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Suche in Wrackteilen des ukrainischen Flugzeugs nahe Teheran
© Reuters/Wana/Nazanin Tabatabaee
Update

Flugzeugabsturz bei Teheran: Was geschah mit Flug PS752?

Irans Regime leugnet den Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs. Doch einige Indizien sprechen dafür, dass eine Rakete die Maschine traf.

Die Suche nach der Ursache für den Absturz des ukrainischen Passagierflugzeuges PS 752 bei Teheran läuft. Eine Reihe von Indizien deutet auf den Abschuss durch eine Boden-Luft--Rakete hin. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hielt sich dennoch auch am Freitag mit seiner Einschätzung zurück: „Die Version, dass eine Rakete in das Flugzeug einschlug, ist nicht auszuschließen, aber bis heute auch nicht bestätigt“, sagte er.

Der kanadische Regierungschef Justin Trudeau ist dagegen von einem – möglicherweise unabsichtlichen – Abschuss der Maschine durch die iranische Luftabwehr überzeugt: „Wir haben Geheimdienstinformationen von mehreren Quellen von unseren Alliierten und eigene Informationen“, sagte er am Vortag. Selenskyj empfing am Freitag die US-Geschäftsträgerin in Kiew, Chistina Quinn, die den ihn über die Erkenntnisse der US-Geheimdienste informierte.

Was spricht für einen Abschuss, was dagegen?
Unmittelbar nach der Katastrophe hatten die iranischen Behörden ein Triebwerksversagen für den Absturz verantwortlich gemacht. Doch Zweifel an dieser Erklärung kamen rasch auf. Nachrichtenagenturen und Online-Kanäle berichteten schon Stunden nach dem Ereignis, US-Experten seien überzeugt, das Flugzeug sei von einer Rakete getroffen worden. Ihre Argumente: Die Boeing habe zwei Triebwerke, auch bei Schaden an einem von ihnen sei die Maschine noch flugfähig und hätte notlanden können. Zudem sei auffallend, dass die Besatzung einen möglichen Schaden nicht gemeldet habe – der Funkkontakt bricht vielmehr urplötzlich ab.

Am Tag nach dem Abschuss tauchte auf dem Online-Kanal Telegram ein Video auf, das mutmaßlich eine nächtliche Explosion am Himmel zeigt. Die „New York Times“ meldete, sie habe Kontakt zu der Person, die das Video aufgenommen habe, und bestätigte die Authentizität. Die Recherchegruppe Bellingcat lokalisierte den Standort der Videokamera in der Nähe des Absturzortes.

Das Video soll den Moment des Einschlags der Rakete zeigen.
Das Video soll den Moment des Einschlags der Rakete zeigen.
© dpa

Letztlich deutet auch die Verteilung der vielen kleinen Trümmerteile nach Ansicht einiger Experten darauf hin, dass das Flugzeug schon nicht mehr „im Ganzen“ auf den Boden aufschlug. Fotos von den Überresten einer Tragfläche zeigen Spuren, die wie die Einschläge von Projektilen aussehen. Dies wäre charakteristisch für einen Triebwerkschaden. Auf dieser Version bestehen die iranischen Behörden. Diese Spuren können aber auch ein Indiz dafür sein, das die um die Hauptstadt stationierten Luftabwehrraketen russischer Herkunft vom Typ Tor (Nato-Code SA-15 Gauntlet) eingesetzt wurden. Deren Sprengkopf explodiert vor dem Aufschlag und zerfällt wie ein Schrapnell in kleine Teile.

Ist eine eindeutige Klärung der Katastrophe denn überhaupt möglich?
Auch wenn die Indizien stark seien, ukrainische und andere Fachleute sowie Vertreter des Herstellers Boeing in die Ermittlungen einbezogen sind, könnten die Untersuchungen schwierig und langwierig werden, schrieb die Zeitung „Kyiv Post“ am Freitag: „Besonders, wenn Teheran PS752 abgeschossen hat. Die Ukraine hat gesehen, wie schwer Russland und die von Russland unterstützten Milizen, die Teile des Donbass kontrollieren, die Untersuchung des Abschusses von MH17 gemacht haben.“ Der Malaysian-Airline Flug MH17 von Amsterdam nach Kuala Lumpur war im Juli 2014 mutmaßlich nach Raketenbeschuss über der Ostukraine abgestürzt.

