Bundesverfassungsgericht: Was für und was gegen ein NPD-Verbot spricht
Am 17. Januar entscheiden Deutschlands Verfassungsrichter über ein Verbot der NPD. Experten sind skeptisch, dass es diesmal funktioniert. Fragen und Antworten zum Thema.
Zwei Wochen vor der Entscheidung im Verbotsverfahren gegen die NPD wird in Bund und Ländern eine Niederlage befürchtet. Es sei kaum noch zu erwarten, dass der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die rechtsextreme Partei auflöst, äußern Politiker und Sicherheitskreise. Kaum jemand will namentlich genannt werden – doch die Sorge ist unüberhörbar, nach dem Debakel im Jahr 2003 könnte nun am 17. Januar auch der zweite, diesmal vom Bundesrat allein unternommene Anlauf zum Verbot der NPD scheitern.
Wer sagt was?
Er befürchte ein „salomonisches Urteil“, meinte bereits im vergangenen Jahr der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), gegenüber dem Tagesspiegel. Caffier, der vehement für ein Verbot eintritt, hält es für denkbar, dass die Karlsruher Richter urteilen, die NPD sei verfassungsfeindlich, aber zu schwach, um die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu gefährden. Deshalb sei ein Verbot nicht zu rechtfertigen. Genau dieser Tenor ist inzwischen öfter zu vernehmen.
Die „Bild“-Zeitung hat nun berichtet, die Bundesregierung komme in einem internen Papier zu dem Schluss, die NPD habe angesichts der vielen Wahlniederlagen die „Schwelle zur Gefährdung“ der Demokratie nicht überschritten. Unklar bleibt allerdings, welches Ministerium sich geäußert haben soll. Das Bundesinnenministerium sagte am Montag, „wir kennen dieses Papier nicht“. Beim Justizministerium hieß es, „wir kommentieren das nicht weiter“.
Dennoch fühlen sich Kritiker des Verfahrens bestätigt. „Die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat gehen längst von anderen Bewegungen und Parteien aus“, sagt der Grünen-Abgeordnete Volker Beck. „Man hätte ein solches wenig aussichtsreiches Verfahren besser nicht erst begonnen.“ Die NPD sei zu schwach, die Demokratie zu gefährden.
Ist die Skepsis gerechtfertigt?
Die mündliche Verhandlung im März 2016 in Karlsruhe war für den Bundesrat ein zwiespältiges Erlebnis. Es gelang zwar, den Verdacht auszuräumen, in NPD-Vorständen seien weiter V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv. 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die unklare Rolle staatlicher Spitzel in der Führung der Partei als Grund für die Einstellung des Verfahrens genannt. Diese Blamage bleibt nun dem Bundesrat erspart. Doch mehrere Richter äußerten im März Zweifel an der Begründung des neuen Antrags auf ein Verbot der NPD. Vor allem der Berichterstatter des Zweiten Senats, der frühere saarländische Ministerpräsident Peter Müller, hielt den Vertretern der Länderkammer gnadenlos Berichte des Verfassungsschutzes zum desolaten Zustand mehrerer Landesverbände der NPD vor. Und Andreas Voßkuhle, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, konnte sich nicht erklären, wieso die Partei selbst in einem für sie „perfekten Milieu“ wie in der vorpommerschen Kleinstadt Anklam „nicht am Drücker ist“.
Müller hielt offenbar auch eines der Hauptargumente des Bundesrates, die „Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus“, für überholt. Das Grundgesetz kenne „kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip“, zitierte Müller aus einer älteren Entscheidung des Gerichts.
Ungünstig für den Bundesrat ist zudem die Entwicklung der politischen Landschaft der Bundesrepublik. Im September 2016 drückte die AfD die NPD aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Die Rechtsextremisten verloren ihre letzte Fraktion. Auch bei den anderen Wahlen im vergangenen Jahr musste die NPD herbe Verluste einstecken. Wieder einmal. Seit 2012 blieb die Partei in neun Bundesländern bei den Wahlen unter einem Prozent – und verlor die staatlichen Zuschüsse zur Finanzierung von Wahlkampfkosten. Solche Daten sind wenig geeignet, eine substanzielle Gefahr der NPD für die Grundordnung der Bundesrepublik zu begründen.
