Schnee in Bayern: Weißer Traum, weißer Albtraum
Während Berlin im Regen sitzt, haben sich weite Teile Süddeutschlands in eine Schneelandschaft verwandelt. Was bedeutet das für die Menschen dort?
Die ausgiebigen Schneefälle haben Süddeutschland verzaubert, aber auch teilweise in schweres Chaos gestürzt. Auch in den kommenden Tagen soll es wieder schneien.
Wie ist die Lage in Oberbayern?
Immer mehr Landkreise in Oberbayern haben nach den Schneefällen der vergangenen Tage den Katastrophenfall ausgerufen. „Die Terminologie ist irreführend, denn wir haben eigentlich gar keine Katastrophe. Wir bekommen aber nur so Zugriff auf zusätzliches Personal und Gerät“, sagte Stephan Schwarz, Sprecher des Landkreises Garmisch-Patenkirchen am Freitag. Insgesamt sind über 1000 zusätzliche Helfer im Süden Bayerns im Einsatz. Bereits zuvor galt der Katastrophenalarm für die oberbayerischen Landkreise Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen, Traunstein und Teile des Berchtesgadener Lands. Bei Schneehöhen von teils über zwei Meter sind dort weiterhin einige Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten, weil Zufahrtsstraßen nicht passierbar sind. Wegen verschneiter Gleise blieb der Regionalverkehr vielerorts eingestellt. Nach Angaben eines Bahnsprechers fallen auch in den kommenden Tagen zahlreiche Züge aus. Am Münchner Flughafen wurden am Freitag wetterbedingt 90 Flüge gestrichen.
Wie sind die Aussichten?
Nach einer kurzen Atempause mit Sonnenschein am Freitag erwarten Meteorologen für das Wochenende weitere, teils heftige Schneefälle. „Bis Dienstag können in den Alpen und im Vorland noch einmal bis zu eineinhalb Meter Schnee dazukommen. Das kann die Lage akut verschärfen“, sagte der Meteorologe Dustin Böttcher vom Wetterdienst MeteoGroup. Wie in den vergangenen Tagen drücke eine Nord-West-Strömung feuchte Luft gegen die Alpen. „Damit Luft und Wolken angehoben werden, um über die Berge zu ziehen, müssen sie Niederschlag ablassen“, sagte der Wetterexperte. Dies führe zu der ungleichen Schneeverteilung. So liegen im Norden Münchens zehn Zentimeter, im Süden aber bereits 30 Zentimeter Schnee. Den Schneerekord hält aktuell die Zugspitze, wo auf knapp 3000 Metern schon fast dreieinhalb Meter Schnee liegen. Ein Wert, der dort sonst erst Ende März erreicht wird.
Wie gefährlich ist der Schnee?
In den vergangenen Tagen starben mehrere Menschen in den Alpen, allein in Österreich seit dem Wochenende sieben. Unter den Opfern sind auch zwei Deutsche, die in Vorarlberg von Lawinen verschüttet wurden. In der Nähe von München starb am Donnerstag ein neunjähriger Junge, der von einem Baum erschlagen wurde. Angesichts der Schneemassen auf den Bäumen warnen die Behörden eindringlich vor Spaziergängen im Wald. Im Brechtesgardner Land werden inzwischen Hubschrauber eingesetzt, um die Bäume von der weißen Last zu befreien. Am meisten Sorgen bereiten den Behörden aber die Schneelasten auf den Dächern von Turnhallen, Supermärkten und Privathäusern. Diese Gefahr könnte sich angesichts neuer Niederschläge noch erhöhen, warnen Experten. In niederen Lagen bis 800 Metern wird in den kommenden Tagen Regen erwartet – der dann den Schnee noch deutlich schwerer macht. Ein Unglück wie 2006, als in Bad Reichenhall das Dach einer Eishalle unter der Schneelast zusammenbrach und 15 Menschen tödlich unter sich begrub, soll sich auf keinen Fall wiederholen. Auch deshalb schaufeln die Einsatzkräfte von THW, Feuerwehr und Bundeswehr rund um die Uhr. Lastwagen transportieren große Mengen Schnee an andere Orte.
Geraten die Eingeschlossenen in Panik?
„Es ist halt Winter“, sagte der Berchtesgadener Bürgermeister Franz Rasp (CSU), nachdem er selbst vier Stunden Schnee vom Dach seines Hauses geschaufelt hatte. Obwohl bei ihm in der Gemeinde sogar ein Ortsteil mit 350 Bewohnern abgeschnitten ist, bleibt er gelassen. „Es ist ja keine Gefahr für Leib und Leben.“ Ähnlich sieht das Stephan Scharf in Garmisch-Partenkirchen. „Die Bürger müssen viel Schnee schippen, aber ansonsten gibt es keine Einschränkungen“, sagte er. Zu Hamsterkäufen oder Panik käme es mitnichten. Eine weiteres Problem gibt es jedoch in einigen bayerischen Gemeinden: viele Friedhöfe werden aktuell nicht geräumt und sind gesperrt. Beerdigungen müssen deshalb verschoben werden.
