US-Präsident auf Abschiedsbesuch: Was Obama von den Deutschen hält
Barack Obama hatte ein distanziertes Verhältnis zu Deutschland. Dann hat er dessen Rolle schätzen gelernt. Den Deutschen ging es mit ihm umgekehrt. Ein Essay.
In keinem Land außerhalb der USA landet Barack Obama so oft wie in Deutschland. Nur macht sich das kaum jemand klar. An diesem Sonntag kommt er zum zweiten Mal in dieser Woche. Am Mittwoch machte er auf der Durchreise nach Saudi-Arabien in Ramstein Station. Und nun eröffnet er die Hannover-Messe.
So geht das fast jedes Mal, wenn Obama aus Amerika nach Osten aufbricht oder von einer Fernreise aus Afrika, dem Nahen Osten, Indien oder Afghanistan in die USA zurückkehrt: Er landet erstmal in Deutschland. Während „Air Force One“ auf dem US-Stützpunkt in der Pfalz aufgetankt und für den Weiterflug fit gemacht wird, spricht er meist mit Militärs und Botschaftsangehörigen.
Ach, das zählt nicht? Es sollte, denn die Reiserouten verraten eine tiefere Wahrheit: Obama und Deutschland sind enger miteinander verbunden, als die Öffentlichkeit wahrnimmt. Ramstein – und das Militärkrankenhaus in Landstuhl – stehen für eine strategische Allianz. Sie ist nicht nur ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Es ist eine bewusste Zukunftsentscheidung – wie das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Als es 2010 um die Zukunft des größten US-Hospitals außerhalb Amerikas ging, entschied sich Obama gegen die Schließung und gegen den Neubau in einem Land, das näher an den neuen Brennpunkten liegt. In Abstimmung mit der deutschen Politik wurde ein vergrößerter Neubau beschlossen.
Es gibt keine außenpolitische Aufgabe, bei der Deutschland, die zentrale Macht Europas, nicht automatisch in Obamas Blick rückt. Das gilt umgekehrt genauso: Die Denker und Lenker der deutschen Außen- und Außenwirtschaftspolitik kommen nicht an den USA und ihrem Präsidenten vorbei, ob in Nahost, gegenüber dem Iran und den Saudis, Indien, Afghanistan, Korea, China oder Russland. Offen ausgesprochen wird das selten. Die Beziehung hat oftmals etwas Verdruckstes.
Eine emotionale Fernbeziehung zu Deutschland
Eines freilich unterscheidet Obamas Blick auf die Deutschen vom Blick der Deutschen auf Obama. Sein Bild von Deutschland war anfangs distanziert und wurde später freundlicher. Den Deutschen ging es mit ihm umgekehrt: Sie betrachteten ihn mit überschäumender Begeisterung, als er 2008 in ihre Blickfeld trat. Im Laufe der Jahre kühlten ihre Gefühle für ihn ab und schlugen in Enttäuschung um. Aus ihrer Sicht hatte er große Erwartungen geweckt, erfüllte sie aber nicht.
Barack Obama hatte seit seinen Studienjahren eine emotionale Fernbeziehung zu Deutschland. Lange bevor die Deutschen seinen Namen kannten. Lange bevor mehr als 200.000 Deutsche ihm an der Siegessäule zujubelten. Lange bevor „Yes, we can“, „Hope“ und „Change“ die deutsche Umgangssprache eroberten.
Seine erste gedankliche Begegnung mit der Bundesrepublik fällt in die 1980er Jahre. Baracks Halbschwester Auma Obama aus Kenia studierte in Heidelberg. Und er, Anfang 20, suchte Kontakt zu ihr, auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Den Vater, den er mit Auma und weiteren sechs Kindern aus vier Ehen gemeinsam hat, hat er nie richtig kennengelernt. Er war 1959 als Gaststudent aus Kenia nach Hawaii gekommen, hatte Baracks Mutter geheiratet, die Familie aber wieder verlassen, als Barack zwei Jahre alt war. Nur einmal sah Barack den Vater noch einmal für einige Tage um Weihnachten 1971 herum, er war zehn. 1982 starb der Vater bei einem Autounfall in Kenia. Da studierte Barack bereits in New York.
Auma, so verabreden sie sich ein, zwei Jahre später, als Barack in New York seinen ersten bezahlten Job in einem Wirtschaftsberatungsbüro angetreten hat, wird ihn besuchen. Dann haben sie Zeit zu reden: über den Vater, ihre Herkunft und über Deutschland. Er kauft Bettwäsche für Auma. Doch zwei Tage vor ihrem Besuch sagt sie ab. Sie muss nach Afrika, weil dort ein Halbbruder bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist.
Die Schwester schildert die Deutschen als oberflächlich
Zu der spannenden Frage, was für ein Deutschlandbild Obama aus diesen ersten Kontakten mit Auma hatte, wollte er nichts Näheres sagen, als er dem Tagesspiegel 2011 ein schriftliches Interview gab. Der Anlass war Angela Merkels Besuch, bei der er ihr die Freiheitsmedaille überreichte, die höchste zivile Auszeichnung der USA.