Ist das Verfahren gelaufen?
Das ist jedoch keineswegs sicher. Der Zweite Senat hat bei der mündlichen Verhandlung im März 2016 mehrere NPD-Funktionäre mit der rassistischen Agitation der Partei konfrontiert. NPD-Chef Frank Franz und weitere „Kameraden“ wanden sich, als sie Parolen wie „Integration ist Völkermord“ und „Ausgliederung aller Ausländer aus der Sozialversicherung“ erklären sollten. „Bei allen Nicht-Staatsangehörigen ist zu prüfen, warum die hier sind“, sagte Franz. Richter Müller konterte, Franz gehe „weiter als die NSDAP“, die Ausländer erst ausweisen wollte, wenn die deutsche Bevölkerung nicht mehr zu ernähren wäre.
Angesichts der harten Fragen der Richter an die NPD-Leute ist nicht auszuschließen, das Gericht könnte die Hetze doch für so gravierend halten, dass es für ein Verbot der Partei reicht. Wenn sich die Richter einig sind. Nachdem ein Kollege 2016 ausschied, können im Zweiten Senat nur noch sieben Richter über den Antrag auf Verbot der NPD entscheiden. Notwendig ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Sind nur fünf Richter für ein Verbot, bleibt die NPD bestehen.
Worauf stellt sich der Bundesrat ein?
In der Länderkammer werden mehrere Szenarien durchgespielt. „Sollte das Gericht ein Verbot aussprechen, wird die NPD dagegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen“, sagt der Prozessbevollmächtigte Christian Waldhoff und bekräftigt damit, was er kürzlich schon beim Jüdischen Gemeindetag in Berlin geäußert hat. „Wir sind gelassen, dass ein etwaiges Verbot in Straßburg Bestand hätte“, betont der Berliner Rechtswissenschaftler. Der Gerichtshof für Menschenrechte stelle in seinen Urteilen „immer ganz entscheidend auf den Kontext des Verbots ab“. Waldhoff kann sich kaum vorstellen, dass die Richter in Straßburg ausgerechnet dem mit seiner NS-Vergangenheit belasteten Deutschland das Verbot einer Nazi-Partei verwehren würden.
Zweites Szenario: Sollte das Bundesverfassungsgericht die NPD nicht verbieten, sei dennoch davon auszugehen, dass „deutliche Worte zur Verfassungsfeindlichkeit ihrer Programmatik ausgesprochen werden“, sagt Waldhoff. „Solche Ausführungen des Gerichts würden zum einen verhindern, dass sich die NPD als ,verfassungsgerichtlich bestätigt’ ausweisen könnte.“ Außerdem bekäme die Politik „wichtige Leitlinien, was in der politischen Auseinandersetzung unter dem Grundgesetz noch erlaubt ist und was nicht“. Demnach wäre für den Bundesrat selbst eine Niederlage nicht ohne Nutzen für die Demokratie. Die Republik bekäme auf jeden Fall einen zeitgemäßen Maßstab für die Anwendung eines Parteiverbots. Nachdem mehr als 60 Jahre verstrichen sind, seit das Bundesverfassungsgericht letztmalig die Existenz einer Partei, damals traf es die KPD, beendet hat.
Was haben Verbote bewirkt?
Die 1964 gegründete NPD ist selbst ein Beispiel für die meist wenig nachhaltige Wirkung eines Verbots. Die Partei ging aus der Konkursmasse der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei hervor und hält sich nun seit mehr als einem halben Jahrhundert. Auch das Verbot der KPD hat nicht verhindert, dass in der Bundesrepublik wieder kommunistische Parteien gegründet wurden – die DKP, ideologisch ein Wiedergänger der KPD, sowie maoistische Organisationen, die sich sogar dreist „KPD“ oder „KPD/ML“ nannten. Politik und Behörden ließen es geschehen. Die Verbote extremistischer Vereine hatten ebenfalls nur eine begrenzt dämpfende Wirkung auf die jeweilige Extremistenszene. Der harte Kern formiert sich oft unter anderem Namen neu. Und für die Anhänger der NPD stehen mit den Parteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ schon zwei rechtsextreme Sammelbecken bereit.
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