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Igor Malicki, ein ukrainischer Holocaust-Überlebender, vor der Gedenkstätte in Auschwitz.
© reuters

70 Jahre Befreiung: Was von Auschwitz ins Heute reicht

Die Völkermorde seit 1945 lassen zweifeln, ob aus Auschwitz etwas gelernt wurde. 70 Jahre nach der Befreiung geht es aber auch um das Innehalten und Verstehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Friedhard Teuffel

Und was haben wir daraus gelernt? Die Frage wird heute wieder gestellt, von manchen in bester Absicht, von anderen formelhaft, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Als ob ein Jahrestag wie dieser eine einfache Geschichtsstunde wäre, der zuerst ein Abfragen von Lektionen verlangt.

Ein solcher Tag kann auch anders beginnen. Mit einem Trauern. Mit einem Innehalten. Mit einem Gedenken. Um sich noch einmal eine Spur dessen ins Bewusstsein zu rufen, was geschehen ist. Nach dieser Stille kann dann die Diskussion darüber weitergehen, auch lautstark, was aus der Vergangenheit in die Gegenwart ragt, eben was aus dem Massenmord gelernt wurde.

Nicht besonders viel, könnte man urteilen, wenn man sich die Völkermorde anschaut, die seitdem weltweit passiert sind. Auschwitz dient wohl nicht als Abschreckung, es taucht höchstens manchmal auf, um eine Dimension aufzuzeigen. Etwa wenn von der „Rampe von Srebrenica“ geschrieben wird. Aber wer immer ein Verbrechen in die Nähe von Auschwitz rückt, setzt sich der Gefahr aus, das Grauen zu instrumentalisieren.

Das ist die unbefriedigende politische Ebene. Es gibt aber auch eine gesellschaftliche Ebene. Da geht es nicht nur ums Lernen, gerade weil Auschwitz kein Nutzwertthema sein darf. Aus diesem Abgrund lässt sich nicht einfach ein Stein der Weisen bergen. Es geht ums Verstehen. Da ist die Menschheit weiter gekommen, sie hat sich angenähert mit allem, was sie an Denkbarem zur Verfügung hat, etwa der Philosophie oder der Psychologie – wie durch die Milgram-Experimente in den USA, die versuchten, Gewaltausübung mit Stromschlägen unter Aufsicht zu erklären.

Der Holocaust-Überlebende Mordechai Ronen wird am Montag beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz von seinem Sohn getröstet.
Der Holocaust-Überlebende Mordechai Ronen wird am Montag beim Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz von seinem Sohn getröstet.
© AFP

Es bleibt dabei immer ein Rest Unerklärbares. Gerade das ist die Besonderheit von Auschwitz: die Einzigartigkeit in der Universalität. Auschwitz bleibt auf ewig der erste industrialisierte Massenmord an einem Teil der Menschheit. Zu diesem Monströsen kann man hinaufstarren. Aber am besten, ohne in Schockstarre zu verfallen.

Das Monströse hatte einen Anfang

Denn auch das Monströse, das scheinbar Unvorstellbare, hatte einen Anfang, hatte einen historischen Verlauf. Das nachzuzeichnen und auch verstehen zu wollen, ist nach wie vor ein Auftrag – und man könnte sagen, dass gerade das die Gesellschaft den Opfern schuldig ist. Im Holocaust liegt ein wiederholbares Scheitern durch Verführbarkeit, Grausamkeit und Unmenschlichkeit.

Es gibt inzwischen nur noch wenige Überlebende, die ihre Erinnerungen an ihre Deportation, an das Konzentrationslager und ihr weiteres Schicksal erzählen und weitergeben können. Das wird bei diesem 70. Jahrestag der Befreiung besonders bewusst. Droht also bald ein angestrengtes, von politischen Reden geprägtes Entlanghangeln von Jahrestag zu Jahrestag?

Manchmal hilft es vielleicht schon, einige Floskeln von der Debatte abzuklopfen, um sie zugänglicher und offener zu machen, vom „Nie wieder Auschwitz“ bis zu „Wehret den Anfängen“. Es kommen nach all den Jahren sogar noch neue Fragen hinzu, mögen sie auf den ersten Blick etwas schräge sein wie die, ob man in Auschwitz mit dem Smartphone Selfies knipsen darf. Bewusstsein kann sich selbst dadurch bilden. Es werden auch wieder Umfragen veröffentlicht, nach denen ein beträchtlicher Teil der Deutschen Auschwitz und alles, was daran hängt, „hinter sich lassen“ will. Wie das gehen soll?

Auschwitz ist längst zeitlos geworden.

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