war. Seit Juni war die Stiftung unter Beschuss genommen worden wie noch nie, nachdem sie eine neue Broschüre mit Tipps veröffentlichte, wie mit der "Hetze gegen Flüchtlinge in sozialen Medien" umzugehen sei.
Gutachten: Extreme Rechte ärgert sich über Erfolge der Stiftung
2500 Euro ließ sich die Amadeu-Antonio-Stiftung anschließend ein Gutachten kosten: Der Göttinger Sozialwissenschafter Samuel Salzborn sollte die "rechte Kampagne" gegen die Stiftung untersuchen. Die Ergebnisse seiner Untersuchung liegen seit wenigen Tagen vor. In der 46-seitigen Expertise unter der Überschrift "Als Meinungsfreiheit getarnter Hass" kommt Salzborn zu dem Schluss, dass die Kampagne gegen die Stiftung nicht "als solche inszeniert und geplant gewesen" sei. Vielmehr hätten sich "zahlreiche rechte Akteure - und das Etikett ,rechts' ist mit Bedacht gewählt, weil nicht nur Rechtsextreme, sondern auch (Rechts-)Konservative zu Akteuren in der Kampagne geworden sind - aufgrund punktueller gemeinsamer Interessen in eine ähnliche Richtung engagiert".
Salzborn schreibt: "Faktisch ärgern sich die extreme Rechte und Teile des rechtskonservativen Spektrums darüber, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung erfolgreich gegen die weitere Verbreitung rechter Propaganda arbeitet." Insbesondere Justizminister Maas sei es gelungen, unter den Bedingungen des Web 2.0 "politische Strukturen zu generieren, die tatsächlich ein effektiveres Vorgehen gegen Rechtsextremismus ermöglichen könnten". Er stehe im rechten und rechtskonservativen Spektrum nun ähnlich in der Kritik wie Kanzlerin Angela Merkel, unter deren Führung die Kräfte am rechten Rand der Union marginalisiert worden seien.
Der Wissenschaftler sieht eine lange Kette von Attacken - beginnend mit der früheren Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld (erst Bündnis 90/Die Grünen, dann CDU), die schon im Dezember 2015 unter Hinweis auf ein Treffen mit Facebook, Google und Twitter im Bundesjustizministerium erklärte, Kahane würde nun "wieder mit Ausarbeitung von Spitzel-Richtlinien" beschäftigt. Im Netz habe sich eine "immense Wucht an virtueller Energie" gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung entfaltet: in rechten Blogs, auf Facebook-Seiten von Privatpersonen und Organisationen, auf Twitter und diversen Homepages, aber auch in direkt an die Stiftung gerichteten E-Mails.
"Gerüchte durch Reproduktion geadelt"
Nach Darstellung von Salzborn nahmen zunächst mehrere AfD-Politiker wie deren thüringischer Landeschef Björn Höcke den Ball von Vera Lengsfeld auf, im April dann der "FAZ"-Blogger "Don Alphonso" - bürgerlich Rainer Meyer. Letzterer habe "Gerüchte" zur Hatespeech-Kampagne "durch ihre Reproduktion geadelt". Der Wissenschaftler kritisiert: "Dass der FAZ-Blogger sich für diese Desinformationskampagne hat instrumentalisieren lassen, spricht nicht für die journalistische Sorgfaltspflicht der einflussreichsten deutschen Tageszeitung", es sei ein höchst fragwürdiges "Puzzlestück im Rahmen der entstehenden Kampagne gegen die AAS". Interventionen, die bis dahin mit wenigen Ausnahmen deutlich der rechten Szene zuzuordnen gewesen seien, hätten nun den "Anstrich von Glaubwürdigkeit" bekommen.
In der Folge gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung unterwegs waren laut Gutachten von Salzborn nicht nur rechte Leitmedien wie die "Junge Freiheit" oder "Compact". Sondern zum Beispiel auch der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Feist. Er behauptete, dass Linksradikale die Stiftung "als Plattform für Denunziation und zur Ankündigung von Gewalttaten genutzt hatten". Feist forderte bereits vor Monaten, der Amadeu-Antonio-Stiftung die Staatsgelder zu streichen - also ganz ähnlich wie nun die Junge Union.