Im Iran beschwerten sich die ukrainischen Ermittler sich am Freitag darüber, dass die Absturzstelle schon mit Bulldozern weitgehend geräumt wurde. Eine detaillierte Untersuchung der Wrackteile scheint dadurch kaum noch möglich. Zur Verfügung stehen jedoch Flugdatenschreiber und Cockpit-Tonband. Sie sollen im Iran auswertet werden, kündigten die Behörden an.

Der Iran will einem Medienbericht zufolge die Ursache für den Absturz am Samstag nennen. Die Bekanntgabe solle nach einem Treffen einer Kommission stattfinden, die sich auf Luftfahrt-Unfälle spezialisiert hat, berichtet die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars unter Berufung auf eine mit den Plänen vertraute Person.

Welche Quellen haben US-Geheimdienste für ihre Analyse des Absturzes?
Wie die „New York Times“ berichtet, haben die USA iranische Gespräche abgefangen, in denen der Abschuss der Rakete festgehalten ist. Auch hätten Satelliten mit Hilfe von Infrarot-Technik den Start von zwei Raketen ausgemacht.

Wie reagiert die Lufthansa?
Die Lufthansa und deren Tochter Austrian Airlines fliegen normalerweise täglich von Frankfurt am Main und Wien nach Teheran. Am Donnerstag waren zwei Maschinen bereits auf dem Weg, als sie jeweils nach etwa einer Stunde Flugzeug über Osteuropa umdrehten und zurückflogen. Bis zum 20. Januar sind nun alle Flüge nach Teheran gestrichen, wie der Luftfahrtkonzern am Freitag mitteilte.

„Die Lufthansa evaluiert gemeinsam mit nationalen und internationalen Behörden die Sicherheitslage für An- und Abflüge für den Flughafen Teheran sowie des gesamten iranischen Luftraums. Sobald uns Detailinformationen vorliegen, werden wir entscheiden, ob beziehungsweise ab wann unsere Iran-Flüge wieder durchgeführt werden können. Wir bedauern die Unannehmlichkeiten für unsere Passagiere“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel. Die Lufthansa fliegt seit 1956 nach Teheran.

Warum war der Luftraum über dem Iran nicht gesperrt?
Kurz vor dem Absturz hatte die US-Luftfahrtbehörde alle US-Gesellschaften aufgefordert, wegen der erhöhten militärischen Aktivitäten den Irak, Iran, den Persischen Golf und den Golf von Oman nicht mehr zu überfliegen. In Regionen mit Aktivitäten von Aufständischen gilt der Luftraum in einer Höhe von mehr als zehn Kilometern als sicher.

In Kriegsgebieten geht man wegen des Einsatzes von Waffen mit größerer Reichweite davon aus, dass auch in großer Höhe Gefahr besteht. Grundsätzlich sind nach den internationalen Zivilluftfahrt-Konvention der UN alle Staaten verpflichtet, eine Gefährdung des Luftverkehrs über ihrem Territorium selbst zu melden, was häufig jedoch nicht geschieht.

Der Flugschreiber der Unglücksmaschine.
Der Flugschreiber der Unglücksmaschine.
© Reuters

Die europäische Flugsicherheitsbehörde Easa rät von Flügen über den Iran ab. Nach einem Treffen von Flugsicherheitsexperten in Brüssel sprach sich die Easa am Freitag gegen Flüge in einer Höhe von weniger als 25 000 Fuß (7620 Metern) über den Iran aus. Zuvor hatte die Easa bereits empfohlen, Flüge über den Irak zu vermeiden. „Darüber hinaus analysieren Easa, EU-Kommission und die Behörden der Mitgliedsstaaten die Lage, um über weitere Maßnahmen zu entscheiden“, sagte eine Sprecherin der Easa dem Tagesspiegel.

Welchen Spielraum haben Fluggesellschaften bei der Wahl ihrer Routen?

Unabhängig von amtlichen Warnungen oder Flugverboten steht es den Luftverkehrsgesellschaften frei, welche Flugrouten sie wählen. Wobei sie sich im Normalfall für die kürzeste Strecke entscheiden. Große Fluggesellschaften wie die Lufthansa verfügen über eigene Security-Abteilungen, die ständig in engen Kontakt mit den Sicherheitsbehörden die weltweite Lage bewerten und entscheiden, wann und wo einem Risiko ausgewichen werden muss.

Dabei geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit. So muss die australische Qantas auf der Extrem-Langstrecke zwischen Perth und London jetzt einen Teil der Plätze unbesetzt lassen, um das Krisengebiet zu umfliegen. Sonst wären die Maschinen zu schwer, um den rund 50minütigen Umweg ohne Zwischenlandung zu bewältigen.

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