Scheitert Joe Biden wie einst John Kerry?: Was US-Demokraten aus vergangenen Wahlniederlagen lernen müssen
Trump muss weg! Das ist das oberste Ziel der Demokraten in den USA. Ihr Kandidat sollte möglichst „wählbar“ sein. Das kann schiefgehen. Ein Kommentar.
Er war durch ein Urteil des Obersten Gerichts an die Macht gekommen. Seine Gegner verhöhnten ihn als „illegalen Präsidenten“. Der Texaner George W. Bush sprach zwar in einfachen Sätzen, hatte aber keine Angst vor einer radikalen Politik. Seine Bilanz nach vier Jahren umfasste zwei Kriege, drei Steuersenkungen, das höchste Haushaltsdefizit in der amerikanischen Geschichte, ein riesiges neues Heimatschutzministerium, die Aufkündigung internationaler Verträge, Patriot Act, Guantanamo.
Bush polarisierte das amerikanische Wahlvolk vor 15 Jahren nicht minder, als Donald Trump es heute tut. Damals wie heute hatten die oppositionellen Demokraten daher ein oberstes Ziel: Weg mit dem Amtsinhaber! Der Machtwechsel war ihnen das Wichtigste, alternative Politikentwürfe spielten in ihren Wahlkampfreden eine untergeordnete Rolle. ABB hieß das Kürzel, als Anfang 2004 die Vorwahlen begannen, „anybody but Bush“, jeder außer Bush.
Da wirkte es folgerichtig, dass sich ein Kandidat durchsetzte, der am wenigsten angreifbar zu sein schien. John Kerry hatte in Yale studiert, war hoch dekorierter Vietnam-Kämpfer, saß seit 1984 ununterbrochen im Senat. Ein Vollblutpolitiker mit makelloser Vita.
Kandidat aus Kalkül
Kerry fehlten zwar Charisma und Temperament, aber er war der wählbarste von allen Bewerbern. „Electability“ galt als das oberste Kriterium seiner Eignung, Bush aus dem Weißen Haus vertreiben zu können. Besonders auf den Feldern Verteidigung und nationale Sicherheit konnte er Bush Paroli bieten. Denn auch Kerry hatte zunächst für den Irakkrieg gestimmt. An ihm prallte der übliche Vorwurf der Republikaner an die Adresse der Demokraten ab, bei der Terrorbekämpfung zimperlich zu sein. Kerry war ein Kandidat aus Kalkül und Kompromiss. Die Herzen der Demokraten waren ihm allerdings nie zugeflogen.
Wie die Wahl im November 2004 ausging, ist bekannt: Bush siegte mit einem Vorsprung von 3,5 Millionen Stimmen, das waren acht Millionen mehr, als er vier Jahre zuvor bekommen hatte. In absoluten Zahlen hatten für den Amtsinhaber mehr Amerikaner votiert als je zuvor für einen Präsidenten. In beiden Häusern des Kongresses bauten die Republikaner ihre Mehrheit aus. Kerry und die Demokraten erlebten ein Debakel.
Dabei waren sie gewarnt worden. „Strong and wrong beats weak and right“ – stark und falsch schlägt schwach und richtig – hatte Bill Clinton bereits gesagt. Nun war Bush zwar eher stur als stark, aber im Unterschied zu Kerry wirkte er nahbar und jovial, er war ein Kumpeltyp. Kerry dagegen hatte stets etwas Elitäres, Neunmalkluges an sich. Sein manchmal verzweifeltes Bemühen, wie einer aus dem Volk zu wirken, kam nicht authentisch rüber. In der Kategorie „living room factor“ lag der Amtsinhaber vor dem Herausforderer.
Bei TV-Debatten wirkt Biden blass
Joe Biden ist 76 Jahre alt. Von 1973 bis 2009 war er Senator von Delaware, von 2009 bis 2017 Vizepräsident unter Barack Obama. Er ist ein politisches Schwergewicht, wie es kein zweites unter den Demokraten gibt. Ihm trauen sie zu, Trump bei der Wahl im November 2020 zu schlagen. Biden vertritt moderate Positionen, liegt in den Umfragen vorn. Mit ihm seien die Chancen am größten, vier weitere Trump-Jahre zu verhindern, bläut er den Amerikanern ein. „Wir wählen Wissenschaft statt Fiktion, Hoffnung statt Angst, Einigkeit statt Spaltung“, lautet sein Motto. Erneut geht es um „electability“, Bidens Wählbarkeit. Die Parallelen zu Kerry sind deutlich.
Bei den TV-Debatten der demokratischen Bewerber wirkte Biden blass. Zwar führt er das Feld der demokratischen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur weiterhin an, aber seine Beliebtheitswerte sind rückläufig. Das Momentum gehört anderen, insbesondere den Senatorinnen Kamala Harris und Elizabeth Warren.
In einer direkten Konfrontation zwischen einem alten, weißen Mann (Trump) und einem sehr alten, weißen Mann (Biden) besteht die Gefahr, dass der vitalere gewinnt. Stark und falsch schlägt schwach und richtig. Und was geschieht, wenn eine alte, weiße Frau aus gehobenem Hause antritt, hat Hillary Clinton gezeigt.
Der Kandidat soll die Seele wärmen
Al Gore, John Kerry, Hillary Clinton und Joe Biden gehörten zum Zeitpunkt ihrer Kandidaturen schon zu fest zum Washingtoner Establishment, als dass sie glaubhaft Aufbruchssignale hätten aussenden können.
Denn die Lehre aus 2004 lautet: Wer das Risiko scheut, gehemmt und ängstlich in eine Wahl geht, wird bestraft. Wähler wollen ihrem Kandidaten zujubeln, nicht bloß zunicken. Er soll ein Stück Zukunft verkörpern, nicht allein Nostalgiesehnsüchte bedienen. Er soll die Seele wärmen, nicht den Verstand befriedigen.