Kabinett Merkel III: Was haben die Minister in der Legislatur geleistet?
Am Mittwoch kamen die Bundesminister und die Kanzlerin zu ihrer letzten Sitzung vor der Bundestagswahl zusammen. Ein Überblick über die vergangenen vier Jahre.
Christian Schmidt: Der Verspottete
Es ist leicht, sich über Christian Schmidt lustig zu machen. Mit seinen Sprüchen („Je suis Greußener Salami“, „An apple a day keeps Putin away“) hat der Agrarminister für unfreiwillige Komik gesorgt. Auch sein Kampf gegen Veggieburger oder sein Einsatz für Schweinefleisch in Schulkantinen hat dem CSU-Politiker Hohn und Spott eingebracht. Schmidt tut sich oft schwer, den richtigen Ton zu treffen. Und wer sich einen Landwirtschafts- und Ernährungsminister wünscht, der Visionen für eine Welt ohne Massentierhaltung entwickelt, ist bei dem Franken an der falschen Adresse. Dennoch sollte man ihn nicht unterschätzen.
Schmidt ist kein Visionär, aber ein fleißiger Arbeiter. Einer, der sich akribisch in Themen einarbeitet. Statt des großen Wurfs setzt der einstige Rüstungspolitiker auf kleine Schritte: Das staatliche Tierwohllabel hat er auf den Weg gebracht. Um das massenhafte Schreddern männlicher Küken zu beenden, unterstützt er die Forschung nach einer Geschlechtererkennung im Ei. Schmidt zieht Selbstverpflichtungen Verboten vor. Vielen geht das nicht weit genug. Bei den Bauern wird der Minister aber geschätzt, nicht nur weil er die Milchkrise gelöst hat. Und die Zukunft? Ist offen. Schmidt würde gern im Amt bleiben, ob das klappt, ist ungewiss. Mit den Grünen, für die Landwirtschaft ein Schlüsselthema ist, dürfte das schwierig werden, aber auch innerhalb der CSU ist noch vieles offen. (hej)
Thomas de Maizière: Der Bemühte
Für kaum einen Minister war die Legislaturperiode so turbulent wie für de Maizière. Erst kam die Flüchtlingskrise, dann der Fall Amri und schließlich die Akkreditierungspannen beim G-20-Gipfel. Stets stand der Innenminister in der Kritik, wurde doch den Behörden Versagen vorgeworfen, für die er zuständig ist. Aber de Maizière strengte sich an, verabschiedete ein Gesetz nach dem anderen. Die Sicherheitsbilanz dieser Legislatur wiederholt er gebetsmühlenartig: Strafverschärfung bei Wohnungseinbrüchen, Personalzuwachs bei den Sicherheitsbehörden, Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, Fußfessel für Gefährder, IT-Modernisierung beim Bundeskriminalamt.
In der SPD werfen sie de Maizière aber vor, dass all diese Beschlüsse nichts nützen, wenn es an der Umsetzung mangelt. Auch innerhalb der Union wird am Stuhl des Ministers gesägt – hat CSU-Chef Horst Seehofer doch bereits seinen Wunschkandidaten für das Innenministeramt in Stellung gebracht: Joachim Herrmann. Der sonst eher unscheinbare de Maizière trägt jetzt auf den letzten Metern noch einmal dick auf. In der „Bild“ veröffentlichte er einen Gastbeitrag – Titel: „Wir sind nicht Burka.“ Er machte groß Werbung für die Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung. Ließ die linksautonome Plattform linksunten.indymedia verbieten. Und sorgte für Schlagzeilen mit der Forderung, die Leistungen für Asylbewerber zu kürzen. Schließlich will er in der nächsten Legislatur nicht in der Versenkung verschwinden. (fiem)
Ursula von der Leyen: Die Angeschlagene
Hubschrauberpiloten kennen den „Konturenflug“ – immer in gleicher Höhe knapp am Boden über Täler und Hügel, um in Feindesland Beschuss und Radar auszuweichen. Ursula von der Leyen dürfte das Achterbahn-Manöver als Sinnbild ihrer vier Jahre als Oberbefehlshaberin erscheinen. Von Anfang an misstrauisch beäugt, versuchte sie mit einer Mischung aus Führungshärte und Managementmethoden die Bundeswehr zum Sicherheitsdienstleister umzubauen. Auf der Haben-Seite stehen neue Strukturen in der Rüstungsbeschaffung und im Personalmanagement und ein ansteigender Haushalt.
