Ortstermin mit Karl-Theodor zu Guttenberg: Weit weg und doch ganz nah
Bei einem Vortrag in Berlin wirft Karl-Theodor zu Guttenberg einen Blick in die Zukunft der Bundesrepublik. Dabei wird deutlich: Die eigene Vergangenheit lässt den einstigen Hoffnungsträger der Union nicht los.
Er ist nicht gekommen, um Noten zu verteilen. Auch wenn sich das vielleicht viele von ihm erhofft hätten. Doch Karl-Theodor zu Guttenberg, bis 2011 Hoffnungsträger der CSU und auch der Bundespolitik, will es nicht mehr besser wissen als andere. Fünf Jahre nach der Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit und dem Rücktritt als Verteidigungsminister verlegt sich der 44-Jährige lieber auf Selbstironie. In Selbstüberschätzung sei er nicht ungeübt. „Ich habe lange gebraucht, um meine Eitelkeit zu überwinden“, bekennt er zu Beginn seines Vortrages bei der Konferenz „Denk ich an Deutschland“ der Alfred Herrhausen Gesellschaft und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Freitag in Berlin.
Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsvertreter sollen an diesem Tag einen Blick in die Zukunft werfen. Wie wird sich Deutschland durch die Flüchtlingskrise verändern, und wo wird das Land 2025 stehen? Guttenberg soll dazu einen „Blick aus der Ferne“ beisteuern, aus den USA, wo er seit seinem politischen Absturz mit seiner Familie lebt.
Etwas voller ist er geworden. Jedenfalls im Gesicht, zu dem jetzt auch ein Drei-Tage-Bart gehört. Als er ans Podium tritt, bleibt in dem zuvor lückenhaft besetzten Raum im Atrium der Deutschen Bank kein Platz frei. Guttenberg zieht die Menschen noch immer an. Manch einer sieht in ihm wohl auch heute, oder vielleicht gerade heute einen Hoffnungsträger. Und bei seinen sporadischen Besuchen in Berlin wagt sich der einstige Jungstar der Union ja auch immer wieder kurz ins Rampenlicht und nährt damit Gerüchte um ein mögliches Comeback.
Direkt darauf angesprochen, schließt er das allerdings aus. Die Vergangenheit geht Karl-Theodor zu Guttenberg noch immer nach. Von Häme spricht er, aber auch von Scham. „Und ich hatte auch Angst“, bekennt er vor Publikum. „Die Scham wird dauern, die Angst ist gewichen, sonst würde ich hier nicht stehen.“
In seiner Rede geht es um Vertrauensverlust. Gemeint ist der Vertrauensverlust der Bürger in die Politik. Doch selbst hier schwingt irgendwie auch das eigene Schicksal, der Verlust an Selbstvertrauen mit. Vom Regieren unter der Käseglocke ist da die Rede, von Unordnungsmanagement und rein reaktivem Handeln angesichts einer rasanten Globalisierung. Und von Medien, die geradezu existenziell von einer Empörung zur nächsten getrieben werden.
"Wir schaffen das" stellt er auf eine Stufe mit "Yes we can"
Die deutsche Flüchtlingspolitik bewertet Guttenberg nicht. Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“ stellt er aber auf eine Stufe mit dem Slogan von US-Präsident Barack Obama „Yes we can“. Gebremster Populismus sei das. Ob die beiden aus seiner Sicht damit gescheitert sind, sagt er nicht. Merkel werde in den USA als starke Führungskraft geschätzt, fügt Guttenberg hinzu. Die Flüchtlingskrise habe das Bild zunächst bestätigt. Inzwischen werde diese aber als Auslöser der europäischen Entsolidarisierung und des Brexit gesehen. „In amerikanischen Medien wird heute vor deutschen Zuständen gewarnt.“
Grundsätzlich sieht Guttenberg die Regierungen in den USA und Europa als Getriebene. Weil große Konzerne, vor allem Internetriesen wie Google, heute einflussreicher seien als nationale Regierungen. „Von Government to Googlement“ nennt er das. Die Bürger spürten diese Machtverschiebung und hätten Angst davor. „Das vertraute Verhältnis von Politik und Wirtschaft ist aus dem Gleichgewicht geraten.“ Das biete einen idealen Nährboden für Populisten.
„In einer solchen Situation muss Selbstkritik der Regierenden nicht der schlechteste Ausgangspunkt sein“, sagt Guttenberg – ohne anzudeuten, wen er dabei konkret im Blick hat. Und wie sieht er nun Deutschlands Zukunft und die der EU? Guttenberg zeichnet zwei mögliche Szenarien: eine pessimistische Variante, in der Europa kollabiert, eine optimistische, in der Angela Merkel ohne Rücksicht auf ihre Wiederwahlchancen Europa voranbringt und eine ehrliche Debatte über die EU anstößt. „Die Impulse für die Zukunft Europas müssen aus der deutschen Hauptstadt kommen.“
Eine kleine Zukunftsvision für Bayern hat er auch. Er sieht es nach einer „Episöder“ unter einem Ministerpräsidenten Manfred Weber, zurzeit EVP-Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament, wieder auf ruhigeres Fahrwasser zusteuern. Deutschland werde Deutschland bleiben, sagt er zum Schluss. „Das Vertraute aber ist ein vergängliches Gut.“