Norwegen: Was weiß man über den Attentäter und seine Motive?
Innerhalb einer knappen Stunde hat der Norweger Anders Behring Breivik am Freitag 85 junge Menschen der sozialdemokratischen Jugendorganisation auf der Fjordinsel Utöya hingerichtet. Auch für den Bombenanschlag in Oslo soll er verantwortlich sein.
Wer ist Anders Behring Breivik?
Bislang gibt die norwegische Polizei wenig über den 32-Jährigen preis. Er sei ein christlicher Fundamentalist und rechtsextrem, hieß es. Am Abend legte er ein Teilgeständnis ab. Im Strafregister des Mannes ist bis auf einige Verkehrsdelikte vor vielen Jahren nichts zu finden. Die Nachbarn in Oslo, wo er aufwuchs, beschreiben ihn und seine heute 60-jährige Mutter als ganz gewöhnliche nette Nachbarn. Er kommt aus einem wohlhabenden Viertel Oslos. Breivik ging auf das Handelsgymnasium in Oslo und war ein mäßiger Schüler. Er bestand seine Prüfungen nicht und scheiterte mit einer Ausbildung. Stattdessen versuchte er sich als Unternehmer. Dabei folgte ein missglücktes Geschäftsabenteuer dem anderen. Er versuchte, mit Computern und schließlich mit Gemüse zu handeln. Ein Jugendfreund berichtete der Zeitung „Verdens Gang“, dass Anders, der als belesen galt, erst mit Ende 20 rechtsextrem wurde.
Er war mehrere Jahre aktives Mitglied in der gemäßigt rechtspopulistischen Fortschrittspartei, die inzwischen stimmenmäßig zu den stärksten politischen Kräften des Landes gehört. Deren Vorsitzende Siv Jensen bedauerte die Mitgliedschaft am Samstag. Bestätigt wurde auch, dass der zunächst konservative Breivik Mitglied eines Freimaurer-Ordens war. In zahlreichen nun von der norwegischen Presse durchkämmten Internetdiskussionsforen zeigt sich die rechtsextreme Gesinnung Breiviks jedoch deutlich. Die Beiträge zeugen von einem Weltbild, in dem der rechtsextreme, islamfeindliche Hass des Mannes nur noch von seiner Wut gegen die Arbeiterpartei, die Norwegen jahrzehntelang dominierte, übertroffen wird: Er schimpft über die Seilschaften, die „Stoltenberg Jugend“ und eine Arbeiterpartei die ihr eigenes Volk verrate und verkaufe unter anderem an Muslime. „Wir können das nicht akzeptieren“, schrieb er in einem der Foren.
Breivik besaß einen Waffenschein für eine Pistole und zwei Gewehre. Er ging regelmäßig zu einem Schützenverein in Oslo. Über seinen eigenen kleinbäuerlichen Agrarbetrieb für Gemüse im ländlichen Örtchen Rena, bestellte er völlig legal große Mengen an Kunstdünger, den er vermutlich zur Herstellung der Bombe in Oslo benutzte.
Welcher Tätertypologie entspricht er? Lesen Sie weiter auf Seite 2.
Anders Behring Breivik erschien praktisch aus dem Nichts. Trotz seiner offen an den Tag gelegten rechtsextremen Gesinnung war er den Sicherheitsbehörden nicht aufgefallen. Er war kein Mitglied nationalistischer Organisationen, die einzige Vorstrafe ein Verkehrsdelikt vor knapp zehn Jahren. Doch scheint sich der Täter über Jahre auf seine Tat intensiv vorbereitet zu haben. Er besorgte sich eine Pistole und ein Gewehr, gründete 2009 eine Firma für Gemüseanbau – und konnte so den Dünger für seine Sprengvorrichtung beschaffen. Doch war seine Tat kein Amoklauf im eigentlichen Sinne. Er verlor nicht die Nerven und arbeitete auch keine Todesliste ab, wie man es häufig bei solchen Taten antrifft.