Unter lautem Trommelwirbel als „Trendwenden“ angekündigt, muss sich der Wert dieser Umbauten langfristig zeigen. In der Truppe wurde die 58-Jährige den Verdacht nie los, dass sie den Bendlerblock nur als Karrierestufe betrachtet. Der Verdacht wurde zur offenen Entfremdung, als sie auf Schikane-Vorfälle und Geschichtsbilder in der Truppe mit einem Generalverdacht überreagierte. Im stillen Rennen für die Zeit nach Merkel hat sie ihre Position damit nicht verbessert. Geht es nach der Kanzlerin, bleibt sie aber im Amt – niemand in der CDU kann und mag die Eisenharte ersetzen. (bib)
Katarina Barley: Die Aushilfe
Katarina Barley ist die Spätberufene im Kabinett. Anfang Juni mache die SPD sie zur Familienministerin. Vorgängerin Manuela Schwesig, die der Union wichtige Gesetze abtrotzte, war als Ministerpräsidentin nach Schwerin gewechselt. Barley war vor dem Einzug ins Ministerium SPD-Generalsekretärin, allerdings bezweifelten manche, ob sie mit ihrer vergleichsweise geringen politischen Erfahrung die heiße Phase des Wahlkampfs gut managen würde. Die promovierte Juristin war erst 2013 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden. In ihrem neuen Ressort musste sich die Mutter zweiter Söhne erst einarbeiten, der 48-Jährigen blieb damit nur wenig Zeit für eigene Initiativen.
Zwei Aufschläge machte sie in ihrer nur dreieinhalb Monate langen Amtszeit: Sie präsentierte konkrete Zahlen für ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld und machte Vorschläge, wie getrennten Eltern das Leben zu erleichtern sei. Obwohl das Kindergeld- Konzept für geringverdienende Familien Mehreinnahmen von bis zu rund 200 Euro pro Monat und Kind verspricht und so für viele attraktiv sein könnte, nutzte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Vorlage der sozialdemokratischen Ministerin nicht für einen großen Aufschlag im Wahlkampf. Ob Barley im Fall einer großen Koalition dem Kabinett weiter angehören würde und in welcher Funktion, ist offen. (hmt)
Die Verwalterin, der Allgegenwärtige, der Wohlfeile
Brigitte Zypries: Die Verwalterin
Mit Brigitte Zypries konnte die SPD nicht viel falsch machen zum Beginn dieses Wahljahres, als ein neuer Kopf an der Spitze des Wirtschafts- und Energieministeriums gesucht werden musste. Frank-Walter Steinmeier hatte sich mit Ziel Bellevue aus dem Außenamt verabschiedet und Sigmar Gabriel ersetzte ihn. Zypries, die bereits unter Schröder und Merkel ab 2002 im Justizministerium skandalfrei gedient hatte, saß bereits im Ministerium und bereitete sich als Parlamentarische Staatssekretärin mit Zuständigkeit für IT, Luft- und Raumfahrt auf ihre persönliche Rente mit 63 vor. Bereits im Juni 2016 hatte sie erklärt, dass sie nicht mehr zur Bundestagswahl antreten werde.
Seit der Beförderung vermittelt sie aber öfter den Eindruck, als würde sie diese Entscheidung bereuen. Öfters ließ sie bei Terminen ihren hintergründigen Humor aufblitzen, traf stets den richtigen Ton im Umgang mit den vielen eitlen Herren der Industrie. Sie wirkt als solide Verwalterin, weniger als Visionärin. Die ganz großen Impulse blieben aus. Und nach dem Insolvenzantrag von Air Berlin im August, immerhin ein Arbeitgeber für mehr als 8000 Menschen, blieb sie leider eher blass. (kph)
Peter Altmaier: Der Allgegenwärtige
Der Kanzleramtschef ist eine moderne Ausgabe des Galeerensklaven, mit dem Unterschied, dass auf der Galeere viele rudern. Peter Altmaier erweckte allerdings erfolgreich den Eindruck, dass es ihn selber mehrfach gebe – einer am Schreibtisch schräg gegenüber von Merkels Büro, einer in der Rolle des Erklärbären in den Talkshows, einer mit dem Titel eines „Flüchtlingskoordinators“, einer, der diskret die Kontakte zu den Grünen warmhielt und zuletzt noch ein Weiterer, der im Konrad-Adenauer-Haus das CDU-Programm schrieb. Der 59-Jährige kommt mit wenig Schlaf aus.
