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Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber.
© picture alliance / dpa

Nach dem Brexit-Votum: "Weg von den Hinterzimmern"

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, fordert im Interview nach dem Brexit-Votum eine Stärkung des europäischen Abgeordnetenhauses und der nationalen Parlamente.

Herr Weber, das Brexit-Votum hat eine Debatte zur Zukunft Europas ausgelöst. Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo sprach sich für eine Reform der EU und für ein „Vereinigtes Europa souveräner Staaten“ aus. Verbirgt sich hinter dieser Formulierung nicht der Wunsch nach einem Rückbau der EU?
Ich kann mir das bei der Premierministerin Szydlo gut vorstellen, weil sie im eigenen Land laufend gegen Werte und Grundprinzipien der Europäischen Union verstößt. Die polnische Regierung hebelt derzeit die Gewaltenteilung aus, indem sie das Verfassungsgericht entmachtet hat und versucht, die Medien einzuschränken. Leider will Frau Szydlo nicht auf die von der EU-Kommission eingeforderte Einhaltung der Gewaltenteilung eingehen. Es steht allerdings außer Frage, dass wir eine Debattenprozess über die Zukunft von Europa brauchen. Wir benötigen jetzt nach dem Brexit-Votum eine Phase des Nachdenkens. Wir müssen darüber reden, wie wir Europa so aufbauen können, dass künftig die Menschen mehr im Mittelpunkt stehen.
Das heißt?
Das bedeutet, dass die Belange, die den Menschen wichtig sind, in den Volksvertretungen entschieden werden – und zwar im Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten. Wir müssen weg von den Apparaten, weg von den Hinterzimmern und hin zu einer verstärkten Parlamentarisierung.
Könnte es nicht auch passieren, dass das Europaparlament am Ende der Debatte mit weniger Kompetenzen dasteht?
Wir sind der Anwalt der Interessen der Bürger in der EU – und dabei muss es auch bleiben. Es kann nicht sein, dass intransparente Kungelrunden der Diplomaten über Europas Zukunft entscheiden. Wir brauchen mehr, nicht weniger Demokratie. Das Europäische Parlament wurde bei den letzten Änderungen der EU-Verträge regelmäßig gestärkt und ist heute eine gleichberechtigte Kammer: Es wird heute ohne uns kein EU-Gesetz beschlossen, und es werden auch keine EU-Mittel ohne uns freigegeben. Dass wir von unserer Wächterfunktion Gebrauch machen, hat sich beispielsweise gezeigt, als wir die geplante Visa-Liberalisierung für die Türkei auf Eis legten.
Ist es richtig, dass jetzt keine groß angelegte EU-Vertiefung angestrebt wird, wie gerade beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs festgelegt wurde?
Schnelle Vertragsänderungen zur Vertiefung der EU, wie sie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und andere ins Gespräch gebracht haben, sind das allerletzte, was die Bürger jetzt wollen. Aber eines muss man nach dem Brexit-Votum auch klarstellen: Jetzt hat nicht Berlin, Paris oder Brüssel das größere Problem, sondern London. Die dortigen EU-Gegner zeigen, dass sie angesichts der unsicheren Lage völlig planlos sind.
Halten Sie es für möglich, dass London gar keinen EU-Austrittsantrag stellt?
Wir haben Respekt vor dem Votum. Alle anderen Fragen muss Großbritannien intern selbst klären. Aber eine lange Hängepartie darf es nicht geben – wir dürfen die Briten schon bitten, uns Klarheit darüber zu verschaffen, wie sie sich die künftigen Beziehungen zu uns vorstellen.

Die EU-Kommission will demnächst über mögliche Sanktionen gegen Spanien und Portugal angesichts deren laxer Haushaltspolitik entscheiden. Hängt die Glaubwürdigkeit der EU nicht davon ab, dass die Haushaltsregeln eingehalten werden?
Die Kommission muss unter Beweis stellen, dass die Regeln auch tatsächlich gelten. Deshalb erwarte ich eine klare Entscheidung. Ich bin übrigens sehr überrascht darüber, dass jetzt die deutsche Sozialdemokratie mit den Haushaltssündern und Linkspopulisten in ein Bett steigt. SPD-Chef Gabriel will offenbar den griechischen Ministerpräsidenten Tsipras in die europäische Sozialdemokratie integrieren.
Was schließen Sie daraus?
Die deutschen Sozialdemokraten verlassen den Kurs der Konsolidierung. Ich möchte nur daran erinnern, dass Tsipras dem eigenen Land und ganz Europa schwersten Schaden zugefügt hat. Und zweitens setzt Gabriel damit seinen Linksschwenk weiter fort. Da steht uns eine Grundsatzdebatte bevor: Offenbar wollen die Sozialdemokraten in Deutschland und Europa wieder zum Schuldenmachen und Larifari-Kurs zurückkehren. Das würde für Europa zur Katastrophe führen. Gerade vor diesem Hintergrund freut es mich, dass die konservative Volkspartei des spanischen Ministerpräsidenten Rajoy bei den zurückliegenden Parlamentswahlen in Spanien an Zustimmung gewonnen hat. Das zeigt, dass unser seriöser Reformkurs – der keineswegs einfach ist – auch in einem großen Land wie Spanien Unterstützung hat.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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