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Polens Opposition hofft, mit der Überwachungsaffäre das Thema gefunden zu haben, mit dem sie die Regierung der PiS beenden kann. Proteste vor dem Parlament in Warschau.
© Wojtek RADWANSKI/AFP

Spionageangriff auf Polens Opposition: Watergate an der Weichsel?

Die PiS-Regierung steht im Verdacht, ihren Wahlsieg der Überwachung ihrer Gegner mit Pegasus-Software zu verdanken. Israel hat Polen nun die Lizenz entzogen.

Die Warnung kam aus Kanada: vom Citizen Lab der Universität Toronto. Unbekannte hätten Handys polnischer Oppositioneller mit Hilfe der Spionagesoftware Pegasus angezapft. Höhepunkt der Operation seit der Wahlkampf vor der Parlamentswahl 2019 gewesen.

Das Rechercheteam untersucht seit 2017, ob die Käufer der legendären israelischen Hackersoftware sich an die Auflage der Lizenzverträge halten, sie nur gegen Terroristen und das organisierte Verbrechen einzusetzen. Die Technik erlaubt die Kontrolle der gehackten Mobiltelefone.

Die Spionageopfer in Polen waren weder Terroristen noch mutmaßliche Schwerverbrecher, sondern exponierte politische Gegner der Regierung. Senator Krzysztof Brejza leitete den Wahlkampf des Oppositionsbündnisses Bürgerplattform (PO) vor der Parlamentswahl 2019.

Staatsanwältin Ewa Wrzosek hat eine Vereinigung unabhängiger Juristen gegründet. Sie kritisiert die Justizreform und widersetzt sich den Versuchen der PiS-Regierung, das Gerichtswesen mit linientreuem Personal zu besetzen.

Die Regierung gibt sich unwissend

Rechtsanwalt Roman Giertych vertrat einen österreichischen Geschäftsmann in dessen Schadensersatzklage gegen PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski; es ging um einen skandalumhauchten Immobiliendeal im Zentrum von Warschau. Er vertrat auch Oppositionsführer Donald Tusk in einer privaten Angelegenheit.

Mit der Spionagesoftware Pegasus wurden prominente Oppositionelle in Polen überwacht.
Mit der Spionagesoftware Pegasus wurden prominente Oppositionelle in Polen überwacht.
© picture alliance / dpa

Polens größtes Internetportal Onet bewertet die Affäre als "polnisches Watergate": eine Anspielung auf den Einbruch in das Wahlkampfhauptquartier der US-Demokraten, über die der republikanische Präsident Richard Nixon stürzte.

Seit den ersten Hinweisen auf die potenzielle Staatsaffäre kurz vor der Weihnachtspause hofft die Opposition, endlich einen Hebel in die Hand zu bekommen, um die seit 2017 währende politische Dominanz der nationalpopulistischen PiS aufzubrechen. Über die Festtage hatte sie damit jedoch wenig Erfolg.

Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, er habe keine Kenntnis, dass polnische Geheimdienste oder andere Stellen eine Überwachung der Betroffenen mit Pegasus verfügt haben. Solche Vorwürfe seien „Fake News“. Im Übrigen könnten ausländische Geheimdienste dahinter stecken.

Andere Regierungsmitglieder behaupteten wahlweise, dass sie nicht wüssten, was Pegasus sei. Oder keine Kenntnis davon hätten, dass Polen im Besitz der Software sei. Oder sie sagten, bei der Anwendung seien alle Vorschriften eingehalten worden. Justizminister Zbigniew Ziobro betonte, der Staat wisse sich im Kampf mit Kriminellen zu helfen.

Opposition stellt Gültigkeit der Wahl 2019 in Frage

Tusk, Brejza und Wrzosek setzen voll auf Angriff. Tusk nennt den Hackerangriff auf die Opposition „die größte Krise der Demokratie“ seit dem Ende der Diktatur 1989.

Brejza stellt die Gültigkeit der Parlamentswahl 2019 in Frage. Der Sieg der PiS sei unter irregulären Bedingungen zustande gekommen. Die Pegasus-Software habe im Wahlkampf 33 Mal auf sein Telefon zugegriffen, laut Citizen Lab „ein extremes Maß an Überwachung“.

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Danach veröffentlichten staatliche Medien Handy-Nachrichten des Wahlkampfchefs der Opposition, die ihnen angeblich zugespielt worden waren. Sie versahen sie jedoch mit Zuspitzungen, die den Eindruck erweckten, er rufe zu Hass auf die Regierung auf. „Die Operation hat die Arbeit meines Teams gelähmt und unsere Kampagne destabilisiert“, beschwert sich Brejza.

Staatsanwältin Wrzosek verlangte kurz vor Weihnachten die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Die zuständige Staatsanwaltschaft Warschau lehnte das jedoch am 29. Dezember ab. Die vorlegten Hinweise auf illegales Hacken reichten nicht aus. Im Übrigen habe Wrzosek sich geweigert, ihr Handy für eine Untersuchung auszuhändigen. Dem widerspricht die Betroffene. Sie habe angeboten, das Gerät nach Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens abzugeben.

Justizminister Ziobro leitete den Kauf der Spionage-Software

Eine nationale Empörungswelle über die Hackerangriffe auf prominente Oppositionelle ist bislang ausgeblieben. Das mag daran liegen, dass Polen sich über Weihnachten und Neujahr wenig für Politik interessieren. Und dass ein entscheidendes Glied in der Beweiskette fehlt: der Nachweis, dass polnische Regierungsmitglieder hinter der Operation stecken.

Polens Premier Mateusz Morawiecki setzt darauf, dass die Vorwürfe in der Weihnachtspause wenig Resonanz finden.
Polens Premier Mateusz Morawiecki setzt darauf, dass die Vorwürfe in der Weihnachtspause wenig Resonanz finden.
© Radek Pietruszka/PAP/dpa

Diese Lücke versuchen oppositionelle Medien wie die „Gazeta Wyborcza“ und der Sender „tvn 24“, dem die PiS die Lizenz entziehen wollte, mit Indizienketten zu füllen. Die „Gazeta“ veröffentlichte am Montag eine Recherche, nach der Justizminister Zbigniew Ziobro den Kauf von Pegasus 2017 persönlich eingeleitet und es darauf angelegt habe, die öffentliche Kontrolle der Verwendung von Haushaltsmitteln dabei zu umgehen. „Verschleierung bei jedem Schritt“, fasst die Zeitung das zusammen. Und: Irreführung des Parlaments.

Israel hat Polen die Lizenz für Pegasus entzogen

Aufsehen erregt nun aber die Information, dass die israelische NSO Group, die Pegasus in Absprache mit Israels Verteidigungsministerium an befreundete Staaten verkauft, Polen die Lizenz zur Nutzung entzogen hat – offenbar, bevor der Hackerangriff auf die Opposition öffentlich bekannt wurde.

Die Recherchen des Citizen Lab erzeugen öffentlichen Druck. Die Liste der Länder, an die Pegasus geliefert werden darf, ist laut einem Fachmagazin vom November 2021 von einst 102 auf 37 gekürzt worden. Unter den EU-Staaten sind Polen und Ungarn die einzigen, die die Lizenz verloren haben. Deutschland darf Pegasus weiter nutzen.

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