Aber seine Autobiografie „Dreams from My Father“ gibt Einblicke. 1986 holt Auma den Besuch bei Halbbruder Barack nach. Er lebt inzwischen in Chicago und arbeitet als „Community Organizer“ in einem Armenviertel. Auf der Fahrt vom Flughafen zu Baracks Wohnung erzählt Auma von ihrem deutschen Freund Otto, einem Jurastudenten, und von ihrem Alltag in Heidelberg. Äußerlich geht es ihr gut. Sie studiert Linguistik, hat ein Stipendium und eine kleine Wohnung. Doch den Umgang der Deutschen mit ihr als Afrikanerin beschreibt sie als oberflächlich. „Die Deutschen halten sich für besonders liberal, gerade im Umgang mit Afrika. Aber wenn Du an der Oberfläche kratzt, haben sie die Vorurteile aus der Kindheit. In ihren Märchen sind die Schwarzen immer die Kobolde. So etwas vergisst man nicht so leicht.“
In Baracks Wohnung wartet ein siebenseitiger Brief, den Otto nach Chicago geschickt hat. Sie liest ihn unter Lachen und Glucksen, während Barack das Abendessen zubereitet. „Ich dachte, Du magst die Deutschen nicht“, fasst er seine Eindrücke zusammen. „Otto ist anders“, sagt Auma. Aber mit ihm auf Dauer in Deutschland leben? „Nein, das hielte ich nicht aus.“ Kenia sei ihre Heimat, „auch wenn ich nicht weiß, was ich da soll“. Was Auma über Deutschland erzählt, klingt für Barack Obama jedenfalls nicht so anziehend, dass er Deutschland eine prominente Rolle gibt, als er 1987 auf seiner ersten Reise mit Ziel Kenia drei Wochen kreuz und quer durch Europa fährt. Im offenkundigen Bemühen, große Literaten nachzuahmen, beschreibt er Madrids „Plaza Mayor zur Mittagszeit, wo die Sonne Schatten wie bei (dem Maler) De Chirico wirft und Spatzen durch den kobaltblauen Himmel schwirren“. Und: „Wie die Dämmerung über der Pfalz hereinbricht und ich auf die ersten Sterne warte, während ich dem Wind und seinen Flüstertönen über unsere Sterblichkeit lausche“.
Eigentlich hat er kein Herz für Europa, fasst er zusammen. Er wollte sich für die berühmten Sehenswürdigkeiten von London, Paris und Madrid begeistern. Aber ihm wird klar, dass die drei Wochen Europa nur ein Aufschub sind, bevor er mit dem wahren Ziel seiner Reise konfrontiert wird: Kenia, der Heimat seines Vaters, und der Verwandtschaft dort aus dem Stamm der Luo.
Nie zuvor und danach hatte er ein so großes Publikum wie in Berlin
Erst gut zwei Jahrzehnte später tritt Deutschland erneut in sein Leben. Nun legt Obama es gezielt darauf an. Er will nach Deutschland. Er will nach Berlin. Im Sommer 2008 steht er als Präsidentschaftskandidat der Demokraten fest. Sein Gegner in der Hauptwahl wird der republikanische Senator John McCain sein, der mit seinen über 20 Jahren Erfahrung in der Außenpolitik wirbt. Für Obama, den erst 46-jährigen „Junior Senator“ von Illinois, eine Schwachstelle. Um dem etwas entgegenzusetzen, plant er Ende Juli eine zweiwöchige Reise, die ihn zu den US-Truppen in Afghanistan und im Irak, nach Israel und Palästina sowie nach Berlin, Paris und London führt.
Gespräche mit Spitzenpolitiker und Pressekonferenzen gibt es auf jeder Station. Einen öffentlichen Auftritt samt Rede aber nur einmal: in Berlin an der Siegessäule. Noch lieber hätte Obama am Brandenburger Tor gesprochen. Das Tor hat weltweit Symbolkraft und Wiedererkennungswert für seine Kernbotschaft „Hope“ und „Change“. Doch Kanzlerin Angela Merkel erlaubt es nicht. Zudem ist Deutschland inzwischen das politische wie ökonomische Powerhouse Europas. Und Berlin für die jungen Leute von Paris bis Moskau und von Rom bis Oslo die hippste Stadt, auch dank der „Love Parade“. Mehr als 200.000 Menschen kommen, um Obama bei seiner einzigen öffentlichen Rede in Europa zu hören. Nie zuvor und nie wieder danach hatte er ein so großes Publikum. Von da an hat Obama eine emotionale Beziehung zu Deutschland. Im Juni 2013, bei seinem vierten Besuch in Deutschland als Präsident, hält er doch noch eine Rede am Brandenburger Tor.
