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Vor elf Jahren in Sotschi brachte Putin seinen Hund Koney zur Begrüßung Merkels mit.
© dpa/Sergei Chirikov

Gespräch in Sotschi: Was Merkel mit Putin besprechen muss

In Sotschi ängstigte Putin die Kanzlerin einst mit seinem Labrador. An diesem Freitag muss Merkel dort Gemeinsamkeiten ausloten. Die Gesprächsthemen sind zahlreich.

An Begegnungen mit Wladimir Putin in Sotschi dürfte Angela Merkel nicht nur gute Erinnerungen haben. Bei einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin in dem Badeort am Schwarzen Meer im Januar 2007 ließ Putin einen Labrador um ihre Beine streichen, obwohl oder weil er wusste, dass sie Angst vor Hunden hat. Die Szene mit dem Labrador wurde zum Sinnbild für kalkulierte Provokationen des Ex-Geheimdienstmannes und für das angespannte Verhältnis der beiden Politiker.

Doch die Zeiten sind wohl zu ernst, als dass sich Merkel von schlechten Erinnerungen leiten lassen könnte. An diesem Freitag fliegt sie nach Sotschi, um dort eineinhalb Stunden lang mit dem russischen Präsidenten zu beraten – das erste persönliche Treffen seit ihrer Wiederwahl. Nur wenige Spitzenpolitiker der Welt können auf so eine lange, wenn auch kühle Arbeitsbeziehung zurückblicken wie Merkel und Putin. Seit 2005 kennen sie sich.

Putin könne „sein Glück kaum fassen“

Trotz aller Differenzen und Probleme lässt sich der deutsche Gast von der Einsicht leiten, dass politische Lösungen für die eskalierenden Krisen in Europas Nachbarschaft ohne Russland nicht erreichbar sind. Das gilt erst recht, seitdem US-Präsident Donald Trump sich mit seiner "America first"-Strategie von den europäischen Verbündeten absetzt und Unsicherheit schürt, ob die sich im Zweifel auf amerikanischen militärischen Schutz verlassen können. Die Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch Trump schafft neue Gemeinsamkeiten: Berlin und Moskau eint das Interesse daran, den Vertrag zu retten.

Tatsächlich scheint für Russland die Gelegenheit gekommen, sich Deutschland als ein im Verhältnis zu Trump verlässlicher und berechenbarer Partner zu präsentieren. Putin könne "sein Glück kaum fassen, dass nun in Washington der zweite disruptive Präsident seine Amtszeit begonnen hat", sagt etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU). Putin fühle sich als "taktischer Gewinner" der Situation.

Röttgen spielt darauf an, dass auch Trump-Vorgänger Barack Obama schon mit außenpolitischen Traditionen seines Landes gebrochen hatte, indem er etwa den Krisenherd Naher und Mittlerer Osten weitgehend sich selbst überließ und so ein Vakuum schuf, das Russland füllte. Der Wunsch, das Abkommen mit Teheran zu bewahren, ändert aber nichts an den grundsätzlichen Konflikten zwischen Berlin und Moskau. Das hatte auch Außenminister Heiko Maas (SPD) bei seinem Besuch in der russischen Hauptstadt vergangene Woche deutlich gemacht.

Die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland nennt die Bundesregierung völkerrechtswidrig, sie sieht darin einen Angriff auf die jahrzehntelang stabile europäische Nachkriegsordnung. Dazu kommt der Krieg in der Ostukraine, in dem sich hinter prorussischen Separatisten die geballte russische Militärmacht verbirgt. Mehrere tausend Opfer hat der Krieg bisher gefordert. Auch deswegen hält die Bundesregierung trotzt vieler kritischer Stimmen im eigenen Land an den EU-Sanktionen gegen Russland fest.

Das ohnehin angespannte Verhältnis Russlands zum Westen hat der Giftgasanschlag auf den russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal weiter belastet. Westliche Länder und Russland wiesen gegenseitig Dutzende Diplomaten aus. Ein weiterer Streitpunkt ist der russische Militäreinsatz in Syrien zur Unterstützung von Präsident Baschar al Assad in einem Krieg, der auf Zivilisten keine Rücksicht nimmt.

Vor Merkel empfängt Putin überraschend Assad

Einen Tag vor Merkel empfing Putin am Donnerstag den syrischen Staatschef unangekündigt in Sotschi. Die jüngsten Rückeroberungen von Rebellengebieten durch Assads Truppen bezeichnete er als "wichtige Schritte", um "die gesetzmäßige Staatsmacht wiederherzustellen". Dies eröffne neue Chancen für eine politische Beendigung des Krieges. Ausländische Truppen sollten Syrien verlassen.

"Unsere kritische Haltung gegenüber der russischen Rolle in Syrien ist bekannt, und trotzdem wissen wir auch, dass man, um dort politisch voranzukommen und diesen entsetzlichen Konflikt irgendwann einmal zu beenden, natürlich Russland braucht", sagte diese Woche Regierungssprecher Steffen Seibert.

Stärker noch als in der Syrien-Krise drängt die Zeit beim Versuch, das Iran-Abkommen zu retten. Teheran hat den Europäern ein Ultimatum von 60 Tagen gesetzt. Wirtschaftlich kann Russland den absehbaren Einbruch europäischer Investitionen in dem Land wohl kaum kompensieren, aber Moskau könnte mäßigend auf die Regierung in Teheran einwirken.

Zur Frage, wie Merkel mit möglichen politischen Offerten des Gastgebers umgehen solle, empfiehlt Röttgen: "Wenn sie belastbar sind, sollte man die Angebote auch annehmen." Noch gibt es aber keine Hinweise, dass sich Putin im Konflikt um Syrien oder die Ostukraine bewegen will. In der Krim-Frage sind Zugeständnisse ohnehin nicht zu erwarten: Russland betrachtet die Halbinsel als historischen Bestandteil Russlands, gerade weihte Putin persönlich mit viel Pomp eine gigantische, 19 Kilometer lange Brücke zum russischen Festland ein.

Neben Maas war auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kürzlich in Moskau. Er bemühte sich, den Konflikt um die Gaspipeline "North Stream 2" zu entschärfen. Von Merkels Besuch wird in Berlin kein Coup wartet. Man dürfe die Reise "nicht mit Erwartungen überfrachten, wonach es in wichtigen Fragen wie dem Iran-Abkommen oder dem Ukraine-Konflikt zu einem Durchbruch kommen wird", warnt etwa der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid.

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