Ganz spurlos ging das Multifunktionärsleben aber an ihm nicht vorbei. Länder-Ministerpräsidenten fanden ihn für ihren Geschmack zu unkonzentriert bei der Sache – zwischen Bund und Ländern zu koordinieren ist eine weitere Aufgabe des Amtschefs. Aber die Chefin war zufrieden, half ihr Altmaier doch – siehe zum Beispiel „Flüchtlingskoordinator“ – mehrfach aus Verlegenheit. Nach einem Wahlsieg kann der Saarländer beizeiten auf Ablösung an der Ruderbank hoffen. Für Merkel bleibt ihr loyaler Vertrauter ein Joker, der je nach Koalitionszuschnitt für vielerlei Posten in Frage kommt. (bib)
Heiko Maas: Der Wohlfeile
Mit rund hundert Gesetzentwürfen hat sich der Minister für Justiz und Verbraucherschutz als Macher positioniert, trotzdem ist er in der Öffentlichkeit eher als Redner unterwegs. Immer wenn es gilt, das Gute und Gerechte zu verteidigen, zieht Maas ein Statement aus dem Hut. Früher und deutlicher als andere Regierungsmitglieder bezog er Stellung gegen die aufziehende Front aus Neu- und Altrechten, weshalb dort das Maß für politische Korrektheit gern in „Heikos“ angegeben wird. Sein letzter Schlag gegen die Szene war das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem er Hass in den Hetzwerken bekämpfen will. Ein typisches Maas-Gesetz: Alles Recht, aber eben auch etwas billig.
In klassischer Sozimanier meint der Minister, gedeihliches Zusammenleben herbeiregulieren zu können. So wurde in bester Absicht auch eine Mietpreisbremse installiert, die im heißlaufenden Markt nicht greift. Dieser Mix aus Populismus und Einfalt kennzeichnet auch die Palette der strafrechtlichen Verschärfungen, vom illegalen Autorennen bis zur „Nein heißt Nein“-Reform des Vergewaltigungsparagrafen. Bei komplexen Nöten, wie im Umgang mit den Landesverrats-Ermittlungen gegen zwei Blogger, versagt dann der Moralkompass. Maas’ Einmischung darf hier als Beispiel dafür gelten, wie ein an sich umsichtiger Politiker die Orientierung verliert. Trotzdem kommt er für eine Verlängerung in Betracht. Die SPD schätzt seine Präsenz, die Union seine Flexibilität. (neu)
Hermann Gröhe: Der Bequeme
Mit Gesundheitspolitik hatte Hermann Gröhe nicht allzu viel am Hut, bevor er Minister wurde. Doch für Angela Merkels loyalen Generalsekretär war ein Platz am Kabinettstisch reserviert, und als Generalist kam er für viele Ressorts in Frage. In den vier Jahren im Gesundheitsministerium hat der CDU-Politiker eines geschafft, was der Kanzlerin gefallen haben dürfte: In der Gesundheitsbranche herrscht halbwegs Ruhe. Das ist keineswegs selbstverständlich – denkt man etwa an die hitzigen Debatten über Praxisgebühren oder Zahnersatz aus der Vergangenheit zurück. Dass es so ruhig blieb, liegt einerseits an der anhaltend guten Lage am Arbeitsmarkt. Sind viele Menschen in Beschäftigung, nehmen auch die Krankenkassen höhere Beiträge ein.
Die Ruhe ist aber auch darauf zurückzuführen, dass der 56-Jährige größere Konflikte mit den vielen Interessengruppen im Gesundheitswesen scheute. Die Ärztehonorare stiegen, mit der Pharmalobby legte Gröhe sich nicht an. Der Versuch, im Interesse der Apothekerlobby den Versandhandel von Arzneien zu verbieten, scheiterte allerdings am Widerstand der SPD. Einmal provozierte Gröhe mit der Methode „Geräuschlos“ jedoch heftige Gegenwehr – nämlich als er einen Gesetzentwurf eher unauffällig durch den Bundestag bringen wollte, der vorsah, Arzneitests an Dementen und anderen nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen zu erlauben, auch wenn sie den Betroffenen selber nicht nutzen.