Vielmehr zeigt seine Tat die Typologie eines Täters auf, der für Sicherheitsbehörden einen Albtraum darstellt: Der zu allem entschlossene, politisch motivierte Einzeltäter, der „einsame Wolf“. Solche Attentäter bewegen sich nicht innerhalb einer Szene, sind nicht organisiert.
Es gibt keine Gruppierungen, in die Sicherheitsbehörden vordringen könnten, um Erkenntnisse zu erlangen und so vor bevorstehenden Gewalttaten warnen könnten. Während bei hierarchisch organisierten Gruppen bereits das Einschleusen oder Gewinnen von Informanten ausreichen kann, um die ganze Pyramide zum Zusammenbruch zu bringen oder Erkenntnisse über beabsichtigte Attentate gewonnen werden können, Kommunikation abgehört oder mitgelesen werden kann, ist beim Typus des einsamen Wolfes jede rechtzeitige Warnung illusorisch.
Ein Einzeltäter betreibt quasi einen „führerlosen Widerstand“, wie es im Handbuch der international tätigen, rechtsmilitanten Gruppierung „Blood & Honour“ als Strategiepapier aufgeführt wird. Die in Deutschland im Jahr 2000 verbotene Organisation beschreibt diesen Tätertypus mit sehr deutlichen Worten: „In Norwegen gab es bereits in den 70er und 80er Jahren sehr blutige Ansätze einsamer NS-Wölfe.“
Gibt es diese Art Täter auch in Deutschland?
Die Strategie „Einsamer Wolf“ ist keinesfalls ein rein skandinavisches Problem, sondern wurde von „Blood & Honour“ auch in der Bundesrepublik verfolgt. Im Jahr 2006 fanden auf dem Gelände des ehemaligen Nato-Tanklagers im niedersächsischen Unsen professionell organisierte Wehrsportübungen statt, organisiert von einer Militärschule aus Münster. Der Betreiber Hannes K., ehemaliger Kader von „Blood & Honour“ wurde schließlich 2008 rechtskräftig verurteilt, weil er die verbotene Organisation weiterbetrieben hatte. Neben professionellem Messerkampf wurden auch Scharfschützenausbildungen angeboten, Überfälle auf Kraftfahrzeuge geübt oder der Widerstand gegen Verhöre.
Auch in der Vergangenheit gab es in Deutschland schon Anschläge „einsamer Wölfe“, beispielsweise waren die Schüsse auf Rudi Dutschke von einem entschlossenen Einzeltäter aufgrund seiner politischen Motivation abgegeben worden. Und auch der Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 erfolgte nicht aus einer Gruppierung heraus, sondern von einem Einzeltäter aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Der Einzeltäterstrategie bedienen sich inzwischen auch radikale Islamisten, weil groß angelegte Anschläge wie vom 11. September 2001 zunehmend schwieriger werden. In Internetforen werden Anleitungen gegeben: „Schüsse in einem vollbesetzten Restaurant in Washington werden auch Regierungsmitarbeiter treffen.“ Die tödlichen Schüsse vom Frankfurter Flughafen im März zeigen, dass man sich auch in der Bundesrepublik dem Vorgehen der Behörden anpasste und „einsame Wölfe“ eine ernst zu nehmende Bedrohung darstellen.
Was kann gegen Einzeltäter getan werden?
Die einzige Möglichkeit besteht in der Reaktion auf solche Attentate. Bernd P., selbst jahrelang Ausbilder von Spezialeinheiten einer Landespolizei, sagt: „Durch die inzwischen in Deutschland etablierten Konzepte gegen Amokläufer sind die Polizeibehörden für solche Anschläge gut gerüstet. Die taktischen Grundsätze und Verfahren sind sich sehr ähnlich.“ Es gälte vor allem, nicht in der Aufmerksamkeit nachzulassen, doch müsse auch die Ausstattung der zuständigen Polizei noch deutlich verbessert werden: „Die derzeitige Unterbewaffnung der Polizei könnte in solchen Lagen ein ebenso großes Problem sein wie die häufig fehlende Schutzausstattung.“
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