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Wie viele Abgeordnete braucht der Bundestag?
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Wahlrecht für den Bundestag: Weiß-blauer Problembär

Wäre die Verringerung der Wahlkreiszahl wirklich die Lösung? Was das Schwächeln der CSU mit der Debatte über eine Wahlrechtsreform zu tun hat.

Es ist eines der wichtigsten Projekte, welche den Bundestag in dieser Legislaturperiode beschäftigen. Denn es geht um das Parlament selbst, alle Fraktionen sind gefragt. Es geht um die Reform des Wahlrechts. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat im Dezember den Anstoß gegeben. Seither überlegen die Fraktionen, wie man aus der Bredouille kommen kann, dass das bestehende Wahlsystem zu keiner festen Parlamentsgröße führt – und vor allem deutlich mehr Mandate zulässt als die Normalgröße von 598. Sieben Abgeordnete aller Parteien sollen eine Lösung vorbereiten, sie haben striktes Stillschweigen vereinbart. Seit Monaten ist praktisch nichts darüber zu vernehmen. Dabei drängt die Reform.

Der aktuelle Bundestag hat 709 Abgeordnete. Als das Wahlrecht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 reformiert wurde, konnten oder wollten sich viele im Bundestag nicht vorstellen, dass es dazu kommen könnte. Selbst Experten meinten, der von Kritikern schon damals angesprochene Vergrößerungsautomatismus werde jedenfalls nicht zu Parlamenten von mehr als 700 Abgeordneten führen. Freilich könnten es noch erheblich mehr werden. Nach den aktuellen Umfragen, die sich auf der Webseite „mandatsrechner.de“ in Sitze umrechnen lassen, ergeben sich Bundestagsgrößen zwischen 745 (Forsa) und 804 (Insa). Der Schnitt liegt bei 767.

Locker über 700

Der Hamburger Wahlinformationsdienst „election.de“ kommt in einer aktuellen Prognose auf 753 Sitze. Matthias Moehl von „election.de“ erklärt das vor allem mit dem aktuellen Abschneiden der CSU. Sie kommt in der Prognose auf 36 Prozent der Stimmen in Bayern, bei der Bundestagswahl im vorigen Jahr waren es noch 38,8 Prozent. Trotz des leichten Abrutschens bekäme die CSU aber wieder alle 46 bayerischen Direktmandate, Ergebnis auch der Schwäche der SPD. Nur ein gutes Drittel der Stimmen, aber fast die Hälfte aller bayerischen Sitze: Das bedeutet einen Überhang von zehn Mandaten, der ausgeglichen werden muss. Bei einer Regionalpartei, die nicht bundesweit antritt, zieht das einen ziemlich üppigen Ausgleichsbedarf nach sich, um den Parteienproporz herzustellen – er schaukelt sich eben auf 753 Mandate hoch. Die CSU ist so der Problembär im bestehenden Wahlsystem.

Und ginge es mit der Partei weiter nach unten, könnte die Zahl der Abgeordneten noch weiter wachsen. Für den Tagesspiegel hat Moehl einmal ein Szenario berechnet, in dem die Christsozialen auf 30 Prozent rutschen, aber dennoch in allen Wahlkreisen die Sieger stellen und damit die garantierten Direktmandate bekommen. Es könnten so zwar weniger als fünf Prozent bundesweit sein, aber die Dreimandatsklausel verhilft der CSU dennoch ins Parlament. Gesetzt den Fall, dass ansonsten das Ergebnis der Wahl von 2017 eintritt, hätte die CSU dann 15 Überhangmandate. Der Ausgleich würde zu einem Bundestag mit 911 Abgeordneten führen. Das ist natürlich ein Extremszenario. Allerdings ist die CSU dem mittlerweile näher als ihren einstigen 50-plus-x-Ergebnissen.

Wie viele Wahlkreise müssten weg?

Eine solche Spekulation ist auch mit Blick auf die aktuelle Wahlrechtsdebatte von Belang. Denn im Bundestag und unter Experten gibt es die Überlegung, das Problem der Aufblähung des Parlaments durch eine geringere Zahl von Direktmandaten und damit von Wahlkreisen anzugehen. Aber was wäre dann bei einem Schwächeln der CSU zu erwarten? Bei einer Wahl mit 250 Wahlkreisen (davon wären 39 in Bayern) käme nach der Berechnung von „election.de“ ein Bundestag von 771 Sitzen heraus, hätte die CSU 30 Prozent und alle Direktmandate. Bei nur noch 200 Wahlkreisen, also einem ganzen Drittel weniger, gäbe es zwar keinen Überhang mehr. Der Bundestag hätte aber dennoch 611 Abgeordnete (also 13 mehr als die Ausgangsgröße), weil hier ein weiterer Haken des bestehenden Wahlsystems zutage tritt: Da in Bayern in aller Regel mehr Stimmen wegen der Fünfprozenthürde unter den Tisch fallen als in anderen Ländern (zum Beispiel die für Freie Wähler und Bayernpartei) und zudem die Wahlbeteiligung meist etwas geringer ist, erzwingt allein das einen kleinen Proportionalausgleich.

Würde die CSU unter die 30-Prozent-Marke rutschen, aber dennoch alle bayerischen Direktmandate holen (bei 200 Wahlkreisen wären das 31), würde nicht einmal diese radikale Verringerung der Wahlkreiszahl reichen, um einen deutlich größeren Bundestag zu verhindern. Ein ähnliches Problem könnte sich auch ergeben, wenn die AfD mittelfristig zur reinen Ost-Partei wird und dort mit relativ geringen Erststimmenergebnissen sehr viele oder alle Direktmandate holte.

Schäuble sagte im Tagesspiegel-Interview zu Beginn der Wahlperiode: „Vor jeder Wahl im Unklaren zu sein, wie viele Abgeordnete am Ende im Parlament sind, ist ja nicht optimal.“ Ein Verringern der Wahlkreiszahl behält diese Unklarheit bei.

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