Die Abgeordneten setzten durch, dieses sensible Vorhaben in der Kernzeit zu diskutieren und ohne Fraktionszwang abzustimmen. Gröhe brachte in dieser Legislatur außerdem eine Pflegereform mit einer Ausweitung von Leistungen auf den Weg. Weil diese Reform so lange verzögert worden war, brachte sie aber bei weitem nicht die erhoffte Entlastung im System. Welches Amt Gröhe nach der Wahl übernehmen könnte, ist offen. Klar ist aber: Geräuschlose werden immer gebraucht. (ce)
Der Dauernde, der Spätbeliebte und der Mautist
Wolfgang Schäuble: Der Dauernde
Wolfgang Schäuble aus dem Amt zu bugsieren, das dürfte für die FDP nicht einfach werden (wenn sich denn die Gelegenheit überhaupt bietet). Die Freien Demokraten mögen den Bundesfinanzminister nicht, seit er in der schwarz-gelben Koalition nach 2009 Steuersenkungen verhinderte – vernünftigerweise, angesichts der Haushaltslage nach der Finanzkrise. Mit der SPD gab es sie nach 2013 ebenfalls nicht, auch wenn Schäuble in den vergangenen Jahren mit seinen Haushaltsüberschüssen dafür den Spielraum geschaffen hat. Ins Zeug gelegt für eine stärker entlastende Steuerpolitik hat er sich nicht, ein bisschen drehte die Regierung an der Progressionsschraube.
Keine gute Figur machte Schäuble bei der Reform der Erbschaftsteuer, bei der ihn Horst Seehofer ins Abseits stellte. Auch bei den Verhandlungen zum Bund-Länder-Finanzpaket zog er gegen die Kanzlerin und den CSU-Chef den Kürzeren, sein Entgegenkommen an die Länder in einer frühen Phase (in der Sache vertretbar) kam auch in der Unionsfraktion im Bundestag nicht gut an. Dafür belastete er später die Bund-Länder-Reform mit einem sachfremden Junktim – neuer Finanzausgleich für die Länder gegen ein Ja zur umstrittenen Autobahngesellschaft, die dann freilich (im einträchtigen Handeln der Koalitionsfraktionen) eine ganz andere Gestalt bekam, als Schäuble sie wollte.
Der Europapolitiker Schäuble war konsequent im Schuldenstreit mit Griechenland, aber phasenweise auch überhart – was seinem Gegenüber Yanis Varoufakis erlaubte, sich kurzzeitig als bedrängte Unschuld zu gerieren. Dass er sich anschickte, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung international stärker zu bekämpfen, ist wohl der größte Pluspunkt Schäubles in einer durchwachsenen Amtszeit, die von der G-20-Präsidentschaft gekrönt war, in der er auf mehr internationale Kooperation bei der Finanzmarktregulierung drängte. (afk)
Sigmar Gabriel: Der Spätbeliebte
Als Sigmar Gabriel Ende Januar auf den SPD-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur verzichtete, war das auch eine Kapitulation: Mit ihm würde die SPD im Wahljahr keine Chance haben, weil ihm viele Bürger nicht trauten. Nach sieben Monaten im Auswärtigen Amt hat sich das Gabriel-Bild der Deutschen radikal verändert: Der Vizekanzler ist beliebt, steht in manchen Umfragen an der Spitze. Zwar ist Außenpolitik ein langwieriges Geschäft. Erfolge nach wenigen Monaten sind kaum zu erreichen. Doch Gabriel ist ein Meister der Kommunikation: Seine im Vergleich zu Vorgänger Steinmeier direkte Sprache kommt an, auch wenn sich Diplomaten mehr Zurückhaltung wünschen.
