Steinmeier eröffnet Mann-Haus in LA: Weißes Haus, Westküste
Auf seiner ersten USA-Reise als Bundespräsident eröffnet Frank-Walter Steinmeier die einstige Villa Thomas Manns in Los Angeles. Sie soll ein Zentrum des Dialogs werden.
Kann man ihn einfangen und bewahren, diesen Geist des aufgeklärten, weltoffenen Bürgertums? Weht er noch immer rund um das Weiße Haus des Exils, wie Frank-Walter Steinmeier noch als Außenminister das US-Domizil von Thomas Mann in Kalifornien genannt hat? Damals, im Jahr 2016, als die Bundesregierung beschloss, die einstige Familienvilla des deutschen Schriftstellers zu kaufen, und sie damit vor der wahrscheinlichen Zerstörung rettete.
Rund zwei Jahre später steht der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor ebendiesem wirklich weißen Haus in den Hügeln von Pacific Palisades, einer der Nachbarschaften von Los Angeles, wo Schöne und Reiche wohnen, um es feierlich zu eröffnen.
Und natürlich drängt sich das Bild des anderen Weißen Hauses auf, das in Washington, wo der Mann regiert, dessen Namen Steinmeier bei dieser Antrittsreise als Bundespräsident ausdrücklich nicht nennen möchte. Auch nicht, als Donald Trump gleich zum Auftakt der Reise Richtung Berlin und Richtung Bundeskanzlerin Angela Merkel keilt, über Twitter natürlich, und das Zerbrechen der Regierung an der Flüchtlingskrise vorherzusehen meint. Von Steinmeier dazu kein Wort.
Das braucht er auch nicht, die Choreografie seines Besuchs spricht für sich. Schon der erste Tag liest sich wie ein Kontrastprogramm zur Politik des US-Präsidenten: Begrüßung durch einen Anti-Trump und möglichen Hoffnungsträger der Demokraten für die nächsten Präsidentschaftswahlen, den Bürgermeister von Los Angeles, Eric Garcetti. Besuch im Museum of Tolerance, das sich dem Kampf gegen Hass und Vorurteile widmet. Und dann eben die Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses, an dessen Rettung der Bundespräsident großen Anteil hat, das Lob dafür genießt er sichtlich.
Der Bundespräsident ist umgeben von Intellektuellen und Kulturschaffenden
Das Setting an diesem Montagabend ist perfekt, so perfekt, wie es nur das – benachbarte – Hollywood entwerfen könnte. Das Haus leuchtet fast noch weißer vor einem strahlend blauen Himmel, die Palmen, die Thomas Mann so liebte, wiegen sich in der Brise, die vom Meer herüberweht. Oder vielleicht auch von den kalifornischen Bergen, den Santa Monica Mountains, an denen die Ausläufer der Megastadt Los Angeles emporklettern, so genau kann man das hier in Thomas Manns einstigem Garten gar nicht sagen.
Der Bundespräsident ist umgeben von Intellektuellen und Kulturschaffenden, ganz so, wie er es mag. 250 Gäste sind geladen, deutschstämmige Hollywood- Produzenten, Wissenschaftler, Professoren, Stiftungsvertreter, Schauspielerinnen wie Maria Schrader – und es geht hier viel um die Vergangenheit, sogar Uschi Obermaier, die einstige 68er-Ikone.
Steinmeier will auf dieser dreitägigen Reise vor allem: zuhören und nach dem suchen, was die beiden auseinanderdriftenden Seiten des Atlantiks noch verbindet. In seiner Rede zur Eröffnung des Mann-Hauses am Montagabend, das künftig ein Ort des transatlantischen Dialogs sein soll, spricht er von „stürmischen Zeiten“ für die deutsch-amerikanische Freundschaft und einer „Wandlung des geistigen Klimas“, an der die künftigen Stipendiaten dieses Hauses arbeiten sollen. Stipendiaten wie der Schauspieler Burghart Klaußner, der für diesen Termin mit dem Schiff aus Europa anreiste und zur Feier des Tages ein Kurt-Weill-Lied singt, der Thomas-Mann-Interpret Heinrich Detering, der Mikroelektronik-Professor Yiannos Manoli und Jutta Allmendinger, die Chefin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Alle nicht mehr ganz jung, alle bereits bekannt, aber vielleicht wird das bei den zukünftigen Fellows ja anders.
Wie viele seiner Landsleute sei auch Thomas Mann kein „geborener Demokrat“ gewesen, wird Steinmeier am nächsten Tag bei der Eröffnung der Konferenz „The Struggle for Democracy“ sagen, die auch aus Anlass der Mann-Haus-Eröffnung stattfindet. „Er hat zu Lebzeiten mehr als eine politische Wandlung durchlaufen.“ Manns widersprüchlicher Weg zur Demokratie stehe symbolhaft für den Weg Deutschlands zur Demokratie.
