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Eine Frau hilft ihrer 93-jährigen Mutter in deren Wohnung beim Aufstehen und Ankleiden.
© epd

Zukunft des Pflegesystems: Was wir den Eltern schulden

Immer mehr Menschen sind pflegebedürftig. Sich um Angehörige zu kümmern, ist eine Aufgabe, die Herzen zerreißt - und Familien auch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Wie kaltherzig. Er werde seine Eltern nicht pflegen, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Kann man solch brutale Ansage vereinbaren mit dem christlichen Menschenbild, dem das CDU-Mitglied verpflichtet sein sollte? Nein, so einfach darf man es sich nicht machen, nicht mit schneller Verurteilung wegdrücken, was virulent ist. Aber mit seinem Gespür für Themen, die Menschen umtreiben, hat Spahn eine überfällige Debatte angestoßen.

Denn immer mehr Menschen in einem immer älter werdenden Deutschland werden Hilfe benötigen. Die Pflege von Angehörigen ist eine Aufgabe, die Herzen zerreißt und Familien auch; die Lebenspläne und Karrierewünsche der jüngeren Generation zerstört.

Und eine Aufgabe, die arm macht. Heimkosten fressen die finanziellen Ressourcen von Familien auf. Altersarmut wird der Lohn für jene, die jahrelang Angehörige zu Hause pflegen. Fast 80 Prozent der 3,5 Millionen Pflegefälle werden privat betreut; ohne die Familien bräche das System zusammen.

Jedes Gerede von Work-Life-Balance und mobiler Gesellschaft zerschellt, wenn man sich eingestehen muss, dass fernab vom eigenen Wohnort ein orientierungslos gewordener Vater sitzt, der für sich selbst zu einer Gefahr wird, wenn er nicht durchgängig betreut wird und trotzdem nicht ins Heim möchte.

Fühlen wir uns vor der Gesellschaft nicht verpflichtet, uns zu kümmern? Sind wir es nicht unseren Eltern schuldig, die sich schließlich aufopferungsvoll um uns gekümmert haben? Das sind Fragen, an denen Kinder verzweifeln, weil sie mit dieser Aufgabe nicht fertig werden – ohne sich eingestehen zu können, dass diese Aufgabe auch nicht leistbar ist.

Die Familien müssen frühzeitig reden

Denn im Gegensatz zur Betreuung eines Kindes, das jeden Tag selbstständiger wird, gibt es bei der Pflege keinerlei Hoffnung. Es gibt nur den Tod, der oft als erlösend empfunden wird – was die erschöpften Menschen sich erneut schlecht fühlen lässt.

Die Überforderungsgefühle der Jungen und die Ängste der Alten zu bannen, fängt mit frühzeitigem Reden an. Damit Eltern sich rechtzeitig klar werden, wie sie sich die letzte Lebensphase vorstellen, und Kinder deutlich machen können, dass sie selber genug mit ihrem Leben zu tun haben. Warum nicht sprechen über eine „Pflegeverfügung“, solange die Eltern noch klaren Sinnes sind? Damit beiden Seiten klar ist, dass Kinder es ihren Eltern eben nicht schuldig sind, sie im eigenen Haushalt zu pflegen bis zum Tod.

Es fehlen Heime und qualifiziertes, gut bezahltes Personal

So offen miteinander zu sprechen, ist schwer genug. Damit es keine Lebenslüge wird, setzt solch Ehrlichkeit ein robustes Hilfsnetz voraus. Derzeit aber fehlen Heime und qualifiziertes, gut bezahltes Personal. Es sind auch Berichte über Missstände, die Gewissenskonflikte verstärken, Opa ins Heim zu geben.

Nötig sind bezahlbare Heime, damit zahlungsverpflichtete Kinder nicht aus purer Not die Eltern doch bei sich aufnehmen. Falls sie trotzdem Oma zu Haus pflegen wollen, braucht es dafür nicht nur das Recht auf eine unbezahlte Auszeit, sondern ein Pflegegehalt inklusive Rentenbeiträgen, damit tätige Hingabe eben nicht in Altersarmut endet. Das ist eine große und vordringliche Aufgabe für den Gesundheitsminister. Ohne eine Erhöhung des Pflegebeitrags wird es nicht gehen.

Alles zu tun, was Kinder nicht selbst leisten können, um Menschen ein würdiges Lebensende zu sichern – nur das sind wir Eltern schuldig. Ein wenig schlechtes Gewissen wird selbst dann bleiben.

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