Nachdem Obama die Bedeutung Deutschlands für seine Außenpolitik so klar markiert hat, suchen Mitarbeiter nach seinem Wahlsieg nach familiären Beziehungen. Auf den ersten Blick ist er der erste Präsident seit Jahrzehnten, der keine tiefere persönliche Verbindung zu Deutschland und Europa hat. Seine Vorgänger haben zumeist als junge Männer im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung von den Nazis gekämpft, ihre Vorfahren stammten aus Europa. Obama ist der erste pazifische Präsident. Aufgewachsen ist er zum Großteil bei den mütterlichen Großeltern in Hawaii, auf halber Strecke zwischen Amerikas Westküste und Asien. Drei Jahre der Kindheit lebte er in Indonesien bei der Familie des zweiten Ehemanns seiner Mutter.
Für Obama kommt es in Europa auf Merkel an
Aber wie selbstverständlich steht gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit Deutschland mehrfach auf seinem Reiseplan. Anfang April 2009 besucht er Baden-Baden und Kehl zum 60. Geburtstag der Nato. Anfang Juni kommt er nach Dresden und Buchenwald, auf der Rückreise aus Kairo, wo er die Rede an die muslimische Welt hält. In Dresden trifft er Angela Merkel. Der Besuch in Buchenwald hat einen biografischen Hintergrund. Ein Onkel mütterlicherseits, Charles Payne, war einer der US-Soldaten, die 1945 das Arbeitslager Ohrdruf befreiten, das zum KZ Buchenwald gehörte.
Deutschland bleibt in den sieben Jahren seiner Präsidentschaft für ihn die erste Adresse in Europa – und Angela Merkel die bevorzugte Kollegin. Es dauert nicht lange, da ist sie die Ansprechpartnerin mit der längsten Amtszeit. Anderswo wechseln die Regierungschefs, Merkel bleibt. Sie lernen, dass sie sich aufeinander verlassen können. Man verspricht sich nur, was man halten kann – und tut es auch. Klar doch, sie haben Meinungsverschiedenheiten. Obama wünscht mehr deutsche Unterstützung an Brennpunkten, auch militärische. Er fordert deutsche Konjunkturprogramme auf Pump, um die Weltwirtschaft anzukurbeln, während Merkel auf Budgetdisziplin setzt. Er wünscht mehr Rücksicht auf Griechenland, auf die Türkei. Und einen klareren Schulterschluss gegen China, statt des Wettlaufs um Aufträge für die eigene Industrie.
Obama wurde ein innenpolitischer Präsident
Die Öffentlichkeit rätselt derweil, ob sie einander mögen. Sie haben den Umgangsstil verändert, ohne zu erklären, warum. Sie inszenieren keine großen Gesten, Hand in Hand an den Gräbern der Weltkriege. Gefühligkeit ist „out“. „In“ ist jetzt neue Sachlichkeit, die offene Vertretung nationaler Interessen, Coolness. Doch in strategischen Fragen ziehen sie an einem Strang: Klimapolitik, diplomatische Lösung des Atomstreits mit dem Iran, Gesprächskanäle zu Russland offen halten. Und jetzt: TTIP. Dabei gleichzeitig Europa zusammen halten. Den Brexit verhindern.
Für Obama ist Merkel, ist Deutschland der Partner in Europa, auf den es ankommt – mehr als auf andere. So gesehen mag er Deutschland. Die Skepsis der ersten Gespräche mit Auma ist verflogen.
Die Gefühlskurve bei den meisten Deutschen verläuft umgekehrt. Erst Herzenswärme, dann Abkühlung. Deutsche spotten mitunter über den naiven Idealismus der Amerikaner. Im Fall Obama waren jedoch eher sie selbst die Idealisten. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, das Obama mit so viel Vorschusslorbeeren begrüßt hatte: mehr als 80 Prozent Zustimmung. Die hatte Obama in den USA nie, auch nicht bei anderen Verbündeten.
Eine Heilung aller Übel, die George W. Bush über die Welt gebracht hatte, hatten sie sich von ihm erhofft. Mehr Verständnis für Europa, neue Anläufe zum Frieden im Nahen Osten, ein Ende der Drohnenangriffe, die Schließung Guantanamos, eine Energiewende auch in den USA und manches mehr. Doch Obama wurde, abgesehen vom Rückzug der Truppen aus Afghanistan und dem Irak, vor allem ein innenpolitischer Präsident. Er wollte sein Land aus der Wirtschaftskrise führen und in Teilen reformieren. Da ist ihm manches gelungen. Die Deutschen verübeln ihm neben den enttäuschten Hoffnungen auch die NSA-Affäre und das Drängen auf TTIP, das hierzulande auf viel mehr Skepsis trifft als im übrigen Europa.
Es könnte freilich sein, dass sie ihm noch nachtrauern – wenn er nicht mehr im Amt ist und sie seine Nachfolger und deren Beziehung zu Deutschland an ihm messen.