Der Wohnsitz, den der Schriftsteller hier am San Remo Drive in Pacific Palisades 1942 bezog, wurde schnell zum Treffpunkt anderer Exilanten – Philosophen wie Theodor Adorno, Wissenschaftler wie Albert Einstein und Schriftsteller wie Bertolt Brecht. Exilant war auch der Architekt der knapp 500 Quadratmeter großen Villa im Bauhaus-Stil, der aus Berlin stammende Julius Ralph Davidson, der seit 1923 in Los Angeles lebte.
Thomas Mann stellte nach seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten fest, dass es „ein Irrtum deutscher Bürgerlichkeit gewesen war, zu glauben, man könne ein unpolitischer Kulturmensch sein“. Und wurde aktiv. Im Exil kämpfte er für eine demokratische Gesellschaft, gegen das Gedankengut Adolf Hitlers und für die Erhaltung der deutschen Kulturnation. In der Bibliothek rechts vorne im Haus, die nach der Restaurierung fast wieder so aussieht wie damals, schrieb Thomas Mann seine kraftvollen Reden an die deutschen Hörer der BBC.
Manns Lieblingsenkel genießt es, von diesen Kindheitserinnerungen zu berichten
1944 nahm Thomas Mann die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. Amerika veränderte seine Sicht auf die Welt und Deutschland. Doch auch seine neue Heimat enttäuschte ihn. In einem Flugblatt warnte er 1948 vor der Politik Joseph McCarthys, davor, dass sich in den USA eine spezifische amerikanische Form des Faschismus ausbreite. Danach wurde es zunehmend ungemütlich für ihn. 1952 zog er mit seiner Familie in die Schweiz. In den San Remo Drive kehrte Thomas Mann nie mehr zurück.
Frido Mann, sein Enkel, ist an diesem Abend zurückgekehrt, und damit auch Erinnerungen, Frido ist heute 77. Zum Beispiel daran, wie sein Großvater ihm immer Geschichten vorlas. Oder wie er kurz vor seinem vierten Geburtstag in dem lichtdurchfluteten Haus stand, es ging hektisch zu, mehr Menschen als sonst waren anwesend: am 21. Juli 1944, das Attentat auf Hitler war gerade fehlgeschlagen. Die Stimmung, so meint sich Frido Mann zu erinnern, sei aber trotzdem hoffnungsfroh gewesen. Dass vielleicht doch der Anfang vom Ende begonnen habe.
Thomas Manns Lieblingsenkel genießt es, von diesen Kindheitserinnerungen zu berichten, von der Zeit, als er jedes Jahr für mehrere Monate seine Großeltern besuchen konnte und das Haus einem Taubenschlag geglichen habe. „Es war nie langweilig.“ In sein einstiges Kinderzimmer ganz links im oberen Stockwerk zieht nun bald wieder Leben ein.
Nach den Manns zog dann eine amerikanische Familie in das Haus. Die Geschichte und Bedeutung des Hauses spielten für sie am Ende wohl keine Rolle mehr. Und auch als sie es vor zwei Jahren verkaufen wollte, also vor allem das wertvolle Grundstück, setzten sie sich nicht für den Schutz der Villa ein. Selbst einem Abriss des Hauses hätten sie wohl nicht widersprochen.
Jetzt gehört das Haus der Bundesrepublik. Und für Steinmeier soll es ein alternatives Weißes Haus sein, in dem vorausgedacht und diskutiert wird. Denn auch wenn der Bundespräsident das so explizit nicht sagt, will er diese Botschaft senden: Amerika ist größer als Washington, und das Amerika von Donald Trump ist längst nicht das einzige, mit dem man zusammenarbeiten und sich austauschen kann. Stockt der transatlantische Dialog an der Ostküste, führt man ihn eben an der Westküste fort.
Der Bundespräsident bezeichnet die gemeinsame Arbeit an der Zukunft der Demokratie als den eigentlichen Kern, der den Westen zusammenhalte. Jetzt, wo viele schon den Untergang des Westens heraufziehen sehen, ist das dramatisch aktuell. Dazu kommt, dass auch die Digitalisierung die Welt verändert. Der zweite Teil der Reise, die Gespräche im Silicon Valley, dreht sich daher um die Demokratie der Zukunft, auch hier will Steinmeier viel zuhören, um zu lernen, wie er sagt.
Dass Washington nicht auf der Route der präsidialen Reise liegt, fügt sich da ein ins Bild. Auch wenn es offiziell heißt, ein US-Präsident sehe stets den deutschen Bundeskanzler beziehungsweise die Kanzlerin als Gesprächspartner an.
Aber wahr ist auch, dass es immer wieder auch Treffen von Präsident zu Präsident gab. Wie zum Beispiel bei Barack Obama und Joachim Gauck. Aber Steinmeier, der Donald Trump während dessen Wahlkampf mal als „Hassprediger“ bezeichnet hatte, wäre wohl kaum vom jetzigen US-Präsidenten empfangen worden, der ja schon auf Treffen mit der Bundeskanzlerin offensichtlich wenig Lust hat. Und so hat man eben gar nicht erst versucht, ins originale Weiße Haus eingeladen zu werden.
Im kalifornischen Weißen Haus dagegen trifft Steinmeier auf Gleichgesinnte. Das gefällt ihm. Und hilft ihm bei seiner Suche.