Seine wichtigste Entscheidung bisher war die für einen neuen, härteren Kurs gegenüber der Türkei. Im Wissen um seinen schlechten Ruf hatte der der SPD-Mann im Januar angekündigt, er werde im Amt keine Parteipolitik betreiben. Nach dem Urteil vieler Diplomaten bricht er das Versprechen, wenn er im Wahlkampf etwa gegen Rüstungsziele der Nato poltert. Seiner Beliebtheit tut das keinen Abbruch. Nach der Wahl würde Gabriel gerne weitermachen – in einer großen Koalition, die vielen in der SPD verhasst ist. Und da ist noch ein anderer Faktor: Würde Martin Schulz ihm das Amt überlassen? (hmt)
Alexander Dobrindt: Der Mautist
Der Minister musste auslöffeln, was er sich als CSU-Generalsekretär eingebrockt hatte. Das erwies sich als langwierig. Aber der 47-Jährige hat tatsächlich nach zähen Verhandlungen mit der EU-Kommission die Maut durchgesetzt und damit das Wahlversprechen seines Chefs Horst Seehofer eingelöst. Um die Digitalisierung Deutschlands sollte Dobrindt sich auch noch kümmern, woraus aber so richtig nichts wurde, denn er musste ja die Maut durchsetzen. Nach der Wahl will Angela Merkel die digitale Zukunft lieber einem neuen Staatsminister im Kanzleramt anvertrauen als noch einmal einem Verkehrsminister im Nebenjob.
Immerhin bietet das Staatsunternehmen Deutsche Bahn auf sein Betreiben hin neuerdings in einigen Zügen kostenloses, wenn auch recht behäbiges Wlan an. Weil Dobrindt ansonsten die Maut durchsetzen musste, hat er auch von den Dieselbetrugsmanövern der deutschen Automobil-Vorzeigeindustrie rein gar nichts mitgekriegt. Sein Parteivorsitzender ist fest entschlossen, ihn für das eine wie das andere mit dem zweitschönsten Amt zu belohnen, das die CSU zu vergeben hat – dem Vorsitz der christsozialen Landesgruppe im Bundestag. (bib)
Barbara Hendricks: Die Brave
Dieses Bild wird von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) in Erinnerung bleiben: Arm in Arm mit Tony de Brum, dem damaligen Außenminister der Marshall-Inseln, und mit EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete beim Abschluss des Weltklimagipfels 2015 in Paris. Alle drei hatten Tränen in den Augen. Leider gab es in der Amtszeit von Hendricks nicht viele solcher Erfolge. Beim Klimaschutzplan konnte sie sich gegen Sigmar Gabriel, seinerzeit Wirtschaftsminister und SPD-Chef, sowie die Unionsminister nicht durchsetzen. Auch ihre Bilanz beim Artenschutz ist deprimierend. In der Diesel-Affäre bezog sie zwar klar Stellung gegen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), gegen dessen Obstruktionspolitik mit Unterstützung des Kanzleramts konnte Hendricks aber wenig ausrichten.
Auf der Haben-Seite steht, dass die frühere SPD-Schatzmeisterin die Hinterlassenschaften der Atomindustrie aufgeräumt hat - von der Suche nach einem Endlager bis zur Verteilung der Castoren. Dabei hat sie auch die Bürger stärker beteiligt als bisher üblich. In ihrem Ministerium hat Hendricks die Bereiche Bau und Umwelt zu einer produktiven Zusammenarbeit gebracht. Gleichwohl werden viel zu wenige Häuser energetisch saniert. Insgesamt hat Hendricks ihren Job mit mehr Leidenschaft und Sachverstand gemacht, als die meisten Experten erwartet hatten. Doch war sie bei der Durchsetzung zu brav. (jtr)
Die Fleißige, der Überraschende und die Blasse
Andrea Nahles: Die Fleißige
Das Umschalten von Opposition auf Regierung ging bei der ehemaligen SPD-Generalsekretärin rasend schnell: Nur vier Wochen nach Amtsantritt legte Andrea Nahles das Rentenpaket vor, das zentrale Wahlversprechen von SPD und CSU enthielt, die Rente mit 63 und die Mütterrente. Die Liste der Gesetze, die folgten, ist lang: Mindestlohn, Leiharbeit, Werkverträge, Bundesteilhabegesetz, Betriebsrenten und so weiter, fast 40 sind es insgesamt geworden. Gäbe es im Kabinett Fleißkärtchen, so hätte Nahles eines verdient: Auf einen Durchschnitt von beinahe einem Gesetz pro Monat kommt sonst keiner ihrer Kollegen. Anfangs wurde die Sozialdemokratin noch misstrauisch vom Koalitionspartner beäugt.