Was hat das mit dem Klimawandel zu tun?
„Die Situation ist schon ziemlich außergewöhnlich“, sagte Meteorologe Dustin Böttcher. Eine Wetterlage mit derart viel Schnee in kurzer Zeit erlebe man alle zehn bis zwanzig Jahre. „Das ist jetzt aber keine Wetterkatastrophe“, sagte Böttcher. Das sieht auch sein Kollege Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst so und verweist auf die Winter 2006 und 1999, wo es zu ähnlich heftigen Schneefällen gekommen war. An sich sei das also nichts, was man „so noch nie gesehen hat“. In den Niederungen werde es durch die klimawandelbedingte Temperaturerhöhung in Zukunft weniger Schnee geben. Das heißt jedoch nicht, dass es in den Alpen weniger schneit. Im Gegenteil: Er wird prognostiziert, dass es im Winter insgesamt mehr Niederschläge, also in hohen Lagen auch mehr Schnee, geben wird. „In tieferen Regionen könnte es zu mehr Hochwassern kommen, wenn die Schneefallgrenze steigt“, sagt Friedrich. Denn normalerweise sei ein Teil des Wassers in Schnee gebunden. Wenn es stattdessen regnet, könnten Flüsse leicht über die Ufer treten.
Müssen wir uns besser auf Wetterkatastrophen vorbereiten?
„Wir werden immer mehr Extremwetterereignisse in den nächsten Jahren haben, und darauf müssen sich alle einstellen", sagt Marianne Suntrup vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Vorbereitungen müssen im Zusammenspiel von Kommunen, Ländern und Bund passieren, aber auch private Vorsorge sei sehr wichtig. „Wir raten allen Menschen, einen Trinkwasser- und Essensvorrat für etwa zehn Tage zu Hause zu haben und auch Licht- und Wärmequellen, die von der Stromzufuhr unabhängig sind“, sagt sie. Die Vorsorge dürfe aber nicht allein Privatsache sein, meint Dieter Schütz vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Er sieht den Staat in der Pflicht. Deshalb hat das DRK im vergangenen Jahr ein „Konzept zum nationalen Krisenmanagement“ vorgelegt. „Bis zum Anfang der 90er Jahre war Deutschland gut auf Katastrophen eingestellt“, sagt Schütz, doch nach Ende des Kalten Krieges seien die Lager mit Feldbetten und Impfmitteln abgebaut worden. Die letzten Jahre hätten aber gezeigt, dass solche Reserven wieder gebraucht werden. Wenn großflächig evakuiert werden muss – was ja auf Grund von Starkwetterereignissen passieren könne – müssten die Ressourcen zur Verfügung stehen und nicht wie etwa Zelte und Decken bei der Flüchtlingskrise erst „aufwendig aus dem Ausland importiert werden“.
Wann schneit es mal in Berlin?
Wer in Berlin Lust auf Schnee hat, muss sich ins Auto setzen. „Auch in den kommenden Tagen werden wir von Nord- und Ostsee feuchte Warmluft bekommen“, sagte Wettermann Böttcher. Er rechnet mit viel Niederschlag und wenig Sonnenstunden. Eine Änderung der Großwetterlage sieht er vorerst nicht. „Ende des Monats könnte es kälter werden“, sagte er vorsichtig. Böttcher rät Wintersport- und Sonnenfans einen Ausflug ins Erzgebirge. Auch dort hat es in den vergangenen Tagen ordentlich geschneit. So liegen in Carlsfeld aktuell 90, auf dem Fichtelberg sogar 125 Zentimeter Schnee. Und auf über 400 Meter erhöhe sich auch die Chance auf Sonnenschein, so Böttcher: „Da oben ist jetzt schon ein richtig schöner Winter.“
Ist der Skiurlaub für die Berliner in Gefahr?
In drei Wochen beginnen in Berlin die Winterferien, in denen sich traditionell viele Hauptstädter auf den Weg in den Süden machen. Sollte man dies angesichts der Schneemassen in den Alpen lieber gleich lassen? Nein, sagt Meteorologe Dustin Böttcher. „Sobald es ein paar Tage nicht mehr schneit, setzt sich der Schnee und bietet dann perfekte Bedingungen für Wintersportfans. Die Wintersportsaison ist gerettet. Wenn es in den Alpen mal zwei Meter Schnee hat, ist es im Winter eigentlich unmöglich, dass der wieder verschwindet.“ mit dpa