Rechtspopulismus in Europa: Was uns das Wahlergebnis in den Niederlanden lehrt
Gesicht zeigen und Werte verteidigen? Vielleicht ist Abschottung der Preis für die Bewahrung von Liberalität und Einheit. Ein Kommentar.
Drei Faktoren haben die Wahl in den Niederlanden entschieden: der Brexit, Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan. Die Folgen des Brexit haben in vielen Teilen Europas die Sehnsucht nach mehr nationaler Souveränität erkalten lassen. Eine stetig fallende Währung, steigende Inflation, Steuererhöhungen, Verfall der Kreditfähigkeit, widerspenstige Schotten: Als Vorbild taugt das britische Beispiel nicht.
Abschreckend wirkt auch der real existierende Populismus unter Präsident Trump in den USA. Das muss man nicht näher begründen, ein regelmäßiger Blick in die Tagespresse genügt. Bleiben zum Schluss die aggressiv-erratischen Ausfälle Erdogans, die dem amtierenden Ministerpräsidenten Mark Rutte die Gelegenheit gaben, Härte nach außen zu demonstrieren. Alle drei Faktoren haben sich in ihrer Wirkung verstärkt. Die Niederländer haben mit großer Mehrheit liberal, europäisch und tolerant gewählt.
Rechtspopulismus so offensiv wie möglich begegnen
Was lehrt das Wahlergebnis alle anderen Europäer? Grob gesagt gibt es auf die Frage, wie dem Rechtspopulismus am wirksamsten entgegen gewirkt werden kann, zwei Antworten. Die Vertreter der ersten sagen: so offensiv wie möglich. Emmanuel Macron etwa, der parteiunabhängige Präsidentschaftskandidat in Frankreich, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ist für Europa, für Einwanderung, für Flüchtlingshilfe, für Globalisierung, für Reformen. Laut Umfragen zieht er damit an Marine Le Pen vorbei und ist der beliebteste Politiker seines Landes.
Auch Alexander Van der Bellen bekam bei seiner Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten eine Mehrheit zusammen für die offene Gesellschaft und ein immer enger verflochtenes Europa. Mit einer ähnlichen Botschaft gelang es dem Spitzenkandidaten der Grünen in den Niederlanden, Jesse Klaver, das Ergebnis für seine Partei zu vervierfachen. Werte verteidigen, Gesicht zeigen – das scheint das Gebot der Stunde zu sein.
Merkel und Rutte inszenieren sich liberal und europäisch
Ach, wäre es doch so einfach, seufzen die Vertreter der zweiten Schule. Sie weisen auf die Besonderheiten in Frankreich hin, wo sich die Sozialisten durch miserable Politik und die Konservativen durch hanebüchene Skandale selbst demontiert haben. Van der Bellen wiederum konnte sich nur sehr knapp gegen seinen rechtspopulistischen Kontrahenten durchsetzen. Und Klavers Erfolg in den Niederlanden ist zwar unbestreitbar, aber die Grünen liegen weit hinter der Partei von Geert Wilders. Nein, die bessere Strategie sei, den Rechten das Wasser abzugraben, insbesondere bei den Themen Flüchtlingshilfe und Immigration.
Dafür stehen Mark Rutte in den Niederlanden wie Angela Merkel in Deutschland. Sie inszenieren sich liberal und europäisch, versuchen aber, den Hauptagitationsstrang der Rechtspopulisten – Islam, Flüchtlinge, Überfremdung – durch Entgegenkommen zu entkräften. Grenzen kontrollieren, Asylverfahren beschleunigen, Abschiebungen erleichtern, Sicherheitskräfte verstärken: Mit solchen Signalen sollen den „besorgten Bürgern“ ihre Sorgen genommen werden.
Vielleicht ist das der Preis, den Europa zahlen muss. Um die Einheit des Kontinents und die Liberalität seiner Demokratien zu bewahren, schottet sich die EU ab. Und so mischt sich in die Freude über den Wahlausgang in den Niederlanden realitätsgeprüfte Resignation. „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich“, hat Joachim Gauck gesagt. Es klingt wie ein Vermächtnis.
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