Viele Unions-Politiker hatten sie als Nervensäge in Erinnerung – ein Image, das ihr seit ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende anhing. Doch ihre Kabinettskollegen stellten schnell fest, wie verbindlich und verlässlich Nahles sein kann. Vor allem zu Finanzminister Wolfgang Schäuble entwickelte Nahles einen guten Draht, ihm konnte sie immer wieder etwas abverhandeln. Als sie unter dem Stichwort „Arbeiten 4.0“ das Zukunftsthema Digitalisierung und den damit verbundenen Wandel in der Arbeitswelt besetzte, wurde auch die Bundeskanzlerin hellhörig. Zum Ende der Legislatur ist es allerdings wieder etwas stiller um diese Initiative geworden. Klar ist: Egal ob die SPD nach der Bundestagswahl in einer großen Koalition weiter regiert oder in die Opposition geht – von Nahles wird man auf jeden Fall noch hören. (ce)
Gerd Müller: Der Überraschende
Dieser CSU-Politiker hat definitiv das Herz auf dem rechten Fleck. Er verschaffte der Entwicklungszusammenarbeit schon vor der Flüchtlingskrise Aufmerksamkeit – und einen höheren Etat. Und dank einer improvisierten Denglisch-Rede mit rollendem „R“ und „I Love you“-Bekenntnis beim „Earth Day“ in Washington 2015 avancierte er sogar zum Internetstar. Müller würde es wohl nicht als Beleidigung empfinden, wenn man ihn als eine Art männliche Heidemarie Wieczorek-Zeul betiteln würde. Anders als seine Amtsvorgängerin von der SPD neigt er zwar nicht zu spontanen Umarmungen. Seine Entwicklungshelfer schockt Müller bei Vor-Ort-Besuchen aber immer mal wieder mit spontanen Ideen, einmal etwa mit dem Vorschlag, eine illegale Romasiedlung in Serbien doch kurzerhand mit einer Wasserleitung zu versorgen, um die schlimmste Not zu lindern.
Den Praktikern fehlte da das Gesamtkonzept. Stichwort: Nachhaltigkeit. Müller versuchte, langfristige Lösungsansätze durch plakative Aktionsprogramme zu ergänzen. Für den Fluchtkontinent Afrika legte er gar einen Marshallplan auf. Das Geld dafür soll allerdings von privaten Investoren kommen. Kritiker sprechen von einem Etikettenschwindel. Ehrgeizig ist auch das Bündnis für nachhaltige Textilien, das helfen soll, die Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Entwicklungsländern zu verbessern. Ähnlich wie beim Thema Afrika zieht die Wirtschaft aber nur zögerlich mit. (uls)
Johanna Wanka: Die Blasse
In der Hochschulpolitik muss der Bund vorangehen“, hat der CDU-Abgeordnete Michael Kretschmer unlängst festgestellt. „Das hat Frau Wanka gemacht.“ Aber stimmt das? Die einschneidende Bafög-Reform – der Bund übernimmt seit 2015 die Kosten alleine und verschafft den Ländern so neue finanzielle Spielräume bei den Hochschulen – haben Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ohne Wankas Zutun beschlossen. Beim großen Thema Exzellenzunis hüllte Wanka sich öffentlich in Schweigen – wohl, um sich nicht der Gefahr einer politischen Niederlage auszusetzen. Die Unionsfraktion wünschte eine schmale Spitze von drei bis fünf Eliteunis. Am Ende musste sich Wanka mit den Ländern auf elf Eliteunis einigen. Durchsetzungsstark wirkte das nicht.
Engagiert hat sich Wanka dafür, dass der Bund Hochschulen auch dauerhaft finanzieren darf. Aber wozu sie die Grundgesetzänderung wollte, bleibt rätselhaft. Denn Wanka will den Hochschulpakt keineswegs auf Dauer stellen, wie die unterfinanzierten Hochschulen es vom Bund erhoffen. Den gut lebenden außeruniversitären Instituten hat die Union hingegen schon für die Zeit nach der Wahl mehr Geld versprochen. Wanka hat mehr verwaltet als gestaltet. Lust auf eine weitere Amtszeit strahlt die 66-Jährige nicht gerade aus. (akü)